Hamburg. Das Familiengericht lehnt eine Änderung der Umgangsregelung ab. 13-Jähriger darf Weihnachten nicht nach Hause.
Der 13-jährige Linos darf seine Mutter Helene (Namen geändert) zu Weihnachten nicht sehen. Das Amtsgericht Cloppenburg hat in dieser Woche den Antrag der Mutter auf „Abänderung der Umgangsregelung“ abgewiesen. Danach ist ein Kontakt zwischen Mutter und Sohn noch bis Januar 2018 ausgeschlossen. „Selbst ein Häftling hat mehr Rechte als dieses Kind“, sagt Helenes Anwalt Rudolf von Bracken. Er hält die totale Kontaktsperre zwischen Mutter und Sohn für verfassungswidrig. Seit zwei Jahren lebt der Junge in verschiedenen Heimen außerhalb Hamburgs.
„Ich darf meine Mama nicht mehr sehen, warum ist das so?“, hatte Linos im Juni 2017 unter Tränen seine Verfahrensbeiständin gefragt und den Wunsch geäußert, endlich wieder zu seiner Mutter nach Hamburg zurückzukehren, weil er sich im Heim „eingesperrt“ fühle. Vor einer Woche hat das Abendblatt über den Fall von Linos und Helene berichtet, der viele Leser fassungslos gemacht hat. „Ich bin schockiert über diese Geschichte. Jeder, der eigene Kinder hat, weiß, wie schwer es manchmal ist, den Alltag mit den Kindern immer souverän zu meistern“, schreibt Simone Hundt. Und trotzdem habe das Jugendamt der Mutter doch einen liebevollen Umgang mit ihrem Sohn bescheinigt.
Vater mit der Erziehung des Sohnes überfordert
Das war im November 2009. Mehr als zehn Jahre lang ist Linos von seiner Mutter alleine großgezogen worden, bevor der Vater im März 2015 das alleinige Sorgerecht erstritt. Im Eilverfahren und ohne Anhörung des Kindes vor Gericht. Das Jugendamt hatte, nachdem die Zuständigkeit zu einer anderen Sachbearbeiterin gewechselt war, die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater beantragt. Mit der Begründung, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn sei symbiotisch, also entwicklungshemmend und daher schädigend.
Schon ein halbes Jahr später aber ist der Vater mit der Erziehung des Sohnes so sehr überfordert, dass er ihn in die Psychiatrie der Universitätsklinik Eppendorf bringt. Von dort wird der Junge nur zwei Tage später im November 2015 in ein Heim im schleswig-holsteinischen Dörpling gebracht, es folgen drei weitere öffentliche Einrichtungen. Derzeit ist Linos in einem Heim im niedersächsischen Essen (Oldenburg) in einer intensivpädagogischen Wohngruppe. Seine Entwicklung sei positiv, berichtet die neue Verfahrensbeiständin vor Gericht. „Seit Langem hat er dort keine rote Bewertung für Regelbrüche erhalten. Hierdurch hat er sich Privilegien wie etwa Medienzeit oder Besuche des örtlichen Soccerlands erarbeiten können.“ Einen Umgang mit der Mutter erachte sie „derzeit nicht als zielführend“, dieser müsse „behutsam und schrittweise“ erfolgen.
Linos will bei seiner Mutter leben
Konträr dazu steht die Einschätzung der vorherigen Verfahrensbeiständin von Linos. „Ich gebe zu bedenken, dass eine weitere zeitlich unbegrenzte Umgangsaussetzung zwischen Linos und seiner Mutter unverhältnismäßig sein könnte und nicht dem Kindeswohl entspricht“, hatte diese im Juni zu Protokoll gegeben.
Was aber ist mit dem Kindeswohl, das laut Uno-Kinderrechtskonvention auch vor Gericht vorrangig zu berücksichtigen ist? Was ist mit dem Willen von Linos, der bereits mehrfach geäußert hatte, dass er wieder bei seiner Mutter in Hamburg wohnen, mit ihr telefonieren und Besuch von ihr erhalten möchte? Der 13-Jährige hat auch diesmal vor dem Familiengericht wieder sehr deutlich den Wunsch nach Umgang mit seiner Mutter geäußert. Zudem wünscht er sich, so steht es im Beschluss, dass das Sorgerecht entweder der Mutter oder gar einer neutralen dritten Partei zustehe.
„Differenzierte und intelligente Persönlichkeit“
Der Richter aber folgt dem Wunsch des Jungen nicht. „Trotz des entgegenstehenden Willens von Linos ist der Umgang weiterhin auszusetzen“, heißt es in dem Beschluss. Begründung: „Linos befindet sich weiterhin in einer Phase der Stabilisierung. Ein Fortschreiten dieser Stabilisierung kann nur durch ein Aufrechterhalten des Umgangsausschlusses erreicht werden.“
Im Dezember 2015 hatte sich eine Gutachterin vor Gericht noch für den Kontakt von Mutter und Sohn ausgesprochen. Besuche sollten so „normal“ wie möglich stattfinden, damit Linos sich überhaupt auf eine Therapie einlassen könne. Linos wird also Weihnachten ohne seine Mutter feiern müssen. „Ich kann das noch gar nicht denken“, sagt Helene, deren Erziehungsfähigkeit und psychische Gesundheit von mehreren Gutachtern bescheinigt wurden. Sie wird als „differenzierte und intelligente Persönlichkeit“ beschrieben. Es gebe „keine Diagnose auf neurologischem oder psychiatrischem Gebiet“, heißt es in einer weiteren ärztlichen Bescheinigung.
Viele Leser sind entsetzt
Viele Leser sind entsetzt über den Umgang von Gericht und Jugendamt mit dem Kindeswohl. „Aus meiner Sicht ist es richtig, solche eklatanten Einzelfälle in dieser Form der Öffentlichkeit vorzustellen“, schreibt Peter Meyer. An solchen Fällen lasse sich auch der Druck, der auf Jugendamtsmitarbeiter laste, gut öffentlich diskutieren.
Der Streit der Eltern brauche unbedingt Moderation. „Und das Jugendamt muss in seinen Hilfeplänen und Gesprächen auch eine Entwicklungsvorstellung aufnehmen, die der Vater als alleiniger Sorgeberechtigter so mitgestalten muss, dass dem Wunsch des Kindes nach Umgang mit seiner Mutter irgendwie Ausdruck verliehen wird.“