Hamburg. In der Tragikomödie „Vincent Will Meer“ kann das Ensemble überzeugen, die Regie bleibt allerdings unentschieden.

Es geht feierlich los. Der leicht geöffnete Bühnenvorhang gibt den Blick auf eine Urne und das Bild einer Verstorbenen frei, ein Pfarrer spricht salbungsvolle Worte aus dem Off. Dann stürmt ein junger Mann auf die Bühne und klemmt sich die Urne unter den Arm. Vincent (Moritz Leu) trägt keine schwarze Trauerkleidung, sondern Trainingshose, Windjacke, Turnschuhe und zwei unterschiedliche Wollsocken. Schon optisch präsentiert er sich als Außenseiter. Dann purzeln unvermittelt obszöne Worte aus seinem Mund. Vincent leidet unter dem Tou­rette-Syndrom, was seinem Vater (Till Demtrøder), einem bayrischen Landespolitiker, so gar nicht in den Kram passt. Er ist mitten im Wahlkampf, hat eine neue Frau und schiebt den auffälligen Sohn in ein Heim ab. Karriere geht vor.

Bei ihrer aktuellen Premiere setzen die Hamburger Kammerspiele auf ein Erfolgsstück, das ursprünglich im Kino lief. Mehr als eine Million Zuschauer haben 2010 die Tragikomödie gesehen, in der Florian David Fitz die Hauptrolle gespielt und für die er das Drehbuch geschrieben hat. Auch auf deutschen Bühnen ist die ebenfalls von Fitz geschriebene Theaterfassung sehr erfolgreich gelaufen. Nach der Uraufführung in Wiesbaden 2014 haben unter anderem Theater in Stuttgart, Halle und Aachen Fitz’ Stück inszenieren lassen. An den Kammerspielen führt Ralph Bridle Regie, der vor allem als Regisseur von Fernseh-Soaps wie „Rote Rosen“ und „Verbotene Liebe“ gearbeitet hat.

Es hapert an überzeugenden Ideen

„Vincent Will Meer“ erzählt die Geschichte von drei jungen Leuten, die in einem Sanatorium aufeinandertreffen und nach der Flucht daraus zu einer Zweckgemeinschaft werden. Alexander (Christopher Ammann), der unter Zwangsstörungen leidet, auf penible Sauberkeit achtet und von niemandem berührt werden möchte, ist bei dem folgenden Road-Trip allerdings unfrei­willig dabei. Als er verhindern will, dass Vincent und die magersüchtige Marie (Angelina Häntsch) das Auto der Heimärztin Dr. Petrova (Marina Weis) stehlen, packen die beiden Alexander kurzerhand, verfrachten ihn auf die Rückbank und rasen davon. Ziel ist Italien. Das Meer. Dorthin will Vincent die Asche seiner Mutter bringen, die er inzwischen aus der Urne in eine Blech­dose umgefüllt hat.

Im Kino spielten 2010 Florian David
Fitz und Johannes Allmayer
Im Kino spielten 2010 Florian David Fitz und Johannes Allmayer © picture alliance

Im Kino eine Reise zu illustrieren ist einfach, weil mit der Kamera Panoramen aus verschiedenen Blickwickeln eingefangen werden können und Bewegung sich leichter darstellen lässt. Auf einer Bühne gestaltet sich das wesentlich schwieriger. An dieser Stelle hapert es Regisseur Bridle an überzeugenden Ideen. Seinen Protagonisten ein Lenkrad in die Hand zu geben, erscheint überflüssig und wirkt etwas albern, wenn parallel dazu im Hintergrund Videos laufen, die im Innenraum eines Autos gedreht worden sind.

Genaues Spiel

Eine Autofahrt können sich Zuschauer auch vorstellen, ohne dass Schauspieler ein Steuer in der Hand halten. Auch der Fokus darauf, was an der Vorlage besonders interessiert, bleibt unentschieden. Die Szenen wechseln zwischen der Fahrt der drei Patienten und ihren beiden Verfolgern. Doch die Dialoge zwischen Vater Robert (Demtrøder bedient ziemlich gekonnt jedes Klischee eines reaktionären Machos und selbstgefälligen Politikers) und der Kette rauchenden Ärztin sind weniger interessant als die Gruppendynamik zwischen Vincent, Marie und Alexander.

Die Schauspieler Leu, Häntsch und Ammann überzeugen alle drei durch ihr genaues Spiel. Den schwierigsten Part hat Moritz Leu, der seine Tourette-Tics immer dann einsetzen muss, wenn er mit emotionalen Situationen nicht mehr klarkommt. Sehr berührend sind die Szenen, in denen er seine Liebe zu Marie entdeckt. Hilflos steht er diesem neuen, überwältigenden Gefühl gegenüber. Angelina Häntsch ist der Motor des Trios. Sie hält sehr lange offen, ob ihre Marie die beiden Begleiter nur benutzt, um ihre Todessehnsucht zu voll­enden oder ob sie wirklich Gefühle für Vincent entwickelt. Christopher Ammann zeigt sehr behutsam, wie sich der neurotische Alexander von ein paar seiner Zwänge befreit. Am Ende schafft er es sogar, Vincent zu umarmen – wenn auch noch etwas zögerlich.

Nicht lustig genug

Die Schauspieler verdienen in dieser Aufführung klar die Pluspunkte, die Regie dagegen bleibt zu ideenlos, denn es gelingt ihr nicht, Schwerpunkte zu setzen. Für eine Komödie ist Bridles Inszenierung nicht lustig genug, eine tiefe Auseinandersetzung mit den Ticks der Sanatoriumsbewohner gibt es auch nicht. Vielleicht ist die Vorlage für ein Theaterstück auch etwas zu dünn. Was im Kino mit seinen visuellen Möglichkeiten gelingt, muss nicht zwangsläufig auf einer Bühne funktionieren.

„Vincent will Meer“ Vorstellungen bis zum 25. Februar, Hamburger Kammerspiele (Bus 4,5) Hartungstraße 9–11, Karten ab 10,- unter T. 413 34 40 oder in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, T. 30 30 98 98