Hamburg. Es ist schon ein wenig seltsam, dass in der Bühnenadaption des Romans „Schöne neue Welt“ so gar keine Beklemmung aufkommen will.

Aldous Huxleys ­Roman „Schöne neue Welt“ (1932) erzählt in einer düsteren Zukunftsvision vom Schrecken des Totalitarismus, vom Untergang des Individuums im Kollektiv. Harter Stoff also. Es ist da schon ein wenig seltsam, dass da in der Bühnenadaption von Jean-Claude ­Berutti am Altonaer Theater so gar ­keine Beklemmung aufkommen will.

Berutti scheint entschlossen, dem Roman ein solides Stück Unterhaltung abzutrotzen. Die in Kategorien gezüchteten Bewohner der „schönen neuen Welt“ tauchen hier als eine Schar rivalisierender (männlicher) Alpha-Plus-Tiere und als tumber (weiblicher) Gamma-Chor mit schlecht sitzenden Perücken auf. Sie schenken das Drogengetränk „Soma“ aus, das das Hirn für jeden kritischen oder aufrührerischen Gedanken vernebelt. Es herrschen verordnetes Glück und Stabilität. Freiheit?

Unverständliches Risiko

Ist ein unverständliches Risiko. Bei rund 65 Jahren liegt die Lebensgrenze. Widerstand regt sich trotzdem. Etwa bei Bernhard Marx (Sebastian Herrmann), der mit der ganz im Systemsinne promisken Lenina (Verena Wolfien) eine Affäre unterhält. „Ich möchte echte Leidenschaft erleben. Echte Gefühle!“, sagt er. Ein Satz, der hier klingt wie aus einer Vorabendsoap.

Ausstatterin Birgit Voß hat das Bett des Paares, das die „auswärtige Zone“ bereist, vor eine apokalyptisch zugewucherte New-York-Wandtapete gestellt. Noch seltsamer aber erscheint die altertümliche Bienenwabenkulisse, die an das frühere TV-Rate-Format „Dalli Dalli“ erinnert. Doch die Show will nicht zünden, was auch an einem von Anfang an verschleppten Tempo liegt. Sie gipfelt in einer wirklich bodenlosen Travestie-Szene, in der Bernhard Marx als zerknirschte Julia und Marx’ einzig verlässlicher Freund Helmholtz Watson als Gräfin Capulet den Shakespeare-Klassiker veralbern.

John verweigert sich der „Zivilisation“

In der Show will der aufgekratzte Marx den in der äußeren Zone gefundenen heimlichen Sohn des Oberhaupts Henry Foster – Frank Jordan in lächerlicher Cäsar-Tunika samt Lorbeerkranz – als „Wilden“ vorführen. Doch John verweigert sich der „Zivilisation“ und ist bereit, den Preis dafür zu zahlen. Johan Richter spielt ihn mit jugendlicher Dauerimpulsivität, unermüdlich Shakespeare-Verse rezitierend.

Erst am Schluss, als alle Aufrührer auf einsame Inseln verbannt wurden und Jacques Ulrich als Weltaufsichtsrat Mustapha Mond auftaucht, kommt es zu tieferen Gesprächen und für John zu einem dramatischen letzten Ausweg. Die tapferen Schauspieler können die Schieflage des Konzepts kaum aufwiegen. Am ehesten noch Thomas Klees als gutmütig besonnener Revoluzzer Helmholtz Watson.

Huxleys Dystopie ist im Angesicht gegenwärtiger Autokraten in der Welt erschreckend aktuell. Für einen etwas albernen, unterhaltsamen Komödienabend ist sie einfach zu schade.

Schöne neue Welt“