Hamburg. Stadt verschärft Kontrollen bei osteuropäischen Bettlern. Mehr als 100 dürfen nicht ins Winternotprogramm. Zustimmung und Kritik.

Die Stadt hat den Druck auf osteuropäische Obdachlose erhöht. Nachdem die Sozialbehörde im vergangenen Winter die Beratung für Bulgaren, Rumänen, Polen oder Slowaken mit dem Ziel ihrer Ausreise intensiviert und personell aufgestockt hatte, ist das Vorgehen gegen Bettler aus dem EU-Ausland nun vom Senat abermals verschärft worden. So hat die Innenbehörde 108 Obdachlosen das sogenannte EU-Freizügigkeitsrecht abgesprochen und 20 von ihnen abgeschoben. Insgesamt sind in den vergangenen zwölf Monaten knapp 800 Menschen zur Ausreise aufgefordert worden, im diesjährigen Winternotprogramm wurde bereits mehr als 100 Menschen der Zutritt verwehrt.

Laut Behördenangaben wird bei augenscheinlich obdachlosen Menschen aus dem EU-Ausland von nun an stärker überprüft, ob sie tatsächlich obdachlos sind, sich in Hamburg aufhalten dürfen oder befugt sind, Leistungen wie das Winternotprogramm in Anspruch zu nehmen. Hintergrund ist das europä­ische Freizügigkeitsgesetz, das nach Ansicht der Innen- und Sozialbehörde zu häufig von Osteuropäern missbraucht oder überstrapaziert wird.

Linke, Diakonie und „Hinz & Kunzt“ kritisieren Senat

Laut Gesetz dürfen sich EU-Bürger nur dann länger als drei Monate in einem anderen Staat aufhalten, wenn sie dort entweder Arbeitnehmer oder arbeitssuchend sind. Genügend Finanzmittel oder eine nachweisbare Bleibe rechtfertigen ebenfalls einen längeren Aufenthalt. Liegt aber etwa ein Wohnsitz im Ausland vor, können betreffende Personen nach drei Monaten zur „staatlich finanzierten Rückreise“ aufgefordert werden. Davon wird nun verstärkt Gebrauch gemacht.

Während die CDU den Senatskurs unterstützt, kritisieren Linke, Diakonie und „Hinz&Kunzt“ die Handhabe als rechtlich möglich, aber moralisch verwerflich. Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer vom Obdachlosenmagazin „Hintz&Kunzt“ nennt es eine „deprimierende Strategie“. Dirk Ahrens, Landespastor und Leiter des Diakonischen Werks, sprach von Zynismus: Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz verpflichte Hamburg, alle Menschen sicher unterzubringen, denen sonst Gefahr für Leib und Leben drohe. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die Betroffenen Deutsche oder Ausländer seien. Letzten Schätzungen zufolge leben etwa 2000 Menschen auf Hamburgs Straßen.

Christiane Schneider, Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, spricht ohnehin von Kann-Bestimmungen. „Der Senat hat Handlungsspielraum“, so die Politikerin. Aber die Innenbehörde konstruiere aus einer Wohnungslosigkeit eine Arbeitslosigkeit. „Das ist angesichts der Wohnungsmarktsituation fragwürdig, auch juristisch.“ Ausländische Arbeiter im Niedriglohnsektor könnten sich keine Bleibe leisten. Die Verschärfung der Kontrollen und der Entzug der EU-Freizügigkeit sei „eine sozialpolitische Bankrotterklärung“, mit dem europäischen Gedanken nur schwer zu vereinbaren.

Hamburger Obdachlose werden intensiver beraten

Zumal Vertreibung das Problem nicht löse, wie Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer sagt. Weniger Obdachlose oder Bettler gebe es deswegen nicht. „Ich sehe es, und die Hamburger sehen es auch jeden Tag in der Innenstadt.“ Er sieht keine Notwendigkeit für den rigiden Kurs gegenüber Bettlern in der Stadt: 1000 Schlafplätze im Winternotprogramm seien für alle Bedürftigen ausreichend.

Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, stellt die Situation anders dar: So wurden in der Vergangenheit verstärkt Wanderarbeiter im Winternotprogramm bemerkt, die zwar Geld verdienen, sich aber eine Übernachtung im Hostel sparen und stattdessen den staatlichen Erfrierungsschutz nutzen. „Dadurch werden Plätze belegt, die für jene in echter Not vorgehalten werden“, sagt Schweitzer. Auch seien Familien unterwegs, die tagsüber in der Stadt betteln, nachts im Notprogramm schlafen und im Frühjahr wieder in ihre Heimatländer fahren. Am Ende habe man mit der Sozialberatung nicht mehr die erreicht, die Hilfe brauchten.

Deshalb, so der Behördensprecher, sei die Beratung personell aufgestockt worden – mit dem Effekt, dass Osteuropäer das Winternotprogramm mieden. Bei 3200 Gesprächen seien knapp 700 Ausländer zur freiwilligen Rückreise aufgefordert worden. Wie viele das Ticket wirklich nutzten, ist indes unklar.

Erstmals keine Engpässe beim Winternotprogramm

Immerhin hätten dadurch aber Hamburger Obdachlose intensiver beraten werden können. „Wir haben 280 Obdachlose von der Straße geholt und ins Hilfesystem integriert“, sagt Schweitzer. „So viele wie nie zuvor.“ Erstmals seit Jahren habe es auch keine Engpässe im Winternotprogramm gegeben. Derzeit liege die Auslastung der zwei Standorte bei 75 Prozent.

Die CDU in der Bürgerschaft sei mit der neuen Linie d’accord. „Die stark zunehmende Belegung des Winternotprogramms durch Südosteuropäer und die damit verbundene Ausweitung des Platzangebots waren nicht weiter hinnehmbar“, so die sozialpolitische Sprecherin Franziska Grunwaldt. Die Botschaft müsse lauten: Bettelei an Hamburgs Straßen ist keine Lebensperspektive. Allerdings müssten trotzdem auch Personen vor Erfrierung geschützt werden, die ohne Anspruch sind. Aktuell gibt es eine Petition des ehemaligen Obdachlosen Jörg Petersen, das Winternotprogramm auch tagsüber zu öffnen. Mehr als 28.000 Menschen haben den Aufruf bisher unterstützt.