Neustadt. Für Schmerzensgeld, Schadenersatz und Beerdigungskosten solle der Angeklagte Ricardas D. aufkommen.
Dass ihr einziger Sohn umgekommen ist, mitten aus dem Leben gerissen durch einen entsetzlichen Verkehrsunfall, erfuhr Heike B. am Telefon. Ein Polizeibeamter rief bei der Frau an und überbrachte ihr die Todesnachricht – niemand war in dem Moment bei ihr, als Halt, als Stütze in diesen ersten, zutiefst schockierenden, verstörenden, schmerzvollen Momenten.
Mittlerweile sind acht Monate vergangen, und die Mutter hat nicht einmal ansatzweise den Verlust ihres Sohnes verwinden können. Es ist eine Wunde, von der niemand weiß, ob sie sich jemals schließen wird.
Dem Mann, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist, kann die Mutter nicht in die Augen sehen. Dazu hat die 61-Jährige nicht die Kraft. Denn dafür müsste sie in den Prozess vor dem Schwurgericht kommen, wo Ricardas D. wegen des tödlichen Verkehrsunglücks vom 4. Mai 2017 am Ballindamm unter anderem wegen Mordes angeklagt ist.
Mutter fordert 35.000 Euro vom Todesfahrer
Für eine solche Konfrontation ist Heike B. weiterhin zu stark psychisch beeinträchtigt. Es gehe ihr immer noch ausgesprochen schlecht, sagte ihr Anwalt Gregor Maihöfer. In dem Verfahren gegen den Unfallfahrer stellte der Jurist gestern einen Antrag, wonach seiner Mandantin Schmerzensgeld und Schadenersatz zuzusprechen sei. Vorläufig sei von mehr als 35.000 Euro auszugehen, so Maihöfer. In der Summe enthalten sind auch die Beerdigungskosten für John B. in Höhne von 5054,82 Euro, die bisher die Mutter zahlen musste.
Der 22 Jahre alte John B. hatte auf der Rücksitzbank des Taxis gesessen, in das der Angeklagte Ricardas D. frontal hineingerast war. Laut Anklage hatte der 25-Jährige zunächst ein Taxi gestohlen und dann auf der Flucht vor einem ihn verfolgenden Polizeiwagen das Tempo immer weiter forciert – auf zuletzt 145 Kilometer pro Stunde. Alkoholisiert und ohne Licht raste er demnach durch die Innenstadt, wechselte schließlich auf die Gegenfahrbahn und fuhr in ein entgegenkommendes Taxi.
Schwerer Verkehrsunfall nach Verfolgungsjagd in der City
John B. starb noch am Unfallort, sein Freund Phillip Z. wurde schwerst verletzt, ebenso wie Taxifahrer Mehmet Y. Laut Staatsanwaltschaft hat der Raser den Tod eines Menschen „billigend in Kauf genommen“, gefährdete rücksichtslos andere und zeigte damit eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer Verkehrsteilnehmer.
Der Angeklagte selber hatte am ersten Verhandlungstag durch seinen Verteidiger erklären lassen, er könne sich an nichts erinnern, sei aber „unglaublich erschrocken“ gewesen, als er erfuhr, dass durch sein Verhalten ein Mensch zu Tode kam und zwei weitere schwer verletzt wurden. „Das lastet schwer auf seinem Gewissen. Er bedauert außerordentlich, was er getan hat.“
Mutter verlor ihren Job
Heike B.s Anwalt Maihöfer fordert in seinem Adhäsionsantrag, der angeklagte Litauer sei wegen eines Schmerzensgeldanspruchs des getöteten 22-Jährigen zu 10.000 Euro zu verurteilen, die die Mutter von John B. als dessen Erbin bekommen müsse. Es sei nicht auszuschließen, dass der 22-Jährige den Sterbeprozess „bewusst oder eingetrübt ebenso wie Schmerzen noch realisierte“, so der Anwalt.
Ferner müsse Ricardas D. für die Beerdigungskosten aufkommen. Darüber hinaus stehen Heike B. laut Maihöfer 20.000 Euro Schmerzensgeld zu. Dies ergebe sich daraus, dass „durch eine Todesnachricht ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen Krankheitswert haben“. Dies sei unter anderem durch die „unglaubliche Art der Übermittlung der Todesnachricht“ am Telefon gegeben.
Von einem Psychiater sei der Mutter auch noch Monate nach dem tödlichen Unglück „eine besonders intensive Trauerreaktion attestiert“ worden, die Krankheitswert habe. „Pathologische Schockschäden führen zu Angehörigen-Schmerzensgeld.“ Zudem habe Heike B. „als mittelbare Folge ihrer psychischen Beeinträchtigungen ihren Arbeitsplatz verloren“.
Angeklagter wollte in Hamburg mehr Geld verdienen
Unterdessen sagte eine Psychiatrische Sachverständige im Prozess, bei dem Angeklagten Ricardas D. sei nicht von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit oder auch Einsichtsfähigkeit auszugehen. Dagegen spreche unter anderem sein „zielgerichtetes Handeln“, etwa dass er durch massives Beschleunigen versuchte, vor der Polizei zu fliehen. Es werde nicht einfach „ausgeblendet“, dass eine solche Raserei gefährlich sei, so die Sachverständige. Wahrscheinlich sei aber ein „gewisser Tunnelblick, nach dem Motto: Wie komme ich da raus“.
Der Angeklagte habe ihr gegenüber gesagt, dass er das Taxi nicht gestohlen habe. „Er meinte, er sei zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen“, berichtete die Gutachterin. An den Unfall selber könne er sich nicht erinnern, wohl wegen eines Schocks, aber auch, weil er vor dem Unfall viel Alkohol getrunken habe.
Ricardas D. selber gab zu seiner Vita an, er sei nach diversen schlecht bezahlten Jobs nach Deutschland gekommen, in der Hoffnung, hier Geld zu verdienen. „Ich guckte mir im Internet eine Karte von Deutschland an, sah Hamburg und dachte, es ist gut, dort hinzugehen.“