Hamburg. Studien zeigen: Die Menschen in der Stadt sind gesünder als andere, aber im Beruf dafür deutlich unzufriedener.
Es klingt paradox: Hamburgs Arbeitnehmer melden sich deutlich seltener krank als ihre Kolleginnen und Kollegen im Rest der Republik. Bei Beschwerden an Muskeln und Knochen liegt Hamburg sogar 23,2 Prozent unter dem Durchschnitt (das Abendblatt berichtete). Und doch sind die Hamburger deutlich unzufriedener als die Berufstätigen in den meisten anderen Bundesländern – nur im Saarland und in Bremen ist die Lebenszufriedenheit noch niedriger. Dies zeigt eine große repräsentative Studie der Universität St. Gallen im Auftrag der Barmer Krankenkasse, für die in Deutschland 8000 Arbeitnehmer befragt wurden.
Etwa jeder sechste Berufstätige (16,7 Prozent) in Hamburg spielt mit dem Gedanken, seinen Job zu kündigen. In Brandenburg (6,9 Prozent), Sachsen (10,2 Prozent) und in Niedersachsen (11,3 Prozent) ist der Anteil deutlich niedriger. Und während deutschlandweit 23,2 Prozent der Aussage „Ich fühle mich durch meine Arbeit emotional erschöpft“ zustimmen, sind es in Hamburg 31,3 Prozent. Und 27,8 Prozent (Schnitt: 23,2 Prozent) erklären: „Die Arbeit beeinträchtigt mein Privat- und Familienleben.“
Auffällig ist auch die hohe Zahl von Menschen mit Schlafproblemen in der Hansestadt. 33 Prozent der befragten Hamburger geben an, dass sie an mindestens acht Tagen im letzten Monat Schlafprobleme hatten, im Bundesschnitt sind es nur 29,7 Prozent.Wie passt das zusammen? Warum fühlen wir uns gestresst, warum sind wir so unzufrieden, obwohl wir uns deutlich seltener krankmelden als die Bewohner anderer Bundesländer?
Für Stephan Böhm, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und Leiter der Studie, ist das nur ein scheinbarer Widerspruch: „Bei der emotionalen Erschöpfung handelt es sich um eine Vorstufe des Burn-outs. Doch statt sich behandeln zu lassen, gehen die Betroffenen gar nicht erst zum Arzt. Sie arbeiten einfach weiter.“ Ein Indiz für Böhms These liefert die Barmer-Studie zum Krankenstand in Deutschland. Demnach ist die Zahl der Diagnosen wie Burn-out, Depressionen oder anderen seelischen Krankheiten in Hamburg viel höher als in anderen Bundesländern.
Lärm und Staus
Macht auch die Metropole krank? Böhm sieht durchaus einen Zusammenhang, das Leben in einer so großen Stadt mit ihrem Lärm, mit ihren Staus sei anstrengender als das Leben in der Provinz. Hinzu komme die hohe Zahl von Pendlern. Im Schnitt brauchen die Hamburger 48 Minuten, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, länger unterwegs sind nur die Berufstätigen in Berlin (51 Minuten).
Einen Einfluss hat zudem der besondere Jobmix der Metropolregion. Jeder siebte Hamburger arbeitet in der Gesundheitswirtschaft, Kliniken wie der Asklepios-Konzern oder das UKE zählen zu den größten Arbeitgebern der Stadt. Und bei den Gesundheitsberufen ist der Stressfaktor höher. 33 Prozent der Beschäftigten sagen, dass sie „häufig oder sehr häufig“ gestresst sind, deutlich mehr als der Schnitt aller Berufsgruppen (26,5 Prozent).
Eine Rolle spielt auch, dass Hamburg als eine der deutschen Single-Metropolen gilt. 47,1 Prozent der erwachsenen Bewohner leben allein. Und die Studie zeigt, dass Familien sich im Schnitt deutlich zufriedener fühlen als Alleinlebende. „Freunde und Familie sind Eckpfeiler zum Erhalt von Gesundheit und Zufriedenheit“, sagt Studienleiter Böhm.
Frank Liedtke, Landesgeschäftsführer der Barmer in Hamburg, fordert die Unternehmen auf, mehr in das betriebliche Gesundheitsmanagement zu investieren, etwa durch entsprechende Sportangebote. „Die Auswertungen belegen, dass es für die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig ist, wenn die Balance zwischen Beruf und Privatleben, zwischen Stress und Entspannung stimmt.“
Mehr Flexibilität am Arbeitsplatz
Böhm plädiert für mehr Flexibilität am Arbeitsplatz. Die Möglichkeit, an manchen Tagen von daheim zu arbeiten, sorge für mehr Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Allerdings dürfe dabei die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben nicht noch weiter verwischen: „Es ist wichtig, das Smartphone mal ganz abzuschalten. Auch ständiges Checken von E-Mails stresst. “