Hamburg . Ein halbes Jahr nach der tödlichen Messerattacke in Barmbek muss sich ein 26-Jähriger vor Gericht verantworten. Was war sein Motiv?

In einem Hamburger Supermarkt nimmt ein junger Mann ein Küchenmesser aus der Auslage und sticht wahllos auf Kunden ein. Ein 50-Jähriger stirbt. Mit dem blutigen Messer in der Hand rennt der Täter auf die Straße, verletzt weitere Opfer - bis ihn mutige Passanten stoppen können. Diese sieben Männer gehen als die Helden von Barmbek in die Geschichte Hamburgs ein.

Die schockierende Tat eines ausreisepflichtigen Asylbewerbers auf der belebten Einkaufsmeile sorgte im vergangenen Sommer für zahlreiche Diskussionen und politische Schuldzuweisungen. Am Freitag beginnt unter hohen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen Ahmad A. vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts.

Bundesanwaltschaft sieht Heimtücke und niedrige Beweggründe

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Palästinenser Mord sowie versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung in sechs Fällen vor. Aus ihrer Sicht liegen Heimtücke und niedrige Beweggründe vor. „Die Anklage geht davon aus, dass der Angeklagte voll schuldfähig gehandelt hat“, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen. Grundlage sei ein vorläufiges Gutachten eines Psychiaters.

Eine wichtige Rolle im Prozess wird das Motiv des Angeklagten spielen, der seit der Tat in Untersuchungshaft sitzt. Er soll bei seinem ersten Verhör seiner Unterschrift den Satz zugefügt haben „Ja, ich bin ein Terrorist“. Die Ermittler fanden bei A. in seiner Flüchtlingsunterkunft eine kleine, selbstgebastelte Fahne der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Augenzeugen berichteten, der Mann habe während der Tat „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) gerufen.

Wollte Ahmad A. möglichst viel Christen umbringen?

Die Ermittler sind überzeugt, dass Ahmad A. Vergeltung üben wollte für Unrecht, das aus seiner Sicht weltweit Muslimen zugefügt werde. Es sei ihm darauf angekommen, möglichst viele deutsche Staatsangehörige christlichen Glaubens zu töten.

„Seine Taten wollte der Angeschuldigte im Kontext islamistischer Anschläge wahrgenommen und mithin als Beitrag zum weltweiten Dschihad verstanden wissen“, erklärte die Anklagebehörde im November. Anhaltspunkte für eine IS-Mitgliedschaft sieht die Bundesanwaltschaft nicht. Die Behörden gehen von einem Einzeltäter aus, der sich selbst radikalisierte. Seiner Bewertung nach sei der Mann ein neuer Tätertyp, sagte der Hamburger Verfassungsschutzchef Torsten Voß kürzlich der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Einer, der die Religion nur benutzt hat, um seine Tat vor sich selbst zu rechtfertigen. Es war eine spontane, eine wahllose Tat.“ Der IS habe sich zu dieser Messerattacke bis heute nicht bekannt.

Zeuge und Anwohner hofft auf "gerchtes Urteil"

Auf der Einkaufsstraße „Fuhle“ ist schon lange wieder Alltag eingekehrt. Das Blumenmeer auf dem Gehweg vor der Edeka-Filiale ist weggeräumt, nichts erinnert an dieser Stelle mehr an das Verbrechen vom 28. Juli. Die Tat spiele bei seinen Gesprächen in der Nachbarschaft kaum noch eine Rolle, berichtet Anwohner Harald, der seinen Nachnamen nicht nenne möchte. Er war am Tattag ganz in der Nähe der Edeka-Filiale. „Ich hoffe auf ein gerechtes Urteil.“

Neun Verhandlungstage sind bis zum 2. März bislang anberaumt. Am ersten Prozesstag sollen nach Verlesung der Anklage Vernehmungsbeamte gehört werden. Die sechs bei dem Angriff Verletzten sind erst am 26. Januar geladen. Sie treten mit einer Ausnahme alle als Nebenkläger auf - ebenso Hinterbliebene des Toten. Rechtsanwalt Joachim Breu vertritt vier der Verletzten: „Alle wollen vor allem erfahren, warum sie zum Opfer geworden sind“, sagte er auf dpa-Anfrage.

Ahmad A. war im März 2015 nach Deutschland gekommen

Der nicht vorbestrafte, ledige Attentäter war im März 2015 nach Deutschland gekommen - vorher soll er in Norwegen, Spanien und Schweden gewesen sein. Für Aufsehen sorgte die Nachricht, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Frist versäumt hatte, in der der Mann hätte nach Norwegen zurückgeschickt werden können. Weil sein Asylantrag in Deutschland dann Ende 2016 abgelehnt wurde, hätte der 26-Jährige eigentlich ausreisen müssen - und wollte das nach Erkenntnis der Behörden wohl auch tun. Jedoch fehlten Papiere.

Zudem gab es vor der Tat Warnungen: Die Behörden seien teilweise nicht schnell und nicht gründlich genug mit Hinweisen auf die psychische Instabilität des Täters und seine Hinwendung zum radikalen Islam umgegangen, erklärte Innensenator Andy Grote (SPD) im August im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft.