Hamburg. Sonja Neubert und Eike-Oliver Steffen sind für rund 7000 Beschäftigte zuständig. Elektromobilität ist einer ihrer Schwerpunkte.

115.000 Beschäftigte hat der Elektrokonzern Siemens in Deutschland. Wer jedoch auf die interaktive Standortkarte blickt, die das Unternehmen im Internet präsentiert, muss den Eindruck gewinnen, der Norden der Bundesrepublik habe kaum Bedeutung für Siemens. „Die Karte ist aber dafür nicht wirklich aussagekräftig“, sagt Eike-Oliver Steffen, seit April der neue Leiter der Region Nord mit den Bundesländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Zwar arbeiten in dieser Region – eine von sechs, in die Siemens das Deutschland-Geschäft unterteilt – tatsächlich nur 7000 Menschen für den Konzern. Doch der Inlandsumsatz von elf Milliarden Euro sei recht gleichmäßig auf die sechs Regionen verteilt, heißt es im Umfeld des Unternehmens. Vielleicht noch wichtiger ist, dass der Norden derzeit von Problemen wie denen der Sparte „Power and Gas“, wo angesichts des stetig abnehmenden Bedarfs für Strom erzeugende Gasturbinen Tausende von Stellen wegfallen sollen, verschont bleibt. „Unabhängig von den Entwicklungen im Kraftwerksbereich lässt uns die Zusammensetzung des Geschäfts über alle Sparten zuversichtlich in die Zukunft blicken“, so Steffen.

Hamburg soll zu „Smart City“ werden

Gleichzeitig mit ihm hat Sonja Neubert ihr Amt als Sprecherin der Siemens-Niederlassung Hamburg mit knapp 2400 Beschäftigten angetreten; zuvor hatte Michael Westhagemann beide Positionen in Personalunion inne. Auch Neubert sieht für ihren Standort Geschäftschancen in einer ganzen Reihe von Zukunftstechnologien. So ist das Offshore-Kompetenzzentrum für die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) in Hamburg angesiedelt. Diese wird eingesetzt, um Wechselstrom von Windparks auf See in Gleichstrom umzuwandeln, der ohne größere Verluste an Land geleitet werden kann.

Angesichts des Bevölkerungswachstums und der Notwendigkeit, den Ausstoß des Klimagases CO2zu reduzieren, verfolgt der Senat das Ziel, Hamburg zu einer „Smart City“ zu entwickeln. „Dazu passen viele unserer Ideen sehr gut“, sagt Neubert. Das gelte zum Beispiel für die Gebäudetechnik: „Durch eine intelligente Temperatur- und Beleuchtungsregelung kann man den Energiebedarf durchschnittlich um bis zu 30 Prozent senken. Wir haben bei Referenzprojekten aber auch schon über 40 Prozent geschafft.“

Beim Bau des A-7-Deckels ist Siemens mit Evakuierungs- und Brandschutztechnik beteiligt. „Das ist einer unserer bisher umfangreichsten Aufträge aus dem Straßenverkehrssektor“, so Neubert. Im Rahmen der „Smart City“-Strategie Hamburgs zeige sich die Hochbahn beim Thema des autonomen Fahrens sehr innovativ, hier könne Siemens zum Beispiel mit Sensortechnik ins Spiel kommen.

Weiter voranbringen will die neue Niederlassungsleiterin auch die Beiträge des Unternehmens zur Elektromobilität. „Da reicht das Spektrum unserer Angebote von Hybridantrieben für Schiffe über Motoren für E-Busse bis zu Ladesäulen“, erklärt Neubert und fügt an: „Die E-Mobilität interessiert mich als Ingenieurin sehr.“ Ihr Elternhaus lässt die Berufswahl naheliegend erscheinen: Neuberts Vater war nach ihren Worten ein „Vollblut-Techniker“, die Mutter stammt aus einer Familie mit langer Handwerkertradition.

Vielseitige Branchenstruktur

Geboren wurde Sonja Neubert im australischen Perth, wo ihr Vater einige Jahre lang arbeitete, aber aufgewachsen ist sie in Stuttgart. Nach einer Ausbildung zur technischen Zeichnerin und dem Studium machte sie bei Siemens in Stuttgart Karriere. Neben der neuen Funktion an der Spitze der Hamburger Niederlassung leitet sie weiter das Deutschland-Geschäft von Sitrain, dem Trainingsbereich der Siemens-Indus­trieautomation.

„Seit meinem Wechsel nach Hamburg bin ich beeindruckt davon, wie vielseitig die Branchenstruktur hier ist“, sagt Neubert. Überraschend hoch für eine Großstadt sei der Industrieanteil, zu dem selbst ein Stahlwerk und eine Aluminiumhütte beitragen – ein weiterer Ansatzpunkt für neue Geschäfte: „Auch in der sogenannten old Economy beschäftigt man sich heute sehr intensiv mit der Digitalisierung, und da können wir ein guter Gesprächspartner sein.“ So eröffne eine stetige Analyse der Betriebsdaten von Anlagen die Möglichkeit der vorausschauenden Wartung, ohne die Maschinen ungeplant und abrupt herunterfahren zu müssen.

Sachkunde und Durchsetzungsvermögen

Rein menschlich hat die neue Niederlassungsleiterin den Wechsel vom Neckar an die Elbe gar nicht als so großen Kontrast empfunden – zumal Neuberts Lebenspartner in Norddeutschland wohnt. „Was ich an den Hamburgern schätze, ist ihre sehr direkte, offene Art“, sagt sie. Hamburg sei eine „faszinierende Stadt mit tollen Theatern und sehr viel Grün, was für eine Metropole nicht selbstverständlich ist.“ Neubert lebt nicht weit entfernt von ihrem Büro in St. Georg und damit auch nahe der Außenalster. Zwar hält sich die 54-Jährige mit Joggen und Radfahren fit. Zum Turniertanzen, das sie früher als Leistungssport betrieben hat, findet sie aber nicht mehr genug Zeit.

Widerstand gegenüber Frauen in Führungspositionen habe sie bei Siemens nie erlebt, sagt Neubert. Die Voraussetzungen für einen Aufstieg in der Hierarchie – Sachkunde, Durchsetzungsvermögen, ein berufliches Netzwerk – seien für Frauen die gleichen wie für Männer. Als eine von relativ wenigen Frauen in einer technischen Ausbildung habe sie sich zwar gelegentlich einen „sehr direkten Spruch“ anhören müssen, später im Beruf habe sie aber eher positive Rückmeldungen erhalten: „Als sich die Geburt meiner Tochter sichtbar ankündigte, sagte mir ein Kunde: Wir wollen niemand anderen als Betreuer, wir warten auch ein halbes Jahr auf Sie. Das fand ich extrem wertschätzend.“

Vorurteile abbauen

Ihr ist es wichtig, schon bei Schülerinnen die verbreiteten Vorurteile gegenüber technischen Studienfächern und Berufen abzubauen – etwa dass man später nicht viel mit Menschen zu tun habe oder dass man beste Noten in Mathematik und Physik mitbringen müsse. Bei Sonja Neuberts eigener Tochter war das offenbar erfolgreich: Sie absolviert gerade ein Masterstudium des Maschinenbaus.