Hamburg. Weniger Ware, höhere Kosten. Verbraucherschützer deckt Preiserhöhungen auf. Die ersten Hersteller denken um.
In seinem Büro sieht es aus wie früher im Tante-Emma-Laden. In den Regalen stapeln sich Waschmittel, Windeln, Schokolade, Chips, Marmeladen. Doch Armin Valet, der Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg, will kein Geschäft eröffnen. Er sammelt die Verpackungen, um Mogelpackungen auf die Spur zu kommen: Die Hersteller reduzieren die Füllmenge, der Handel lässt den Verkaufspreis unverändert. Mit dieser Strategie werden den Verbrauchern Woche für Woche Preiserhöhungen untergeschoben, oft im zweistelligen Prozentbereich.
Valet hat allein in diesem Jahr schon rund 40 solcher Mogelpackungen aufgelistet. Die Preiserhöhungen beliefen sich auf bis zu 66 Prozent. Besonders häufig sind solche Mogeleien bei Lebensmitteln und Süßigkeiten, aber auch bei Waschmitteln. „Das ist nur die Spitze des Eisberges“, sagt Valet über seine Erkenntnisse aus diesem Jahr.
100 Beschwerden im Monat
„Wir sind auf die Hinweise der Verbraucher angewiesen, verifizieren die Sache dann und fordern eine Stellungnahme der Hersteller ein“, so der Verbraucherschützer. Pro Monat erhält die Verbraucherzentrale Hamburg bis zu 100 Beschwerden von Verbrauchern über Mogelpackungen.
Um etwa zwei Drittel ist nach Berechnungen der Verbraucherzentrale der Preis des Weichspülers Vernel Soft & Oils von Henkel gestiegen. Statt 750 Millilitern (ml) sind nur noch 600 ml in der Flasche, deren Preis zudem angehoben wurde. Henkel verweist dagegen auf eine verbesserte Rezeptur mit einer erhöhten Parfümkonzentration und einer jetzt geringeren Dosierung. Statt 30 ml reichten nun 25 ml für eine Wäsche aus, so der Hersteller.
Versteckte Preiserhöhungen
„Ich glaube kaum, dass die Verbraucher die verringerte Dosierempfehlung zur Kenntnis nehmen, wenn sie die alte gewohnt waren“, sagt dagegen Valet. Auch in der Verschlusskappe gebe es keine Maßanzeige. „Doch wenn man weiterhin 30 ml verwendet, dann fällt die Preiserhöhung mit bis zu 99 Prozent noch drastischer aus“, so Valet. So fanden die Verbraucherschützer das alte Produkt zu einem Preis von 1,25 Euro, die neue Packung für 1,99 Euro. Die Preisgestaltung, so Henkel, sei Sache des Einzelhandels.
50 Prozent beträgt die versteckte Preiserhöhung bei getrockneten Bio-Aprikosen, die bei der Supermarktkette Norma als Eigenmarke verkauft werden. Der Inhalt schrumpfte bei gleichbleibendem Preis von 2,75 Euro um 100 auf nur noch 200 Gramm. „Das ist eine Preiserhöhung um 50 Prozent“, sagt Valet. Norma verweist auf starke Preisschwankungen bei Trockenfrüchten. „Wir plädieren in solchen Fällen für transparente Preiserhöhungen, indem die Füllmenge gleich bleibt und der Verkaufspreis erhöht wird“, sagt Valet.
Stärkste Preiserhöhung bei Mentos
Eine der stärksten Preiserhöhungen in diesem Jahr gab es nach seinen Erkenntnissen bei Mentos Pure white Kaugummi der CFP Brandis Süßwarenhandels GmbH. „In der Plastikdose sind jetzt nur noch 35 statt vorher 50 Stück“, sagt Valet. Das entspreche einer Preissteigerung von knapp 43 Prozent. Der Hersteller begründet die Preiserhöhung mit einer Vergrößerung der Dragees und einer Rezepturumstellung.
Nach Valets Überzeugung laufen inzwischen die meisten Preiserhöhungen über die Reduzierung der Produktmenge in der Packung. „Hersteller nutzen dieses Instrument systematisch, weil der Verbraucher bestenfalls den Preis im Kopf hat, nicht aber die Menge“, sagt Valet. Er reißt eine Verpackung von Milka auf, fünf Schokowaffeln fallen heraus – eine weniger als bisher. So etwas ärgert ihn besonders, denn der Preis blieb unverändert bei 2,49 Euro. Preiserhöhung: 20 Prozent.
Proteste wirken
Die Aktion der Hamburger Verbraucherzentrale zeigt inzwischen erste Wirkungen. Die Hersteller verweisen zwar regelmäßig darauf, dass nicht sie den Preis im Einzelhandel bestimmen, trotzdem fürchten sie, als Mogler enttarnt zu werden. „Es ist jetzt zum ersten Mal vorgekommen, dass sich ein Unternehmen vor der Packungsumstellung an uns gewandt hat“, sagt Valet. Der Käsehersteller Hochland Deutschland GmbH verringert wegen der gestiegenen Milchpreise das Packungsgewicht bei einigen Käsesorten der Marken Hochland und Grünländer. Die Packungen werden nun mit einem Hinweis versehen, um die Umstellung transparenter zu machen. „Das geht in die richtige Richtung“, sagt Valet.
Proteste der Verbraucher können etwas bewirken, zeigt ein anderes Beispiel: Jahrelang reduzierte Procter & Gamble die Anzahl der Windeln in den Pampers-Paketen. Inzwischen geht der Hersteller den umgekehrten Weg. Er wirbt mit „30 + 4 Windeln“ auf den Packungen. „Gleichzeitig sind auch die Verkaufspreise gefallen“, sagt Valet. Als Ursache dafür vermutet er die Listung bei Discountern wie Aldi Nord, die meist mit einer Preissenkung einhergeht. Auch bei Waschmitteln sieht Valet ein Ende bei der Verringerung der Packungsgröße erreicht. Unbegrenzt lasse sich die Strategie, die Zahl Waschladungen zu verringern, nicht fortsetzen.
Unilever macht Rückzieher
Unilever ist auf „vielfachen Konsumentenwunsch“, wie das Unternehmen schreibt, wieder zu einer alten Packungsgröße zurückgekehrt. „Rama mit Buttermilch verfeinert“ gibt es wieder im 500-Gramm-Becher. Zuvor war das Produkt ersetzt worden durch „Rama mit Buttermilch“ – im 225-Gramm-Becher. Die damit verbundene Preiserhöhung von mehr als 90 Prozent war offenbar vielen Verbrauchern dann doch zu heftig.
Anfang 2018 lässt die Verbraucherzentrale Konsumenten erneut über die „Mogelpackung des Jahres“ abstimmen. Fünf Produkte stehen zur Auswahl. „Wir orientieren uns nicht nur an den höchsten Preiserhöhungen, sondern auch an der Bekanntheit der Produkte und was bei den Verbrauchern den größten Ärger verursacht hat“, sagt Valet.
Hier besonders getrickst
Vernel Soft & Oils habe eine gute Chance, weil besonders getrickst wurde. Auch der Schokoladenhersteller Milka muss damit rechnen, mit einem Produkt unter die Kandidaten für die Mogelpackung des Jahres zu kommen. Bei dem Schokoladenhersteller habe eine wahre Erosion des Gewichts der einstigen 100-Gramm-Tafel eingesetzt, sagt Valet. Die neue Sorte Milka Waves kommt mit 81 Gramm statt 100 Gramm in die Regale.
2016 war es das Wasser von Danone Waters Evian, das zur Mogelpackung des Jahres gekürt wurde. Das Unternehmen hatte die Füllmenge von 1,5 auf 1,25 Liter reduziert. Unterm Strich betrug die Preiserhöhung in einigen Supermärkten bis zu 50 Prozent.