Hamburg. Steigt der HSV ab, gäbe es in der zweitgrößten deutschen Stadt keinen Erstligaclub in den fünf populärsten Männer-Teamsportarten mehr.

"Die weltweit beste Werbung für die Bekanntheit der Stadt Hamburg wäre, wenn der HSV die Fußball-Champions-League gewinnen würde." Dr. Hariolf Wenzler hat dies vor etwa 18 Jahren gesagt. Damals war er Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH – und der HSV machte gerade mit einem spektakulären 4:4 in der Königsklasse gegen Juventus Turin (13. September 2000) zumindest in Europa positiv auf sich aufmerksam.

Inzwischen hat sich der Hamburger Sport Verein, präziser: die ausgegliederte Aktiengesellschaft, in eine ganz andere Richtung entwickelt. Von einer Wiederholung des Triumphes im Europapokal der Landesmeister (1983) ist der einst ruhmreiche Club heute als Vorletzter so weit entfernt wie von der Tabellenspitze der Bundesliga. Im fünften Jahr in Folge kämpft die Mannschaft gegen den Abstieg, mit Wetten auf den Klassenerhalt können Zocker in diesen Tagen eine Menge Geld verdienen.

Nur Essen ohne Erstligaverein

Stiege der HSV tatsächlich am Saisonende ab, würde Hamburg eine nicht besonders erstrebenswerte Besonderheit auszeichnen. In der nach Berlin zweitgrößten deutschen Stadt gäbe es dann in den nach Zuschauerzahlen und Saisonetats fünf populärsten Männer-Mannschaftssportarten, im Fußball, Basketball, Eishockey, Handball und Volleyball keinen Erstligaverein mehr.

Unter den zehn nach der Einwohnerzahl größten deutschen Städten ist das derzeit nur in Essen, Nummer neun dieses Rankings, der Fall. Und: Europaweit spielt in der zweitgrößten Stadt des jeweiligen Landes mindestens ein Verein in der höchsten Fußballklasse (siehe Infowinkel unten).

Absturz in Zweitklassigkeit droht

Die Bundesrepublik Deutschland bildete in diesem Zusammenhang allerdings des Öfteren eine Ausnahme, als nach den fünf Abstiegen von Hertha BSC selbst die größte Metropole nicht in der Belletage kickte. Dafür wurden die Berliner in den anderen vier Sportarten umso erfolgreicher vertreten. Alba (Basketball), Eisbären (Eishockey), Volleys (Volleyball) feierten in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt deutsche Meisterschaften, die Füchse (Handball) gewannen in Doha (Katar) zweimal die Club-Weltmeisterschaft.

Anders ist die Lage in Hamburg. Der Stadt droht in diesem Jahr der ultimative Sturz in die sportliche Zweitklassigkeit. Ende November 2015, nach der gescheiterten Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2024/2028, setzte der Abwärtstrend ein. Die HSV-Handballer, 2011 deutscher Meister, 2013 Champions-League-Sieger, meldeten kurz danach Insolvenz an und sich als Tabellenvierter aus der Bundesliga ab.

Freezers nach 14 Jahren zurückgezogen

Die US-amerikanische Anschutz Gruppe (AEG) zog fünf Monate später ihre Hamburg Freezers nach 14 Jahren – und angeblich 50 Millionen Euro Gesamtverlust – aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zurück. Und das Volleyballteam (VT) Aurubis entschloss sich im Frühjahr 2016 nach dem Ausscheiden des Hauptsponsors und Namensgebers zu einem Neubeginn in der Zweiten Frauen-Bundesliga Nord.

Alle drei in finanzielle Not geratenen Teams hätten wohl gerettet werden können. Partner aus der lokalen und regionalen Wirtschaft standen für eine mittelfristige Weiterführung des Spielbetriebes auf Erstliganiveau bereit, ihre Millionen waren aber offenbar nicht gewollt. In allen drei Fällen entschieden sich am Ende die Hauptgesellschafter/Eigner der Clubs für den Crashkurs.

Handballer werfen um Aufstieg in Zweite Liga

Zwei Jahre später nun werfen die Handballer des HSV Hamburg immerhin um den Aufstieg in Zweite Bundesliga. Die Farmsener Crocodiles, die sportlichen Erben der Freezers, dümpeln dagegen in der unteren Tabellenhälfte der Oberliga Nord, und die Neugrabener Volleyballerinnen des VT Hamburg werden trotz eines komfortablen Zweitliga-Etats regelmäßig von der minder bemittelten Konkurrenz abgeblockt.

Die angestrebte Rückkehr in die Erste Liga ist kein Thema mehr, vielmehr droht ein Rückzug selbst aus dieser Klasse. Blieben noch die Hamburg Towers: Der erst vier Jahre alte Wilhelmsburger Verein hat zwar das Ziel Aufstieg in die Basketball-Bundesliga in dieser Saison auch öffentlich ausgegeben, sportlich und wirtschaftlich hängen die Körbe dafür jedoch noch zu hoch.

Hamburg hat 54 Erstliga-Mannschaften

Dass es in den Hamburger Verbänden – inklusive der HSV-Fußballer – in diesem Jahr die stattliche Zahl von 54 Erstliga-Mannschaften gibt (siehe Liste links), 18 allein in den Hockeyvarianten Feld und Halle, scheint wiederum nur statistisch interessant. Die allgemeine Wahrnehmung und Wertschätzung dieser Teams ist gemessen an deren Besucherzahlen weiterhin überschaubar.

Sport ist bei Umsätzen und Umsatzimpulsen von mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr längst ein Image- und Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Steigt der HSV ab, eine weltweit bekannte und immer noch positiv besetzte Institution, drohen Hamburg allein bei Lohn- und Mehrwertsteuer Ausfälle im höheren zweistelligen Millionenbereich; einerseits wegen geringer Spieler- und Trainergehälter sowie mutmaßlichen Entlassungen auf der aufgeblähten Geschäftsstelle.

Andererseits dürfte das Ausbleiben auswärtiger Fans die Einnahmen in Hotels, Restaurants, Kaufhäusern und im öffentlichen Nahverkehr schmälern. Sportsenator Andy Grote, Mitglied des FC St. Pauli, fürchtet mehr noch ein Stimmungstief, das den gesamten Sport belasten könnte.

Stadt profitiert von Sportevents

Große Publikumsveranstaltungen sind das Lebenselixier des modernen Tourismus. Der Hamburger Sport bietet abgesehen vom Ligabetrieb immer mehr hochkarätige, massentaugliche Events, allein im vergangenen Sommer neun in zehn Wochen. Sie beleben die Stadt, machen sie attraktiver.

Handel, Hotels und Gastronomie profitieren davon in erster Linie. Sport steht bereits in der Häufigkeit an fünfter Stelle, wenn Reisende nach der Motivation ihres Hamburg-Besuchs gefragt werden. Mehr als eine Million Übernachtungen in der Stadt werden jährlich auf Sportveranstaltungen zurückgeführt.

60 Millionen Euro werden für Eintrittskarten ausgegeben

Geschätzte vier Millionen Menschen nehmen hochgerechnet aufs Jahr passiv (als Zuschauer) oder aktiv (als Teilnehmer) an den vielfältigen Hamburger Sportveranstaltungen teil. Etwa zwei Millionen Eintrittskarten, Gesamtwert: um die 60 Millionen Euro, werden jährlich bei Sportereignissen verkauft, die meisten beim Fußball-Bundesliga-Gründungsmitglied HSV, der sich weiter über rund 850.000 Besucher in der hauseigenen Arena freut. Der FC St. Pauli lockt in der Zweiten Fußball-Bundesliga knapp eine halbe Million Zuschauer ins meist ausverkaufte Millerntorstadion.

Auch Eishockey- und Handballspiele zogen einst Hunderttausende an. In der im November 2002 eröffneten Mehrzweckhalle im Volkspark (Kapazität: 13.000 Zuschauer) begrüßten die Freezers zu besten Zeiten jährlich fast 300.000 Gäste, zu den HSV-Handballern kamen bei weniger Heimspielen in Bundesliga und Europapokal bis zu 200.000.

Heute, zwei Ligen tiefer, spielen beide Sportarten immer noch vor fast vollen Häusern, aber eben in wesentlichen kleineren; die Handballer in der Sporthalle Hamburg in Winterhude (Kapazität: 3600), die Crocodiles im Eisland Farmsen (1800). Der Aufstieg nach dem Absturz ist mühsam. Der Hamburger Sport erzählt jetzt vor allem diese Geschichten. Noch scheinen sie halbwegs interessant zu sein.

Hamburg auch im Europavergleich Letzter

Was haben Hamburg und Birmingham (1,1 Millionen Einwohner) gemeinsam? Obwohl beide die zweitgrößten Städte ihres Landes sind, teilen sie sich den letzten Platz im europaweiten Top-Team-Vergleich. Beide Städte stellen in den höchsten Spielklassen der Sportarten Fußball, Eishockey, Basketball, Handball und Volleyball bei Frauen und Männern nur einen Club. Ein Tiefstwert.

Zum Vergleich: Amsterdam (851.000) und Rotterdam (635.00), die weniger als halb so viele Einwohner wie Hamburg haben, spielen mit sechs Vereinen um nationale Titel. Millionenmetropolen wie Barcelona, Madrid und Paris bringen es auf mindestens acht Teams. Spitze im Europaranking ist London mit 17 Topclubs, gefolgt von Moskau und Wien mit elf. Platz eins in Deutschland geht an die Hauptstadt Berlin (sieben Mannschaften).