Hamburg. Schauspieler kritisiert bei Lobrede auf den Hamburger Nachwuchs-Preisträger Steffen Siegmund die Ensemble-Politik am Theater.

Es gibt Schauspieler, die sind in erster Linie Kopfspieler, und es gibt welche, die sind Körperspieler. Man sagt nichts Falsches über das Ensemble des Thalia Theaters, wenn man feststellt, dass dort die Kopfspieler aktuell den Ton angeben, mit prägenden Akteuren wie Jörg Pohl, Rafael Stachowiak und Matthias Leja.

Und es ist bemerkenswert, dass mitSteffen Siegmundein Künstler den diesjährigen Boy-Gobert-Preis bekommt – jenen Theaterpreis für Nachwuchsschauspieler an Hamburger Bühnen –, der nicht in diese Reihe zu passen scheint, er ist ein Körperspieler par ­excellence, der seinen Leib in Stücke von „Tartuffe“ bis „Cyrano der Bergerac“ zu werfen weiß, vom Weihnachtsmärchen „Die rote Zora“ bis zur Soloperformance „Das Ende von Eddy“.

Immer wieder Ibsen-Szenen

Was Steffen Siegmund bislang noch nicht spielte: Ibsens „Peer Gynt“. Dass der mal zaudernde, mal skrupellose Selbsterfinder eine passende Rolle für den 25-Jährigen wäre, bewies die Preisverleihung am Sonntagvormittag im Thalia Theater: Siegmund durchsetzte den Festakt immer wieder mit Ibsen-Szenen, mal als scheppernder Elektro-punk, mal als naturromantischer „Ritt über den Grat“ auf Video, mal als halbironische Rückkehr in den Schoß der Mutter. Das Ensembleküken (Jahrgang 1992) zwischen Barbara Nüsse (Jahrgang 1943), Karin Neuhäuser (Jahrgang 1955) und Christoph Banzer (Jahrgang 1936): schön.

Und sonst: Reden, von Thalia-Intendant Joachim Lux („Effizienz ist eine bedauernswerte Verkürzung“), von Kultursenator Carsten Brosda („Shakespeare geht immer: Die ganze Welt ist Bühne!“), vom Juryvorsitzenden Burghart Klaußner („Es lebe die Musik! Es leben die Frauen! Es leben die sensiblen Männer! Hoch Steffen Siegmund!“). Und schließlich die Laudatio vom ­Ensemblekollegen Jens Harzer, auch der so ein hochtalentierter Kopfspieler, der erst jüngst nach längerer Krankheit zurück auf die Bühne kehrte.

Harzer: Mehr Zeit zum Nachdenken

Wobei in Harzers Lob auch Kritik an Siegmunds Theaterzugriff durchklang – ein „wenig größere Distanz der Entäußerung“ würde „Das Ende von ­Eddy“ guttun, immer nur ultraauthentische Performance liefe Gefahr, ins Selbstmitleid wegzurutschen. Und dann wurde Harzer kulturpolitisch: Der 45-Jährige outete sich als Fan des Prinzips Ensemble, und das sei am Thalia gefährdet, durch Überforderung, durch mangelnde Wertschätzung. „Am Anfang mag es für einen jungen Schauspieler toll sein, 35 Vorstellungen im Monat zu spielen und dafür wenig bis gar kein Geld zu verdienen“, so Harzer. „Aber ­irgendwann muss das aufhören. Sonst bleibt einem nur das böse Stadttheatergesicht.“ Ein funktionierendes Ensem­ble bräuchte mehr Proben, mehr Geld, weniger Produktionen, schlicht mehr Zeit zum Nachdenken, forderte Harzer. Und Intendant Lux rutschte immer tiefer in seinen Sessel.

Das böse Stadttheatergesicht hat Siegmund noch nicht: Sein Gesicht ist rund, offen, neugierig. Und solange er auf seinem Weg Kollegen findet, die ihn an der Hand nehmen, die ihn zurückhalten, die ihn vielleicht hin und wieder in Richtung Kopfspielertum schubsen, muss man sich keine Sorgen machen. „Man kann nicht immer alles selbst erarbeiten“, riet Harzer. „Das geht nicht. Das macht einen krank.“ Siegmund braucht Kollegen wie Jens Harzer.