Hamburg . Unter Hamburgs Optikern tobt ein erbitterter Preiskampf. Schütt fordert Fielmann heraus – der Kunde darf sich freuen, oder?

Wer schon mal eine Gleitsichtbrille gekauft hat, weiß: Das wird teuer. Für ein Gläserpaar vom Augenoptiker sind 1000 Euro noch lange nicht die Obergrenze. Ohne Fassung wohlgemerkt. Gleichzeitig gibt es im Internet Komplettangebote für unter 200 Euro. Wie soll man da den Durchblick behalten?

Der Hamburger Optiker Schütt geht noch einen Schritt weiter: Seit einigen Tagen bietet das Familienunternehmen Gleitsichtgläser zum Nulltarif an. Der Kunde reibt sich verwundert die (korrekturbedürftigen) Augen. Warum sollte ein Optiker Brillengläser verschenken? In der Branche sorgt der Vorstoß für Wirbel, auch weil er ein Schlaglicht auf die Preisgestaltung beim Optiker wirft.

Optiker Schütt und Budnikowsky kooperierten bei Brillen

Hinter der Idee steckt Inhaber Kevin Schütt, der vor Kurzem auch mit Testverkäufen von Korrektionsbrillen bei der Drogeriemarktkette Budnikowsky von sich reden machte. Nach Protesten unter anderen vom Konkurrenten Fielmann liegt das Projekt „Budni-Brille“ derzeit auf Eis. Jetzt rührt der 42 Jahre alte Inhaber des Betriebs mit drei Filialen in Hamburg, Köln und Düsseldorf erneut an eingeübten Verkaufspraktiken. Er wolle Preissenkungen seines Gläserherstellers, dem Schweizer Unternehmen OptiSwiss, an die Kunden weitergeben, sagt der Brillen-Revoluzzer. Er sagt auch: „Mir geht es vor allem um Transparenz bei der Preisgestaltung. Dass wir bei null anfangen, ist ein Clou.“ Aufmerksamkeit garantiert.

Kevin Schütt, von Schütt Optik am Großen Burstah, mit einer Brille mit Gleitsichtgläsern
Kevin Schütt, von Schütt Optik am Großen Burstah, mit einer Brille mit Gleitsichtgläsern © Klaus Bodig / HA | Klaus Bodig

Denn natürlich weiß der Betriebswirt – und verschweigt es auch nicht –, dass sein Umsonst-Angebot nur einfache Mehrstärkengläser mit einem kleinen Sichtbereich umfasst. Nicht enthalten sind: Gestell, Entspiegelung und Härtung der Gläser sowie individuelle Anpassungen und Sehtest. Die fertige Brille ist also nicht ganz umsonst. Das wäre auch gar nicht erlaubt: Denn Medizinprodukte dürfen nicht verschenkt werden. Das ist rechtlich geregelt.

Von der Konkurrenz gibt es massive Kritik an Schütt

Aber anders als bei Optikern normalerweise üblich listet Schütt die Preise für Zusatzleistungen übersichtlich und im Internet nachlesbar auf. Das Gestell gibt es ab 39 Euro, das Einsetzen in eine vorhandene Brille kostet sogar nur 19 Euro. Die Entspiegelung inklusive Härtung liegt bei 60 Euro, Komfortgläser sind zwischen 40 und 279 Euro das Paar zu haben, ein Sehtest schlägt mit 59 Euro zu Buche. Je nach Qualitätsanspruch können die Kunden nach der Preisliste entscheiden, was sie brauchen und wollen. Nicht im Online-Shop, sondern nach Terminvereinbarung in der Filiale.

Der Hamburger Schütt betritt mit seinem (Werbe-) Angebot Neuland. Während die Kunden sich freuen, sind die Reaktionen in der Branche unterschiedlich. Jan-Hendrik Lühr zum Beispiel, Co-Geschäftsführer von Lühr Optik mit sieben Filialen, ist empört. „Das ist ein Lockangebot“, sagt er. „Ich verstehe nicht, warum man ein Medizinprodukt so verramscht.“ Bei ihm gibt es eine Gleitsichtbrille ab 150 Euro aufwärts. In der Regel geben Kunden für eine Mehrstärkenbrille zwischen 400 und 600 Euro aus.

„Der Begriff Nulltarif ist wettbewerbsrechtlich nicht geschützt. Er ist aber erklärungsbedürftig“, sagt dagegen der Sprecher des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA), Lars Wandke. Das werde erfüllt. Grundsätzlich halte der Verband Angebote, die augenoptische Dienstleistungen gesondert ausweisen oder bewerben, für vollkommen legitim und ein durchaus geeignetes Mittel, beim Kunden ein Gefühl für den Wert ebensolcher Leistungen herzustellen. Dahinter steckt die Praxis, dass Augenoptiker Dienstleistungen wie Beratung, Sehtest oder Anpassungen für den Kunden umsonst anbieten, sich diese aber letztlich über den Brillenpreis bezahlen lassen.

Gleitsichtbrillen – ein gutes Geschäft für Optiker

Gleitsichtbrillen sind für die Branche der wichtigste Umsatzfaktor. Der Absatz in Deutschland steigt seit Jahren. Laut ZVA haben 39 Prozent der gut 40 Millionen Brillenträger Mehrstärkengläser auf der Nase – macht etwa 15 Millionen Gleitsichtbrillenträger. Im Schnitt wird alle zwei Jahre getauscht. Für die Optiker zahlt sich das aus. Bei einem Gesamtumsatz von knapp sechs Milliarden Euro entfallen 70 Prozent auf Gleitsichtbrillen. Dabei raten die Augenoptiker gerne zu hochwertigen Produkten. Die meisten Gläser werden laut ZVA inzwischen mit Superentspiegelung verkauft. Fast jedes zweite Glas ist aus höherbrechendem Material.

„Es ist eindeutig so, dass die teureren Gleitsichtgläser auch qualitativ hochwertiger sind“, sagt Wolfgang Wesemann, ehemaliger Direktor der Höheren Fachschule für Augenoptik in Köln und Berater des Kuratoriums Gutes Sehen. Das zeigt sich in der Größe des Sehfeldes, bei den Übergängen zwischen Nah- und Fernbereich oder daran, wie dünn die Gläser sind. Diese Eigenschaften sind wichtig, gerade wenn der Sehfehler größer ist. Frage ist, was im Einzelfall wirklich sinnvoll ist. Denn gerne verkauft werden zusätzliche Extras wie Härtungen, Tönungen oder der Lotus-Effekt, eine Wasser und Schmutz abweisende Beschichtung. Im Hightech-Bereich gibt es individuelle Gläser, die maßgeschneidert berechnet und gefertigt werden. Preisspanne nach oben offen. Bei Werbeangeboten mahnt Wesemann die Ausweisung aller Zusatzkosten für Extras und den Sehtest an.

Schon seit Jahren tobt vor allem bei Online-Händlern ein Preiskampf. Portale wie Brille24 etwa locken mit Gleitsichtbrillen ab 139 Euro. Bei Eyes & More, die bundesweit mit 100 Standorten vertreten sind, kostet das günstigste Modell 222 Euro – inklusive Anpassung durch eine Fachkraft. Das Dreierset ist für 444 Euro zu haben. Das Internetportal Brillen.de, in dem sich knapp 600 lokale Optiker zusammengeschlossen haben, hat eine sogenannte Gleitsichtflatrate für 15,50 im Monat bei einer Laufzeit von 24 Monaten (372 Euro). Dafür bekommt man laut Werbung zwei Freiform-Gleitsichtgläser neuester Generation im Wert von 700 Euro. Die Auswahl erfolgt online, die Anprobe beim nächstgelegenen Partnerbetrieb.

Aber auch im stationären Handel gibt es zahlreiche Angebote. Mal wird das zweite Gleitsichtglas verschenkt, mal eine zweite Brille. Beim Optiker Bode heißt das Billigangebot „Meine Brille“, mit Gleitsichtgläsern kostet es ab 199 Euro inklusive Superentspiegelung. Fielmann wirbt mit einer Nulltarif-Gleichsichtbrille. Tatsächlich können die Kunden zwar eine Umsonst-Fassung auswählen, für die Gläser müssen sie aber entweder eine Zusatzversicherung für 50 Euro jährlich abschließen oder 65 Euro bezahlen.

„Fielmann ist der günstigste Anbieter der Branche“, betont ein Firmensprecher und verweist auf die Geld-zurück-Garantie, einen für jeden Kunden einklagbaren Rechtsanspruch. „Bei dem Werbeangebot ,Gleitsichtgläser zum Nulltarif‘ des Marktteilnehmers Schütt Optik handelt es sich nach unseren Informationen um eine Aktion, die bis zum 31. März befristet ist. Der Kunde zahlt beim Erwerb eine oder mehrere zusätzliche Gebühren.“

Inzwischen hat sich bei Kevin Schütt die Innung der Hamburger Augenoptiker gemeldet und die Abmahnung eines Wettbewerbers angekündigt. Passiert ist aber noch nichts. Bei den Kunden sei das Interesse groß. „Der Terminkalender ist für die nächsten zwei Wochen proppenvoll“, sagt Schütt. Bislang lägen Bestellungen für gut zwei Dutzend Brillen vor. Vielfach werde das Angebot für eine Ersatzbrille genutzt oder auch zum Ausprobieren, sagt er. Mit den Nulltarif-Gläsern ist übrigens kaum jemand aus dem Geschäft gegangen. Die meisten haben zumindest eine Entspiegelung dazugebucht.

Der Brillentest

39 Euro für eine Gleitsichtbrille von Schütt Optik. Das Abendblatt hat das Angebot getestet. Die Gläser konnten direkt bestellt werden, weil ein Sehtest vorhanden war. Die Auswahl an Gestellen zum Minimalpreis war ausreichend. Die Optikerin wies darauf hin, dass die Umsonst-Gläser nicht entspiegelt sind und angesichts des erheblichen Korrekturbedarfs relativ dick ausfallen. Weitere Kosten entstanden nicht. Das Urteil nach dem ersten Tragen: funktionsfähig mit Einschränkungen, als Ersatzbrille geeignet.