Hamburg . Weihnachten bedeutet geben und geben lassen. Eine Entdeckungstour der besonderen Art, bei der Yvonne Weiß auch seltsame Wesen trifft.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ich ein Geschenk benötigte und in ein Kaufhaus gehen musste. Nur in welches? Ich spazierte durch die Stadt und plötzlich riefen mir ein paar Wichtel zu: „Hey, du! Weißt du, dass es 421 verschiedene Wörter für Plätzchenteig gibt?“ Nein, das war mir neu! Welch’ gigantische Wissenslücke sich da vor mir auftat. Mir war bis vor einer Sekunde ja noch nicht einmal die Existenz von Wichteln außerhalb von Kinderbüchern klar gewesen. Aber da standen sie in ihren niedlichen Zipfelmützen in den acht Meter hohen Schaufenstern am Alsterhaus und erzählten den Passanten auf dem Jungfernstieg Geschichten. Vom Schlittschuhlaufen, von den Nordlichtern, von Skiurlaub und Käsespätzle.

Was für eine Dekoration. Fast gar keine Produkte, sondern nur wahr gewordene Fantasie und die Verheißung darauf, dass an Weihnachten Kinderträume in Erfüllung gehen. Wichtel also. Wenn es die im Alsterhaus gäbe, dann würde mir die Arbeit beim Geschenkebesorgen ja abgenommen werden, dachte ich, also hinein ins Warenhaus.

Wenig gestresste Kunden

Gefasst war ich auf ein Drängen und Schieben, auf ein Gewühle am Grabbeltisch, aber stattdessen herrschte eine himmlische Ruhe, als hätte Gott das Erdgeschoss in Watte gepackt. Pssst! Das Christkind ruht sich aus. Es sei tatsächlich auffallend entspannt in diesem Jahr, bestätigte mir eine Verkäuferin. Kaum ein gestresster Kunde, wenig aggressive Nachfragen nach Rabatten.

Autorin Yvonne Weiß im Alsterhaus
Autorin Yvonne Weiß im Alsterhaus © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Im letzten Jahr war der gefühlte Stresslevel durch die Flüchtlingskrise und den Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt extrem hoch. 2017 ist die Stimmung besser, fast könnte man auf die Kaufhaus-Musik, die beruhigend auf den Herzschlag wirkt, verzichten. Aber sie erinnert uns an den Grund unseres Hierseins: „Kling Glöckchen klingelingeling, kling Glöckchen kling. Bring’ euch milde Gaben, sollt euch dran erlaben …“ Richtig, Geschenke.

In der sogenannten Accessoires Hall im Atrium schlendere ich vorbei an Marken wie Céline, Saint Laurent, Balenciaga, Fendi und Valentino. Natürlich werde ich hier niemals mein Weihnachtsgeschenk kaufen, aber das ist das Großartige an edlen Geschäften. Die Auslage, die Umgebung, die Ansprache ist für alle gleich, egal, ob er einen Anspitzer oder eine Jaeger-LeCoultre-Uhr erwirbt. Erste-Klasse-Behandlung für jedermann, im Luxuskaufhaus werden wir alle zu Privatpatienten.

Ein netter Herr aus Großhansdorf steht am Stand von Fortnum & Mason und liest sich interessiert die Geschichte des Londoner Teehauses durch: „Well, die Queen trinkt ihn, na, dann wird er meiner Schwägerin wohl auch gefallen.“ Bei seinen diesjährigen Familienwichteln liegt die Latte hoch, sein Bruder habe in der WhatsApp-Gruppe schon ordentlich Druck aufgebaut und gefragt, ob es ein maximales Ausgabe-Limit gäbe. Daher nun nur das Beste für die liebe Verwandtschaft. Ob ihm denn auch diese niedlichen Wichtel überall aufgefallen seien? „Bitte was? Entschuldigen Sie, ich bin ein Mann.“

Deko auch zu kaufen

Die 100 verschiedenen, mit unzähligen Kugeln behangenen Tannenbäume hingegen, die fallen sogar den Männern ins Auge. Einer bleibt lange vor einem dieser Prachtexemplare stehen, ruft sich einen Mitarbeiter herbei, der schüttelt den Kopf. Ein weiterer Mitarbeiter, wahrscheinlich ein Vorgesetzter, kommt hinzu, der wiegt den Kopf hin und her, führt ein Telefonat, schließlich Handschlag. Alle lachen. Was ist denn hier passiert? „Ich habe gerade die Deko gekauft. Ein Lieferwagen holt den Baum später ab.“

Bei manchen Kunden an der Kasse meine ich ein leichtes Lächeln während des Bezahlens zu erkennen. Huch? Geld für ein Geschenk ausgegeben und dennoch happy? Ja, denn bei dieser Art des Warenerwerbs – und nur bei dieser – findet eine interessante psychologische Interaktion statt. Ein Geschenk hat eine emotionale Auswirkung auf zwei Personen. Auf den, der das Geschenk überreicht genauso wie auf den, der es bekommt. Am Schönsten beim Einkaufen ist doch die Szene, die vor dem inneren Auge abläuft: der Blick in die Zukunft, wie derjenige das Präsent auspackt. Sich seine Reaktion vorzustellen, die Freude, die direkt zu einem zurückstrahlt. Die lächelnden Bezahler sind also alle Zeitreisende, die den Moment des geteilten Glücks vorwegnehmen.

Mit Freude Geld ausgeben

Es gibt keine Beweise dafür, dass Schenken eine höhere Ebene des Glücklichseins ermöglicht, aber dass nicht zielgerichtetes Schenken die eigene Stimmung beeinflusst, das wurde durch zahlreiche Studien belegt. Eine Untersuchung der Loyola Marymount University kam sogar zu dem Ergebnis, dass es Menschen glücklicher macht, Geld für andere als für sich selbst auszugeben.

Vielleicht verdoppeln sich die Einnahmen in der Adventszeit in Kaufhäusern wie dem Alsterhaus nicht nur deshalb, weil bald Weihnachten ist, sondern weil die Kunden für Geschenke einfach bereitwilliger und mit mehr Freude Geld ausgeben.

Hohoho! In der Damenabteilung gibt es kostenlose Handmassagen für die Kunden. Mit leicht verzücktem Gesicht lässt sich eine Frau die Finger kneten. Entspannung im Weihnachtsstress. Soll ich mich anstellen? Das Kaufhaus verteilt immerhin ein Geschenk. Aber was sind die Motive des Gebenden? Ist dieses kostenlose Treatment mit einem Ziel verknüpft? Wahrscheinlich nicht, aber ich würde mich danach genötigt fühlen, etwas im Gegenwert dieser Massage zu kaufen. Also nein.

Chor singt unter dem Adventskranz

Den Chorgesang der „The Young ClassX“ und das Glas Veuve, das bei diesem schönen Auftritt serviert wird, nehme ich hingegen gerne an. Da bin ich nur eine unter vielen, und es gibt keinen Körperkontakt. Nähe führt bei mir gerne zu Verschwendung. Einmal war ich bei Toys ’R’ Us, nachdem mich beide Kinder morgens mit ungewöhnlich vielen Küssen übersät hatten. Ruinös.

Der Chor singt unter dem Adventskranz im Erdgeschoss, wo sich das Licht stets an die äußeren Verhältnisse anpasst. Vier Meter Durchmesser – unter den Besuchern stellt der Kranz das beliebteste Fotomotiv dar. Ganz anders, nämlich gar nicht wahrgenommen wird die Selfie-Station, die an der Rolltreppe aufgebaut wurde. Ich sehe niemanden, der sich auf den fiktiven Sessellift setzt, um sich selbst zu knipsen.

Die entspannteste Zone an diesem Tag im Alsterhaus ist die Spielzeug-Abteilung. Kinderpräsente stellen selbst für ungeübte Schenker keine Herausforderung dar. Es gibt Wunschzettel, an die man sich halten kann, und außerdem eine pure-Freude-Garantie seitens des Kindes beim Überreichen. Kinder gehen mit Geschenken anders um als Erwachsene. Durch ihre Unvoreingenommenheit können sie Weihnachten mehr genießen als diejenigen, die jede Naivität verloren haben, und sich Tausend Fragen stellen: War das nicht viel zu teuer? War das nicht viel zu billig? Was will der Schenker mir damit sagen? Einen Kaktus zu verschenken, macht bei einem Kaktus-Sammler sicher Sinn, andernfalls könnte Missmut entstehen.

Das ist der einzige Nachteil beim Schenken: So sehr es einen bedeutsam fühlen lässt, so sehr kann es auch enttäuschen. Ein Geschenk trägt die Möglichkeit einer großen Beleidigung und Verletzung in sich. Augen auf bei der Auswahl! Für einen Rührstab hat eine Freundin von mir ihren Freund verlassen, und auch das Buch „Schlank im Schlaf“ kam eher schlecht an.

Solange man die Augenringe-Creme links liegen lässt, stellt die Beauty-Abteilung eine sichere Zone für einen Mann dar, der seiner Liebsten etwas schenken will. Die Profis fragen nach limitierten Geschenken. Ein gut gekleideter Herr lässt sich eine Goldbiene von Guerlain zeigen. Kein Insekt, sondern ein vergoldeter Flakon, der je nach Menge des Inhaltes bis zu 6000 Euro kosten kann. Alle Duft-Flakons des französischen Hof-Parfümeurs sind Unikate und so exklusiv, dass allein das Binden des Seidenfadens um den Stopfen eine dreijährige Ausbildung erfordert.

Ein Präsent auszuwählen stellt eine Kunst dar

Der Kunde ist sprachlos. Tja, wahrscheinlich hatte er davon genauso wenig Ahnung wie von skifahrenden Wichteln. Mit dieser Story kann er unterm Weihnachtsbaum auf jeden Fall punkten. Doch selbst in dieser fast Falten- und Fallen-freien Umgebung geschehen noch Fehler. Vor allem am 23. Dezember, wenn es den Verkäufern am leichtesten fällt, ein Produkt zu verkaufen, weil ihr Rat am dringendsten benötigt wird. Doch so mancher Last-minute-Käufer vergisst in der Hektik, an die zu beschenkende Person zu denken. Ach, du bist allergisch gegen Wimperntusche? Hab’ ich ganz vergessen. Ein Präsent auszuwählen erfordert Aufmerksamkeit und stellt eine Kunst dar. Vor diesem Hintergrund scheint es verständlich, dass sich manche Menschen das Schenken schenken. Die Stichwörter Konsumkritik und Müllvermeidung untermauern diese Einstellung noch.

Doch aus unsere Familie wird niemals jemand den unvorstellbaren Satz sagen: „Wir schenken uns nichts!“ Kommt für uns nicht infrage, denn wir sind Christen. Siehe Matthäus 2,10: „Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.“

Es ging also nicht um Kleinigkeiten damals, sondern um sehr große Präsente! Dem Anlass entsprechend halt. Gott hat uns seinen Sohn geschenkt, dieses beste Geschenk aller Zeiten ist schwer zu toppen, aber die drei Weisen aus dem Morgenland haben ihre Gaben immerhin sehr klug gewählt: Gold für die Armut der Eltern, Myrrhe für die Gesundheit des Kindes und Weihrauch gegen den tierischen Gestank im Stall. Das nennt man Aufmerksamkeit.

Im Alsterhaus findet man die häufig im obersten Stockwerk bei Oschätzchen. Ein Geschwisterpaar fachsimpelt zehn Minuten lang darüber, welcher Senf dem Vater am besten schmecken würde, ein Ehepaar tobt sich in der Genussabteilung so richtig aus und legt viele Köstlichkeiten in den Einkaufskorb: „Für wen ist denn der Portwein?“ „Ich dachte für Tante Inge.“ „Ja, das passt, die ist immer so trocken.“

Uralte Tradition

Eine Frau mit einer sehr langen Excel-Liste in der Hand sammelt die darauf notierten Dinge ein. Wahrscheinlich eine persönliche Assistentin oder Sekretärin. Streng genommen stellt irgendein Produkt, das von jemand anderem ausgedacht, besorgt und verpackt wurde, kein Geschenk dar. Es fehlt die emotionale Gabe. Den Wert eines Geschenkes bestimmt niemals sein Preis.

Schenken ist eine Form sozialen Handelns, eine uralte Tradition, die in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielt. Wer sich nicht in der Lage fühlt, etwas zu geben, der wird wenige persönliche Bindungen aufbauen können. Jeder, der hier heute mit einer hübsch verschleiften Verpackung rausmarschiert, hat mindestens einen Freund.

Ich kaufte dann übrigens etwas für 39 Euro. Einen Wichtel. Unbezahlbar.