Hamburg. Der wegen Mordes angeklagte Fahrer zeigte keine Regung, als eine Medizinerin die schweren Verletzungen der Opfer beschrieb.

Es hätte nicht viel gefehlt, und es hätte drei Todesopfer gegeben. Diese Trümmer, die einmal zwei Taxis waren – nun, nach einem Frontalzusammenstoß komplett zerstört: Einen Feuerwehrmann hatte das Szenario in Hamburgs City am Ballindamm an „einen schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn“ erinnert. Kaum vorstellbar, dass bei dieser furchtbaren Kollision überhaupt Menschen lebend davongekommen sind. Doch die, die es taten, hatten sehr viel Glück.

Staatsanwaltschaft geht von Vorsatz aus

Denn bei zwei der Opfer, die das Verkehrsunglück vom 4. Mai überlebt haben, bestand Lebensgefahr. Das sagte am Mittwoch eine Rechtsmedizinerin im Prozess gegen den Mann aus, der sich für den Unfall unter anderem wegen Mordes vor dem Schwurgericht verantworten muss.

Ein 22-Jähriger kam damals ums Leben, zwei weitere Männer wurden schwer verletzt. Ricardas D. hatte ein gestohlenes Taxi laut Anklage auf der Flucht vor einem ihn verfolgenden Polizeiwagen mit zuletzt Tempo 145 auf die Gegenfahrbahn gelenkt und war frontal mit einem anderen Taxi kollidiert.

Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass der 25-Jährige „rücksichtslos“ gefahren ist, „vorsätzlich Leib und Leben anderer gefährdet“ und damit eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer Verkehrsteilnehmer gezeigt hat.

Taxifahrer überlebte nur knapp

Taxifahrer Mehmet Y., der nach dem Aufprall zwischen seinem Sitz und dem Lenkrad eingeklemmt war, sei „in akuter Lebensgefahr“ gewesen, sagte die Rechtsmedizinerin. Eine Stunde hatte es gedauert, bis Rettungskräfte das Opfer aus den Trümmern befreit hatten.

In dieser Zeit hatte der 57-Jährige einen Blutdruck, der nicht mehr messbar war, und eine deutlich zu geringe Sauerstoffsättigung des Blutes, vermutlich durch eine Quetschung des Brustkorbes. Zudem erlitt er unter anderem eine schwere Beckenfraktur, Brüche an den Lendenwirbeln, an Oberschenkel und Fuß.

Es sei zu erwarten, so die Sachverständige, dass ein Opfer, das eisern in der Reha an seiner Gesundung arbeitet, sehr große Fortschritte mache. „Aber ob er jemals wieder schmerzfrei sein wird, kann ich nicht sagen.“

Fahrgast erlitt schwere Hirnverletzungen

Auch die Verletzungen, die einer der beiden Fahrgäste erlitt, seien „aus rechtsmedizinischer Sicht potentiell lebensgefährlich“, erläuterte die Sachverständige. Sebastian Z. hatte schwere Kopfverletzungen, eine Blutung in der Milz und etliche Frakturen davongetragen. Ein Patient, der solche Hirnverletzungen erleitet, müsse zunächst ununterbrochen kontrolliert werden, weil die Gefahr eine Gehirnschwellung bestehe, warnte die Rechtsmedizinerin.

Die Hirnverletzung hatte unter anderem die Lähmung diverser Nerven zur Folge, so dass es Beeinträchtigungen beim Sehen, Hören und der Konzentrationsfähigkeit gebe. Ob der 26-Jährige vollständig wiederhergestellt sein könne? „Das ist ein sehr langer, steiniger Weg.“

Am wenigsten beeinträchtigt war der Mann, der den Unfall verursacht hat. Oberschenkel und Sprunggelenk waren bei Ricardas D. gebrochen, darüber hinaus hatte er weitere eher geringfügige Verletzungen. „Zu keinem Zeitpunkt bestand potentielle Lebensgefahr“, erläuterte die Rechtsmedizinerin.

Zweieinhalb Wochen nach dem Unfall wurde der 25-Jährige aus dem Krankenhaus entlassen und ist seitdem in Untersuchungshaft. Die Expertise der Sachverständigen löst keine sichtbare Regung bei dem Angeklagten aus. Sein Gesicht bleibt so maskenhaft wie bei den vorangegangenen drei Verhandlungstagen.

22-Jähriger war wohl sofort tot

Diese Starre löst sich auch nicht, als eine weitere Rechtsmedizinerin von der Sektion des bei dem Unfall getöteten 22-Jährigen berichtet. John B. hatte demnach schwerste Kopfverletzungen mit einem schweren offenen Schädel-Hirn-Trauma. Zudem hatte er eine massive Verletzung der Lunge erlitten sowie etliche Frakturen.

Ob John B. vor seinem Tod noch irgendetwas mitbekommen habe, möchte der Vorsitzende Richter wissen. „Nein“, kommt die kurze Antwort der Sachverständigen. „Nach unserer Erfahrung sind das Verletzungen, die sofort tödlich sind.“ Der Prozess wird fortgesetzt.