Hamburg. Serie „Hamburgs Klassiker – neu entdeckt“. Heute: In der Röhre finden sich Kunstwerke, die vor 1911 mit viel Liebe geschaffen wurden.

Die hölzerne Fahrzeugkabine ruckelt etwas, als sie sich nach unten in Bewegung setzt; durch ein Fenster sind etliche Stahlseile zu erkennen, die sich auf dicken Rollen auf und nieder bewegen. Es surrt eine Weile, dann öffnet sich ein Tor und gibt den Blick auf diese schimmernde, schummrige Tunnelröhre frei, deren Ende man mehr ahnen als sehen kann. Im Sommer empfängt einen hier frische Kühle, im Winter hätte man es gern etwas gemütlicher. Selbst die Tunnel-Aufseher mit ihren weißen Mützen haben sich jetzt dicke Jacken über die Uniform gezogen.

Keramiker Hans 
Kuretzky (links) und Sanierungsprojekt­leiter Martin Bornhöft bei einem Inspektionsgang in der Weströhre
Keramiker Hans Kuretzky (links) und Sanierungsprojekt­leiter Martin Bornhöft bei einem Inspektionsgang in der Weströhre © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Man kennt diese Bilder als Hamburger, oft schon sind hier viele durchspaziert, zuerst vielleicht mit der Schulklasse, später mit auswärtigen Besuchern. Für einige ist es der tägliche Weg zwischen Job und Wohnung, vor allem Radfahrer nutzen den kurzen Weg unter der Elbe, der 1911 noch für viele Zehntausende Hafenarbeiter gebaut worden war und heute ein technisches Baudenkmal mit bundesweiter Bedeutung ist. Und ein Klassiker im Hamburg-Besuchsprogramm.

Keramikspezialist im Tunnel

Doch bevor wir wieder einmal in die Glitzer-Röhre eintauchen, lässt uns Hans Kuretzky kurz noch unten im Schachtgebäude auf der St.-Pauli-Seite innehalten. Er deutet nach oben in Richtung Kuppel: „Da sehen Sie den Tunnelgeist – der war einfach weg, als wir hier angefangen haben.“ Wir blicken hoch und entdecken an der halbrunden Wand riesige Keramik-reliefs oder „Medaillons“, wie Kuretzky sagt. Der 66-Jährige ist Bau-Keramiker und gilt als Experte für alte Fliesen und ihre Glasuren, die wie hier im Elbtunnel so etwas wie die individuelle Visitenkarte eines Bauwerks darstellen. In seiner Werkstatt bei Mölln hat er der hochgewachsene und studierte Keramik-Designer ein eigenes Glasur-Labor, hantiert dort mit vielen Pülverchen aus Nickel, Kobalt, Quarz, Kreide oder Kalkspat, um den originalen historischen Ton zu treffen.

Glücksbringer für den Tunnel

Bei der Restaurierung alter Treppenhäuser oder auch U-Bahnhöfen ist sein Wissen gefragt. Und eben immer wieder beim Elbtunnel, der seit 1994 schon für viele Millionen Euro saniert wird. Zuerst die Schachtgebäude, dann die derzeit gesperrte Oströhre, von 2019 an dann als Letztes die Weströhre. Und beim Schachtgebäude fehlte eben das Medaillon, das einen Tunnelgeist darstellt, also eine Art Glücksbringer für die Tunnelarbeiter.

Gut 2,40 Meter im Durchmesser sind diese symbolhaften Darstellungen groß. Ein Paar ist da beispielsweise zu erkennen, das sich die Hand reicht – Symbol für den Tunneldurchstich. Eine weitere Keramik symbolisiert Vertrag und Geldübergabe für das Bauwerk. Sogar die Summe ist zu erkennen: zehn Millionen Goldmark. In den 1970er-Jahren, in Zeiten allgemeiner Brachialarchitektur, hat man dann den Tunnelgeist einfach heraus­gehauen, um einen Lüfter einzubauen.

Die bisherigen Serienteile

Heute geht die für die Sanierung zuständige Hafenverwaltung Hamburg Port Authoriy (HPA) deutlich behutsamer mit dem Alten Elbtunnel um – was allein schon die Beauftragung des Keramik­spezialisten zeigt. Und für Kuretzky gibt es reichlich zu tun: Den Tunnelgeist konnte er anhand eines alten Fotos aus dem Staatsarchiv rekonstruieren.

Seehunde, Störe und Hummer

Auch die 84 unterschiedlichen Tierreliefs in den Röhren überarbeitet Kuret­zky im Zuge der Sanierung. Sie waren seinerzeit von dem 1967 verstorbenen Bildhauer Hermann Perl geschaffen worden. „Das war sein erster großer Auftrag; und er hatte freie Hand, wunderbar“, sagt Kuretzky, während wir in der Weströhre in Richtung Steinwerder schlendern. Scheinbar chaotisch verteilt, sind diese Tierreliefs aber tatsächlich sehr regelmäßig spiegelverkehrt angeordnet: Muscheln wie an der Westseite der Weströhre finden sich auch an der Ostseite der Oströhre, erklärt Kuretzky. „Alles, was Perl dargestellt hat, fand sich damals zuhauf im Hafen“, sagt er. So auch Hummer, Seehunde oder Störe. Und Witz hatte der Künstler Perl auch. Ein Relief zeigt alte Stiefel, an denen eine Ratte knabbert.

Alter Elbtunnel

Der Alte Elbtunnel
Der Alte Elbtunnel
Ein Relief im Alten Elbtunnel
Ein Relief im Alten Elbtunnel © Marcelo Hernandez
Fahrstühle im Alten Elbtunnel
Fahrstühle im Alten Elbtunnel © Marcelo Hernandez
Elbtunnel Architekt Wöhlecke
Elbtunnel Architekt Wöhlecke © Marcelo Hernandez
Alter Elbtunnel
Alter Elbtunnel © Marcelo Hernandez
Seehundrelief
Seehundrelief © Marcelo Hernandez
Alter Elbtunnel
Alter Elbtunnel © Marcelo Hernandez
Kurz vor Fertigstellung des Alten Elbtunnels 1910 kam der Kaiser
Kurz vor Fertigstellung des Alten Elbtunnels 1910 kam der Kaiser © Marcelo Hernandez
Elbtunnel8.jpg
© Marcelo Hernandez
1/9

Wir wandern weiter, passieren eine Art Bogen aus grauen Fliesen, hier beginnt im tiefsten Teil eine waagerechte Strecke – wichtig sei die Kennzeichnung noch für Pferdefuhrwerke gewesen, damit die Kutscher wussten, wie schnell sie ihre Pferde laufen lassen müssen, erläutert Kuretzky. Wenig später dann ist ein Bogen aus roten Kacheln zu erkennen. An dieser Stelle wurde der Tunnel 1982 kurzzeitig mit einer dicken Stahlbetonwand verschlossen, als oben Bagger für eine Elbvertiefung Schlick vom Grund buddelten. Hätte es dabei einen Schaden am Tunnel unterhalb des Elbgrunds gegeben, wäre eben nur ein Teil vollgelaufen. Nach dem Ausbaggern wurde ein Betonmantel auf dem Tunnel angebracht. Nicht nur als mechanischen Schutz, sondern auch, um zu verhindern, dass der Tunnel aufschwimmt.

So erklärt uns das jedenfalls Martin Bornhöft. Der 39 Jahre alte Ingenieur begleitet Keramik-Spezialist Kuretzky bei seinem Inspektionsgang, er ist für die HPA Projektleiter der Röhrensanierung. Warum das notwendig ist, kann er uns an den vielen Inspektionslöchern zeigen, die hier in der Weströhre in die Fliesendecke geschlagen wurden. Hinter den Fliesen erscheint dort ein grobporiger Beton, der wie ein Entwässerungssystem wirkt und das immer ein wenig eindringende Wasser nach unten in Pumpenschächte lenkt.

Wie eine Kathedrale

Dahinter sind noch genietete, etwa 30 Zentimeter breite Stahlringe, sogenannte Tübbinge, zu sehen, die die eigentliche Tunnel-Außenhaut darstellen. „Der Stahl ist noch völlig in Ordnung“, erläutert der Ingenieur. Nur die Bleifugen waren nach immerhin 100 Jahren angegriffen, sodass mehr Wasser in die Konstruktion gelangte, als es sollte. „Der Tunnel ist immer in Bewegung, auf und ab, nicht viel, aber ein bisschen“, sagt Bornhöft. Doch gerade weil der Stahl genietet und nicht fest geschweißt ist, konnte er diese nicht wahrnehmbaren Bewegungen quasi auffangen. Eine völlig starre Konstruktion wäre längst gebrochen. Andächtig schauen nun Ingenieur und Keramiker in ein solches Inspektionsloch hinein. Wie fest das sei, sagt der eine. Wie gut erhalten noch nach 100 Jahren, sagt der andere. „Man muss auf Knien sinken, angesichts dieser Qualität der Arbeit“, sagt Kuretzky.

Weiter geht’s nun, kurz vor dem Schachtgebäude von Steinwerder blicken alle noch einmal in den schimmernden Tunnel. „Sieht das nicht aus wie eine von vielen Lüstern beleuchte Kathedrale?“, fragt Kuretzky und hat auch dafür eine Erklärung: Sieben unterschiedliche graue und blaue Farbnuancen sind allein in den Wandfliesen verarbeitet, bewusst seien sie auch etwas unregelmäßig verlegt worden. „Sonst würde das aussehen wie ein eintönig in gerader Reihe gepflanzter Nadelwald, so aber wie ein schöner Mischwald“, sagt Kuretzky. Auch die Glasur der Deckenfliesen schimmert vielgliedrig und facettenreich. Lange hat er nach einem Unternehmen gesucht, das solche Fliesen nachbrennen kann. Immerhin 370.000 Stück pro Röhre müssen bei der Sanierung ausgetauscht werden, weil man sie anders als die Reliefs nie heil herauslösen kann, so fest sind sie verlegt. In der sanierten Oströhre sind die neuen, aber irgendwie doch alten Fliesen schon zu sehen.

Verzierung sollte die Angst vor dem Tunnel nehmen

Schließlich ist das Schachtgebäude auf Steinwerder erreicht. An der Wand prangen wieder Keramik-Medaillons mit symbolhaften Darstellungen. Hier geht es um die antiken Elemente der Welt: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Dargestellt mit technischen Errungenschaften der Jahrhundertwende. Ein Zeppelin und Vögel symbolisieren die Luft, ein U-Boot und Fische das Wasser, der gerade erfundene Kettenbagger und Ratten die Erde und ein damals moderner Stahlkocher das Feuer.

Spätestens jetzt wird klar, dass der Alte Elbtunnel nicht nur ein Meisterwerk der Ingenieurskunst war und ist. Schönheit, Anmut, Verzierung – das prägt ihn ebenso. Ein Bauwerk, das „zwar völlig im Zwecke aufgeht, bei dessen Verwirk­lichung aber nichts unterlassen worden ist, was dazu beiträgt, diesem Zwecke die Schönheit zu verbinden“, wie schon die „Hamburger Nachrichten“ 1911 schrieben. Aber auch diese Schönheit hatte und hat einen Zweck, sagt Kuretzky. „Das macht den Tunnel sympathisch, und man ist gern hier.“ Man habe den Leuten die Angst davor nehmen wollen, so einfach unter dem Wasser vom einem Ufer zum anderen zu gelangen. Ein steriler, grauer Tunnel, sagt Kuretzky, würde da viel bedrohlicher wirken. Wohl auch heute noch.