Hamburg. Bessere Ausstattung, schnellere Spezialkräfte. Innensenator will umstrittene Veröffentlichung von Fotos ausweiten.

Die G-20-Krawalle, der Anschlag von Barmbek, Berichte über einen drohenden Kollaps bei der Kriminalpolizei – Innensenator Andy Grote (SPD) hat ein beispiellos schwieriges Jahr hinter sich. Im Abendblatt-Interview spricht Grote über die eigenen Fehler, Lehren für die Sicherheit der Hamburger – und er kündigt an, erstmals auch im Ausland per Öffentlichkeitsfahndung nach den G-20-Randalierern zu suchen. Die entsprechenden Fotos der Tatverdächtigen könnten etwa gezielt in spanische und italienische Medien gebracht werden.

Herr Grote, mit welchen Vorsätzen sind Sie nach diesem harten 2017 in das neue Jahr gestartet?

Andy Grote: Wichtig ist für mich, das ganz alltägliche Vertrauen in die Sicherheit zu stärken. Und es etwa dort wiederherzustellen, wo der G-20-Gipfel womöglich noch nachwirkt. Da geht es um ganz kontinuierliche und solide Arbeit.

Am heutigen Freitag stellen Sie die neue Kriminalstatistik vor. Sind Sie zufrieden?

Grote: Man kann mit Fug und Recht sagen: Hamburg wird sicherer. Wir haben sinkende Fallzahlen trotz steigender Bevölkerung. Das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, ist in Hamburg so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist innerhalb von zwei Jahren um mehr als ein Drittel zurückgegangen und das Niveau so niedrig wie zuletzt vor zehn Jahren. Die Fokussierung auf solche besonders sensiblen Deliktsbereiche wie diesen ist ein Erfolgsrezept.

Es sind auffällig viele Sonderkommissionen eingerichtet worden. Wie viel Spielraum lassen Sie der Polizei als Senator dabei?

Grote: Natürlich gibt es einen Austausch darüber, welche Themen aktuell wichtig sind und einer besonderer Anstrengung bedürfen. Aber über konkrete organisatorische Maßnahmen entscheidet die Polizei selbstständig.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Grote: Die Betrugskriminalität ist ein großes Thema, an das wir anders und verstärkt herangehen müssen. Dort haben wir seit Langem Probleme. Nun werden die Arbeitsprozesse im LKA überprüft, um hier zukünftig erfolgreicher zu sein. Dem will ich hier nicht vorgreifen.

Beim Betrug im Internet explodieren die Zahlen auch deshalb, weil es kaum Sicherheitsmaßnahmen gibt. Die Händler preisen das schlicht ein.

Grote: Stimmt, es ist schon schwierig, wenn viele Ressourcen bei der Polizei und letztlich viel Steuergeld investiert werden müssen – aber die Geschädigten selbst offenbar wenig Interesse daran haben, diese Straftaten zu verhindern.

Die stärksten Bilder vom G20-Gipfel:

Die Kriminalbeamten schlugen zuletzt Alarm, weil Fälle nicht mehr bearbeitet werden konnten. Von Aktenhalden und unter Schreibtische gestopften Akten war die Rede. Wann ist dieser Zustand beendet?

Grote: Zurückstellungen hat es immer gegeben, wenn auch nicht in diesem Umfang. Das war wesentlich der Belastung durch den G-20-Gipfel geschuldet. Dieser Rückstand wird jetzt systematisch abgearbeitet, die Zahl der zurückgestellten Verfahren konnte bereits ganz erheblich reduziert werden.

Sechs Monate nach G 20 haben etwa die Linken öffentlich ihre eigenen Fehler bekannt. Vom Senat kommt da wenig.

Grote: Diese Einschätzung wundert mich, da wir öfter gesagt haben, was wir so nicht noch mal machen würden.

Vielleicht können Sie es für uns auf den Punkt bringen?

Grote: Zum Beispiel beim Verkehrskonzept, insbesondere den massiven Straßensperrungen am Donnerstag, würden wir zukünftig anders vorgehen. Und auch bei den Akkreditierungsverfahren einzelner Journalisten und bei dem Umgang mit dem Bus der Falken sind Fehler passiert, die längst eingeräumt wurden. Auch mögliches Fehlverhalten von Polizisten wird intensiv untersucht. In der zentralen Frage der Gefahreneinschätzung glaube ich nach wie vor nicht, dass die konkreten Ereignisse in Altona und in der Schanze vorhersehbar waren.

Hätte es doch noch mehr als 30.000 Polizisten bedurft, um etwa die Eskalation im Schanzenviertel zu verhindern?

Grote: Es lag nicht an der mangelnden Zahl der Kräfte, sondern an den drohenden, sehr schweren Angriffen auf die Polizei aus einem Hinterhaltszenario heraus. Ich glaube, wir müssen uns in Zukunft in die Lage versetzen, mit einer vergleichbaren Situation wesentlich schneller fertig zu werden.

Große Ehrung für die „Helden von Barmbek“:

Wie?

Grote: Dafür gibt es zwei naheliegende Ansätze: zum einen eine schnellere Verfügbarkeit von Spezialeinheiten – und zum anderen die verbesserte Ausstattung in Teilen der Bereitschaftspolizei. Ohne dem Sonderausschuss vorzugreifen, kann man festhalten, dass wir uns taktisch und ausrüstungstechnisch für so eine Ausnahmesituation besser aufstellen müssen.

Steht die oft harte Einsatztaktik der Hamburger Polizei bei Demonstrationen nach G 20 zur Diskussion?

Grote: Die klare Linie der Polizei hat in der Vergangenheit häufig deeskalierend gewirkt. Aber wir können in der Kommunikation bei manchen Einsatzlagen noch besser werden; beim G-20-Gipfel gab es häufig Solidarisierungen von Umstehenden mit den Randalierern. In sich anbahnenden Konfliktsituationen kann der verstärkte Einsatz unserer bewährten Kommunikationsteams ein Ansatz sein, das polizeiliche Handeln besser verständlich zu machen. In bestimmten Situationen kann es einen Unterschied machen, wenn Kommunikationsbeamte die Menschen noch mal persönlich ansprechen.

Die Öffentlichkeitsfahndung nach den Randalierern hat scharfe Kritik nach sich gezogen – unter anderem, weil es sich bei den Gesuchten um Unschuldige oder Gelegenheitstäter handeln könnte.

Grote: Ich warne sehr eindringlich davor, die Taten im Schanzenviertel oder in Altona zu verharmlosen. Die deutliche Gegenreaktion der linken Szene kann niemanden wundern. Erstmals können sich Täter noch Monate nach Krawallen nicht sicher fühlen, sondern werden konsequent verfolgt. Aber genau das erwartet nach solchen Ausschreitungen auch jeder.

Wie beurteilen Sie den Erfolg der Öffentlichkeitsfahndung?

Grote: Es ist bereits gelungen, viele Täter zu identifizieren. Wir arbeiten derzeit daran, mit entsprechendem Bildmaterial auch im europäischen Ausland öffentlich zu fahnden. Da wir hier Neuland betreten, sind viele Abstimmungen erforderlich.

Olaf Scholz sagte, es müsse und werde sich etwas in der Roten Flora ändern. Sie haben zuletzt gesagt, dass es selbstverwaltete Räume „dringend braucht“. Wie passt das zusammen?

Grote: Mir ging es darum, dem Eindruck entgegenzutreten, dass die Stadt nun einen „Rachefeldzug“ führen würde. Das ist Unsinn. An unserer grundsätzlichen Haltung zu selbstbestimmten Stadtteilzentren hat sich nichts geändert. Und ich plädiere dafür, sehr nüchtern und sorgfältig zu durchdenken, wie der zukünftige Umgang mit der Roten Flora aussehen sollte.

Von welchen Faktoren machen Sie das abhängig?

Grote: Es geht um zwei Fragen: Was ergeben die Ermittlungen der Polizei zur Beteiligung der Roten Flora an den Krawallen – und wie positioniert sich die Rote Flora selbst zu Gewalt. Beide Fragen sind noch offen.

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Dass die Rote Flora plötzlich der Gewalt abschwört, ist, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Hat der Senat also schlicht keine richtige Handhabe?

Grote: Es laufen sehr wohl Prozesse, in der linken Szene wird intensiv über die Geschehnisse des G 20 gesprochen. Ich glaube, im Schanzenviertel haben alle gesehen, zu welchem Zustand es führt, wenn man Gewalt als politisches Mittel einsetzt.

Würden Sie selbst mit den Besetzern der Roten Flora reden?

Grote: Nein, das wäre kontraproduktiv.

Wie sehen Sie die Vorwürfe von Polizeigewalt beim G-20-Gipfel? Während ein Randalierer nach dem anderen vor Gericht steht, ist bisher noch keine Anklage gegen Beamte wegen mutmaßlicher Übergriffe erhoben worden.

Grote: Verfahren gegen Polizisten sind immer schwieriger, weil Gewaltanwendung nicht automatisch rechtswidrig ist. Wir haben erstmals eine Sonderkommission innerhalb des Dezernats Interne Ermittlungen mit 19 Beamten eingesetzt, die selbst viele Verfahren gegen Polizisten initiiert hat. Etwa ein Drittel der Verfahren wurde inzwischen an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Ich gehe davon aus, dass es noch zu Anklagen kommen wird.

Stichwort Islamismus: Muss sich Hamburg nach dem Barmbeker Attentat auf eine höhere Gefährdungslage einstellen?

Grote: Die abstrakte Gefährdung ist überall in Europa hoch und hat sich nicht verändert. Aber die Gefahr ist nach Barmbek viel realer und präsenter geworden. Wir haben auch ein stärkeres Bewusstsein für einen neuen Tätertypus erlangt, der psychisch instabil und dessen Verhältnis zur Religion widersprüchlich ist.

Als Risikogruppe sieht der Verfassungsschutz etwa in Hamburg lebende Flüchtlinge, bei denen die Integration misslingt.

Grote: Es wird ehrlicherweise immer einen Kreis von Personen geben, die eine ungeklärte oder negative Aufenthaltsper­spektive haben, die frustriert und unzufrieden mit ihrer Lebenssituation und gegebenenfalls anfällig für radikale Ideologien sind. Wichtig ist, gegen diejenigen vorzugehen, die diese Personen gezielt ansprechen und rekrutieren wollen. Und die Frage ist auch, ob wir psychisch auffälligen Menschen ausreichende sozialpsychiatrische Unterstützung bieten. Eine gefährdete Person früher zu erreichen, kann Schlimmeres verhindern.

Ist auf diesem Gebiet bislang zu wenig passiert?

Grote: Es hat bislang nicht automatisch jedes Rad ins andere gegriffen. Wir sind nun dabei, diesen möglichen Täterkreis früher, niedrigschwelliger und mit zusätzlichem Sachverstand in den Blick zu nehmen.

Gehören Bodycams, also auf der Schulter getragene Kameras, irgendwann zur Standardausrüstung von Streifenpolizisten in der Hansestadt?

Grote: Wir werden den Einsatz von Bodycams jedenfalls deutlich ausweiten. Die Pilotierung auf St. Pauli war sehr erfolgreich und ist in den Regelbetrieb überführt worden. Nun schaffen wir weitere Geräte an und bringen die Technik sukzessive auch in anderen Bereichen zum Einsatz.

Auch bei Demonstrationen?

Grote: Ja, das halte ich für gut denkbar. Weil der Einsatz der Bodycams nachweislich deeskalierend wirkt und das Verhalten auf beiden Seiten dokumentiert.