Hamburg. Murat Yeginer inszeniert mit Frank Grupe „Plattdüütsch för Anfängers“. Ein Interview über Gegenwart und Zukunft der populären Bühne.

Sie sitzen an einem kleinen runden Tisch im zweiten Stock des Ohnsorg-Theaters. Das ist der Gipfel: Frank Grupe (65) und Murat Yeginer (59), der jetzige Oberspielleiter und sein Nachfolger. Ende Juli wird Grupe, der Mann für alle Fälle am Ohnsorg, nach mehr als 20 Jahren die populärste niederdeutsche Bühne verlassen. Als der gebürtige Westfale, aufgewachsen in Bremen, im Sommer vom neuen Intendanten Michael Lang um seine Meinung zur Nachfolge gebeten wurde, nannte er Murat Yeginer.

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Der gebürtige Türke, aufgewachsen in Pinneberg, eingeschult in Hamburg und bei Ida Ehre an den Kammerspielen in die Theaterlehre gegangen, hatte da gerade sein Regie-Debüt mit „Romeo un Julia“ am Ohnsorg gegeben. Yeginer und Grupe kennen sich seit 35 Jahren, haben aber bisher nur einmal zusammengearbeitet, am Theater in Bonn-Bad Godesberg. Damals überließ Yeginer Grupe privat sein Wohnmobil, im Gegenzug bekam Yeginer Grupes DAF. Noch kurioser: Nun inszeniert Yeginer am Ohnsorg die Komödie „Plattdüütsch för Anfängers“, und Oberspielleiter Grupe hat die Hauptrolle, „einen alten Knacker, aber eine faszinierende schöne Figur“ (Grupe). Premiere ist an diesem Sonntag.

Erfolgt die Probenarbeit – trotz des Größen- und Altersunterschiedes – auf Augenhöhe, oder bleibt der Regisseur die höchste Instanz?

Frank Grupe: Selbstverständlich bleibt er das. Wir haben keinerlei Animositäten, Murat nicht mit mir als seinem Vorgänger, ich nicht mit ihm als meinem Nachfolger. Ich empfinde ihn als einen tollen, angenehmen Regisseur, den ich respektiere, von dem ich noch viel lernen kann. Das macht große Freude.

Und was kann der Regisseur Yeginer vom Oberspielleiter mitnehmen?

Murat Yeginer: Er hat eine ganz große Kompetenz auf der Bühne, auf verschiedenen Ebenen. Aber Augenhöhe? Dieses Wort gibt es bei uns noch nicht mal. Es ist eine sehr freundschaftliche Arbeit, und ich habe selten Leute, die so leicht zu führen sind und so gut verstehen, was man sagt. Mir macht es einen Heidenspaß, mit Frank zu arbeiten. Natürlich macht es mir auch Freude, mit den anderen Kollegen zu arbeiten. Und Animositäten bei der Nachfolge? Es wird sich noch zeigen, ob wir nicht plötzlich zwei Oberspielleiter hier haben ... (Erst lacht er, dann Grupe)

Inwiefern?

Yeginer: Ich werde definitiv weiter mit Frank arbeiten wollen. Seine Erfahrung ist uns sehr wichtig und teuer. Das weiß Frank auch. Ich hoffe nicht, dass das nur ein kurzer Übergang ist – und dann ist er auf den Malediven (lacht).


Grupe: Das mit den Malediven finde ich gar nicht schlecht. Ich komme trotzdem sehr gern wieder, dann aber garantiert nicht als zweiter Oberspielleiter, sondern für das, für das man mich hoffentlich holt, bezahlt und wertschätzt.

Herr Yeginer, in Hamburg haben Sie sich bei Ihren überzeugenden Regiearbeiten „Wir sind keine Barbaren“ und „Hinter der Mauer ist das Glück“ im Winterhuder Theater Kontraste mit dem Thema Migration befasst. Was konnten Sie von den Herangehensweisen übernehmen?

Yeginer: Jedes Stück hat sein Gesetz. Ich mache Theater immer aus der Zeit heraus. Heute interessiert mich das Thema Migration nicht stärker als etwa ein Klassiker von Kleist. Hauptsache, es ist ein gutes Stück. Und – schon öfter gesagt – ich bin kein Migrationsonkel! Ich bin Künstler, Regisseur.

„Plattdüütsch för Anfängers“ spielt wie der Hit „Soul Kitchen“ oder Shakespeares „Romeo un Julia“ sowie „Harold un Maude“ im Ohnsorg-Studio nicht komplett op Platt. Hilft das, Hemmschwellen abzubauen?

Grupe: Wir hoffen das sehr. Ich hatte früher schon den Impuls, unsere Bühne etwas zu öffnen dem Hochdeutschen gegenüber. Michael Lang war der gleichen Meinung, auch Murat verfolgt die Absicht, etwas mehr Hochdeutsch zuzulassen, damit Hemmschwellen sinken und die Leute sich gleichzeitig öffnen für das Plattdeutsche. Das sind die entsprechenden Versuche dieser Spielzeit.

Wie sieht das konkret aus?

Yeginer: „Plattdüütsch för Anfängers“ hört sich schon mal so an, dass ich sagen könnte: Ja, ich bin Anfänger, da geh ich mal rein. Dieses Stück hat – ich hoffe, ich wag’ mich nicht zu weit vor –, eine Qualität, in 30 Jahren ein Ohnsorg-Klassiker zu sein. All die Themen, die man von Heidi Kabel her kennt, werden hier berührt, aus unserer Zeit heraus.

Als da wären?

Yeginer: Es ist eine Komödie, aber nicht nur eine Schenkelklopf-Komödie. Ich denk ja gern an Stücke zurück mit Heidi Kabel und Henry Vahl, in denen eine große Tiefe und Liebe drin steckt, eine Liebe zur Scholle, zur Heimat zur eigenen Sprache, zu der Kultur. Die Figuren wirken stoisch und stur, aber man merkt nach einer Weile, sie sind gar nicht so. Bei diesem Stück könnte ich mir vorstellen, dass es dort anknüpft, was wir vor 30, 40 Jahren gesehen haben – aber mit den heutigen Mitteln. Unser Autor Sönke Andresen könnte ein guter Mann werden fürs Plattdeutsche.

Modernes urbanes Theater soll das Ohnsorg nach Worten des neuen Intendanten bieten. Ist die Zeit der Bauernschwänke damit endgültig passé?

Yeginer:Ich kann mit diesen Kategorien und Klassifizierungen nicht viel anfangen. Es wird gutes Theater geben, und gutes Theater muss Freude machen. Warum nicht wieder anknüpfen an frühere Zeiten, indem wir gucken, ob wir nicht einen Hausautor gewinnen. Man kann Bauernschwank sagen, man kann Volkstheater sagen, man kann episches Theater sagen, man kann modernes Theater sagen. Allerdings gibt es hier einen Auftrag.

Und der lautet wie?

Yeginer: Für das Publikum hier in der Gegend, mit der Sprache, mit den hier verwurzelten Schauspielern in Hamburg und Umgebung Theater zu machen. Dazu gehört, mit entsprechenden Leuten zu arbeiten und dass wir Themen hier finden. Die Zuschauer sollen sich hier wiedererkennen. Hamburg ist eine der grandiosesten Theaterstädte überhaupt – nicht nur in Deutschland. Diese Vielfalt ist enorm. Aber wir wollen für unser Publikum Theater machen. Damit meine ich die Erdverwachsenen – und durchaus auch Migranten, die sich irgendwann erdverwachsen fühlen. Wir haben auch schwarze Autoren, die plattdeutsch schreiben – kein Scherz. Das Interesse ist sehr groß am Ohnsorg-Theater. Das ist für mich bisher das Aha-Erlebnis schlechthin.

Ist die Neugier überregional auch dank des großen Wurfs „Soul Kitchen“ gewachsen?

Grupe: Früher haben es manche Kollegen gar nicht gern gesehen, wenn man am Ohnsorg gespielt hatte. Das ist lange vorbei: Schauspieler stehen Schlange bei uns, gute renommierte Regisseure wollen bei uns inszenieren, und allmählich merken das auch die Autoren. Da haben überregional erfolgreiche Projekte sicherlich großen Anteil.