Hamburg. Das Ensemble Resonanz, der Pianist Kit Armstrong und ein Computerflügel. Als hätte man Art Tatum eine Schippe Speed verabreicht.

Die Grundrechenart bei klassischen Konzerten ist normalerweise überschaubar: Der Solist oder die ­Solistin spielt leibhaftig eigenhändig ­jenen Flügel, aus dem die Musik kommt. Dienstagabend, Kleiner Saal der Elbphilharmonie, alles anders: Kit Armstrong, Stammgast in den Programmen des Ensembles Resonanz, saß ­unbeschäftigt am Flügel in der Mitte der Bühne, während links, im Scheinwerferlicht wie ein eingeflogener Stargast, ein Flügel vor sich hin spielte.

Ohne zehn Finger, die über die Tasten rasen, als hätte man dem Jazz-Pianisten Art ­Tatum eine Schippe Speed verabreicht; hier wären anatomische Sensationen gefragt, denn die zwei „Studies for Player Piano“ des seinerzeit von Ligeti für die Musikwelt entdeckten Amerikaners Conlon Nancarrow lassen sich mit nur zwei Händen nicht mehr bewältigen.

Grenzen der rhythmischen Möglichkeiten

Vor gut drei Jahrzehnten brauchte es für diese Raserei noch handgefertigte Lochkarten wie bei antiken Computern, heutzutage das „hochauflösende Selbstspielsystem“ Spirio, das einen Steinway-Flügel ganz ohne sichtbaren Pilot ab­heben lässt. Ob Armstrong nur anerkennend staunte oder ob ihm diese Software-Konkurrenz auch etwas unheimlich war? Sein ­Gesichtsausdruck blieb unentschieden.

Der musikalische Reiz erschöpfte sich zwar schnell, war jedoch das extremste – aber nicht das gelungenste Beispiel – für die clevere Programmatik dieses lehrreich angelegten Konzerts. Die Grenzen der rhythmischen Möglichkeiten austesten, und das im Überblick von der Renaissance (die dabei radikaler war, als viele ahnen) über Barockes von Bach bis zur Moderne von Ligeti selbst.

Stresstest für alle Beteiligten

Dessen Konzert für Klavier und ­Orchester ist nach wie vor ein extremer Stresstest für alle Beteiligten: Ständig zieht Ligetis Kompositionsweise den Boden unter den Füßen weg, wie beim Blick in ein Kaleidoskop ändert sich ­unentwegt alles, alles fließt, brodelt, hakt und öst polytonal in alle Richtungen. Rhythmusebenen sind zu verschieben, unterschiedliche Tempi reiben sich aneinander, harmonische ­Unklarheiten sind die Regel und nicht die Ausnahme. Armstrong behielt Nerven und Durchblick, während er seinen Part stemmte und donnerte; das auf Avantgarde-Anforderungen geeichte ­Ensemble war mit ihm in seinem Element.

Weniger aufregend und eher konventionell gerieten die Bach-Abschnitte: das Fünfte Brandenburgische war eine gediegene Fingerübung für Solisten, Streicher und Continuo, das Klavierkonzert BWV 1052, Qualitätsnachweis vor allem von Armstrong, bei dem der Spirio-Flügel ausgebremst am Spielfeldrand parkte. Interessante Kontrapunkte zu den beiden Nancarrow-Episoden ­boten die Miniaturen von William Byrd aus Shakespeares England, sodass man am Ende kaum noch wusste, in welcher Epoche man sich eigentlich gerade umhörte. Konzertziel erreicht.