Hamburg . Der Prozess gegen Ahmad A., der im Juli 2017 in Barmbek einen 50-Jährigen erstach, hat begonnen.
Bemerkenswert ist weniger das, was Ahmad A. sagt, sondern das, was er nicht sagt. Kein Wort der Reue, kein Wort für die Hinterbliebenen des Getöteten oder die durch seine Hand Verletzten. Kein Wort für jene Menschen also, auf die der 26-Jährige aus einer diffusen Wut über das den Muslimen weltweit angeblich widerfahrende Unrecht am 28. Juli 2017 in und vor einer Edeka-Filiale in Barmbek wahllos einstach. Die er tötete, die er verletzte. Und die er mit seiner grausamen Tat fürs ganze Leben prägte.
Einige von ihnen treten als Nebenkläger auf, ihre Anwälte sitzen nur wenige Meter vom Angeklagten entfernt. Für sie dürfte die Erklärung, die Ahmad A.s Verteidiger Christoph Burchard verliest, wenig Erhellendes zutage fördern. Bis auf die ernüchternde Einsicht, dass da jemand sitzt, der sich ganz offensichtlich einen Dreck um die Opfer und ihre Befindlichkeiten schert.
Ahmad A. brabbelt zwischendurch Unverständliches
Ahmad A. trägt einen Vollbart und eine Brille, seine Miene wirkt wie versteinert, zwischendurch brabbelt er Unverständliches, vielleicht Koranverse, wer weiß das schon. Seit Freitag steht der 26-Jährige vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts, angeklagt wegen Mordes aus Heimtücke und niederen Beweggründen, wegen sechsfachen versuchten Mordes und sechsfacher gefährlicher Körperverletzung. So grausig die Vorwürfe, so kaltblütig die Reaktion des Täters.
So brüstete er sich gegenüber einem LKA-Beamten zwei Tage später regelrecht mit dem als „Messerattentat von Barmbek“ bekannt gewordenen Verbrechen. „Man hat gemerkt, dass er sehr stolz war auf das, was er geschafft hatte“, sagt der als Zeuge geladene Polizist am Freitag. Als der Messerstecher die Zahl seiner Opfer erfahren habe, sei er „erfreut“ gewesen. Während der Vernehmung habe er „Gott gedankt“, die ganze Zeit „süffisant gelächelt“ und eine „stolze Körperhaltung“ eingenommen.
Nachdem er den „göttlichen Auftrag“ erhalten habe, sei es sein Ziel gewesen, möglichst viele junge deutsche Christen zu töten. „Er fand es schade, dass er nicht noch mehr töten konnte, außerdem wäre er ja gern als Märtyrer gestorben“, sagt der Beamte. Zudem habe ihm Ahmad A. berichtet, dass er vor der Messerattacke über ein Attentat mit einem Lastwagen oder einem Auto nachgedacht habe.
Das Geständnis des Angeklagten fällt dürftig aus
Die Erklärung von Ahmad A. – es ist sein Geständnis – fällt dürftig aus. „Mein Mandant räumt die Anklagevorwürfe in allen Punkten ein“, sagt Verteidiger Burchard. „Er übernimmt die Verantwortung und bekennt sich ausdrücklich schuldig.“ Zu dem Tatgeschehen selbst könne er sich konkret nicht äußern, weil ihm verlässliche Erinnerungen fehlten. Zumal er an jenem Nachmittag unter einer „großen inneren Anspannung“ gestanden habe. Sein Mandant räume aber ein, dass die Tat einen „religiösen Hintergrund“ hatte.
Religiös ja, terroristisch nein – so bewertet die Anklägerin, die Bundesanwaltschaft, den Fall. „Wir haben bei unseren Ermittlungen nicht feststellen können, dass er Verbindungen zu Terroristen hatte“, sagt Anklagevertreterin Yasemin Tüz. Der Umstand, dass Ermittler im Zimmer des Angeklagten eine selbst gebastelte IS-Fahne entdeckten und er selbst kurz nach der Tat einem Vernehmungsbeamten in den Block diktierte: „Ich bin ein Terrorist“, reiche nicht aus, um ihn auch der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu bezichtigen.
Die Anklage ist sicher, dass Ahmad A. voll schuldfähig ist
Auch Wahnsinn – im klinischen Sinne – stand wohl nicht hinter dem Exzess. Ohne dem noch einzuführenden psychiatrischen Gutachten vorgreifen zu wollen, könne sie sagen, dass Ahmad A. zum Tatzeitpunkt „voll schuldfähig“ war, sagt Tüz.
Wie aus der Anklage hervorgeht, hatte sich in dem ausreisepflichtigen Palästinenser eine diffuse Wut aufgestaut. Im Allgemeinen darüber, dass Muslime weltweit unterdrückt würden. Ganz konkret beschäftigte Ahmad A. Ende Juli 2017, dass israelische Sicherheitskräfte seinen Glaubensbrüdern den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem erschwerten. Aus seiner Sicht trug Deutschland daran eine Mitverantwortung, und deshalb sollten möglichst viele deutsche Christen durch seine Hand sterben.
Der Angeklagte bezeichnete die Tatwaffe als „Schwert“
Er nahm ein Kochmesser aus einer Auslage der Edeka-Filiale an der Fuhlsbüttler Straße – ein Messer, das er später als „Schwert“ bezeichnete –, und stach damit wuchtig auf einen völlig arglosen Kunden ein. Matthias P. (50) verblutete noch am Tatort. Sein zweites Opfer überlebte nur dank einer Notoperation. Sodann stürmte er nach draußen, stach auf drei weitere Menschen ein und verletzte sie schwer. Eine vorbeifahrende Radfahrerin hatte noch Glück: Ein kraftvoller Stich in Richtung ihres Herzens verfehlte sie knapp. Schließlich verpasste er noch einer weiteren Passantin im Vorbeigehen einen Stich in den Brustkorb. Auch sie wurde schwer verletzt.
Erst dann gelang es mehreren Augenzeugen, den Mann mit Klappstühlen und Steinen in Schach zu halten. „Seine Taten“, so die Anklage weiter, „wollte der Angeschuldigte im Kontext islamistischer Anschläge wahrgenommen und mithin als Beitrag zum weltweiten Dschihad verstanden wissen.“
Ahmad A. fühlte sich von der „westlichen Lebensweise“ angezogen
Auch Ahmad A. äußert sich am Freitag, aber nur zu seiner Person. Auf Fragen des Vorsitzenden Richters Norbert Sakuth zu seinem Glauben antwortet der 26-Jährige ausweichend – oder gar nicht. Sonderlich religiös sei sein akademisches Elternhaus jedenfalls nicht geprägt gewesen. Als er nach dem Abitur 2008 den Gazastreifen verließ und nach einem kurzen Studium in Ägypten zunächst nach Norwegen ausreiste, beseelte ihn nicht nur die Hoffnung auf ein besseres Leben – er fühlte sich auch stark von der „westlichen Lebensweise“ angezogen, trank Alkohol und konsumierte Drogen. „Ich habe nur meiner Lust hinterhergejagt“, sagt der Angeklagte.
Doch das Leben in Europa – mit weiteren Stationen in Schweden, Spanien und schließlich in Deutschland – habe ihn enttäuscht. „Ich hatte den Eindruck, dass ich nicht willkommen bin.“ Nach der Ablehnung seines Asylantrags Ende 2016 habe er wieder nach Gaza ausreisen wollen, doch es hätten Papiere gefehlt.
Zu seiner Radikalisierung äußert sich der Angeklagte nicht
Wie und warum sich der Palästinenser radikalisierte, sind drängende Fragen in diesem Prozess. Fragen, die Ahmad A. aber nicht beantworten will. Deutlich gesprächiger war der Messerstecher kurz nach der Tat.
Während seiner Vernehmung sagte er aus, er habe alle Publikationen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gelesen, erinnert sich der LKA-Zeuge am Freitag. Unvermittelt habe er dabei einen Treue-Eid auf IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi abgelegt. Der IS selbst habe von seinem blutigen Plan allerdings nichts gewusst. „Nur Gott wusste davon.“