Hamburg. Das literarisch-musikalische Programm „Ein Wintermärchen“ überzeugte mit Brecht, Kästner, Quasthoff und Thalbach.

„Ein Wintermärchen“ heißt das Programm in der Elbphilharmonie. Es ist ein literarisch-musikalisches Versprechen, denn außerhalb des Konzerthauses ist von Winter – wieder einmal – keine Spur. Über der Elbphilharmonie hängt ein Himmel aus Wolken und Sprühregen, eine steife Brise aus Südwest bringt die Schals der Besucher zum Flattern, die einen Blick über den Hafen mitnehmen wollen, bevor sie in den Großen Saal hinaufstapfen.

Dort beginnt das Konzert schmissig mit Händels „Einzug der Königin von Saba“ aus dem Oratorium „Solomon“. Der Einstieg in das 90-minütige Programm ist alles andere als weihnachtlich-besinnlich, doch dieses Weihnachtsprogramm hat eine ganze Reihe von Facetten und Klangfarben. Die Kammerakademie Potsdam unter ihrer Konzertmeisterin Meesun Hong Coleman schafft zu Anfang einen festlichen Rahmen der insgesamt vier Konzerte, die bis zum heutigen Donnerstag laufen.

Schwungvoller Barock

Während das Kammerorchester mit schwungvollem Barock loslegt, haben die Solisten bereits auf der Bühne Platz genommen. Erzählerin Katharina Thalbach auf einem blauen Sofa, Bariton Thomas Quasthoff auf einem Hocker mit Tischchen und Laptop, Sopranistin Angel Blue auf einem Stuhl. Christoph Israel, künstlerischer Leiter des Abends, platziert sich zunächst neben Thalbach; bei der zweiten Nummer setzt er sich an den Flügel, um „Stille Nacht, heilige Nacht“, das vielleicht bekannteste deutsche Weihnachtslied, zu dirigieren.

Brecht, Kästner, Gernhardt

Thalbach spricht dazu Brechts Text „Die gute Nacht“. Leider zeigt sich hier ein Schwachpunkt in der Akustik des hoch gelobten Konzertsaals: Die über ein Mikroport verstärkte Stimme der Schauspielern klingt extrem blechern und will nicht so recht mit dem Orchester harmonieren. Welch Wohlklang in den Ohren ist später dagegen Angel Blues unverstärkt gesungene Arie „Let the bright Seraphim“ aus Händels Oratorium „Samson“.

Abend wird weihnachtlich

Sehr schnell wird der Abend weihnachtlich, wenn Thomas Quasthoff „Ihr Kinderlein kommet“ anstimmt. Dieser überragende Bariton, der 2012 seine Karriere als klassischer Sänger beendet hat, inzwischen überwiegend als Lehrer wirkt und nur ab und an bei besonderen Projekten dabei ist, verleiht dem Lied mit seiner kräftigen Stimme einen anderen Klang, weit weg von dem Geleier der Kirchgänger, die sich als Sänger in den Weihnachtsgottesdiensten um den richtigen Ton und Takt bemühen.

Herausragend ist die Interpretation von „Leise rieselt der Schnee“. Mit seinem deutlich langsameren Gesang gibt er Wörtern wie „rieseln“ oder „still und starr“ wirkliche Bedeutung und macht daraus eine ergreifende Winter-Ballade. Dass Quasthoff auch ein humorvoller Rezitator und Sprecher ist, zeigt er im Duett mit Katharina Thalbach bei Robert Gernhardts „Der Weihnachtshase“, einem satirischen Text über Albrecht Dürers Aquarell „Der Feldhase“.

Urkomische Geschichte

Den stärksten Beifall bekommt Thalbach für eine andere Geschichte des Satirikers Gernhardt. „Die Falle“ ist eine urkomische Geschichte über drei Weihnachtsmänner, die einen Haushalt in Berlin-Dahlem aufmischen und ein Stück Anarchie in die Bescherung bei der reichen Familie Lemm bringen. Die Satire hat Gernhardt schon 1966 für die Zeitschrift „Pardon“ geschrieben, doch sie hat von ihrer Komik und ihrer Aktualität nichts verloren. Thalbach hält es beim Lesen schon lange nicht mehr auf ihrem gemütlichen Sofa, sie springt auf dem Podium herum, unterstützt den Vortrag mit deutlichen Gesten und zeigt einmal mehr, welch überragende Komödiantin in ihr steckt. Wenn nur die furchtbare Technik nicht wäre!

Christoph Israel, Pianist, Arrangeur und Produzent mit einem breiten musikalischen Repertoire, hat mit der Zusammenstellung des Programms alles getan, um in der Elbphilharmonie eine weihnachtlich-winterliche Stimmung zu kreieren. Zum Liedprogramm gehören „O Tannenbaum“, von der Kammerakademie Potsdam instrumental vorgetragen, „Maria durch den Dornwald ging“, stimmgewaltig von Angel Blue gesungen, und „Süßer die Glocken nie klingen“ in Quasthoffs Interpretation. Die ausgewählten Texte bewegen sich zwischen satirisch (Gernhardt), besinnlich (Busch) und dem nachdenklichen „Morgen, Kinder“ von Erich Kästner. Der setzt den bekannten Text nämlich mit „... wird’s nichts geben“ fort und zeigt die Seite derer, die zu arm sind, um Geschenke zu machen.

Israel fordert das Auditorium auf, mitzusingen

Wie in den Weihnachtsgottesdiensten endet auch „Ein Wintermärchen“ in der Zugabe mit „O du fröhliche“. Israel fordert das Auditorium auf, mitzusingen, doch nur wenige haben den Mut, die Profis lautstark zu unterstützen. Auf dem Nachhauseweg präsentiert sich die Stadt immer noch wolkenverhangen. Kein Stern ist zu erblicken. An Winter erinnert nur der vom Meer wehende Wind. Er ist schneidend kalt.

„Ein Wintermärchen“ heute, 20 Uhr, Elbphilharmonie (ausverkauft)