Hamburg. Vor 50 Jahren testete Hamburg als erste deutsche Metropole U-Bahnen ohne Fahrer. Warum das System dann doch nicht zum Zuge kam.
Hamburgs mobile Zukunft lag zwischen Eilbek und Farmsen. Sie war gut sieben Kilometer lang, verhieß beträchtliche Einsparungen bei Zeit und Geld und nicht zuletzt auch einen ordentlichen Prestigegewinn für die Stadt. Vor 50 Jahren startete die Hochbahn AG (HHAG) als erstes öffentliches Verkehrsunternehmen in Deutschland Versuchsfahrten mit U-Bahnen, die allein von Computern gesteuert wurden.
Medien berichteten von „Geisterzügen“, die von „Geisterhand“ gelenkt über die Strecken rasten, obgleich die Testzüge ohne Passagiere in Wahrheit gar nicht führerlos waren, denn der Fahrer saß noch drin – man weiß ja nie! Aber er sah weitgehend tatenlos zu. Das „autonome Fahren“ lag noch in weiter Ferne, aber zumindest auf der Schiene wollte Hamburg darin Pionierarbeit leisten.
Verkehrs- und Stadtplaner hielten das für dringend geboten. Womöglich ahnten sie schon, dass die so forsch propagierte „autogerechte Stadt“ sich doch als Irrweg erweisen würde. Zugleich befand sich der Rückbau der Straßenbahn in vollem Gange. Die Passagierzahlen der U-Bahn stiegen rasant. Für einen großzügigen Ausbau des Netzes fehlten aber Geld und Zeit. Also musste man die bestehenden Linien so aufrüsten, dass sie deutlich mehr Menschen transportieren konnten.
Die Teststrecke verlief auf der U1
Die Teststrecke verlief auf der U 1 zwischen den Haltestellen Trabrennbahn (Farmsen) und Wartenau. Zwei von Siemens und AEG entwickelte Systeme, die sich nur geringfügig unterschieden, sollten ihre Tauglichkeit erweisen. Das technische Geheimnis waren zwei schwarze Drähte, sogenannte Linienleiter. Sie wurden an den Innenkanten der Schienen auf den Schwellen befestigt und kreuzten sich alle 30 bis 40 Zentimeter.
Zwischen diesen Drähten und den Zügen wechselten fortwährend drahtlose Impulse, die alle wichtigen Informationen über Position und Tempo, Beschleunigung und Bremsverhalten des Zuges an Steuerzentralen lieferten. Prozessrechner in einer Zentrale werteten diese Daten in Sekundenbruchteilen aus und schickten ihre Befehle an den Zug zurück, um Fahrmotoren und Bremsen dem Fahrplan entsprechend zu beeinflussen.
Meist fuhren die Testzüge nachts
Meist fuhren die Testzüge nachts bei wenig regulärem Verkehr. Wenn sie im Bahnhof kurz hielten, konnte zwar niemand zusteigen. Aber interessierte Beobachter staunten, wie präzise die Züge zum Stehen kamen. Rote Farbkleckse an der Bahnsteigkante markierten die Stellen, wo sich die Türen befinden sollten – die Wagen stoppten bis auf 20 Zentimeter genau.
Viel wichtiger aber waren der Hochbahn drei andere Faktoren: Wirtschaftlichkeit, Pünktlichkeit, Leistungsfähigkeit. Von der Vollautomatisierung versprach sie sich insbesondere eine deutlich kürzere Taktung. In Spitzenzeiten fuhren U-Bahnen damals im Abstand von zweieinhalb Minuten. 60 bis 80 Sekunden waren angestrebt – mithin wären doppelt so viele Züge in der gleichen Zeit unterwegs.
Die Hochbahn wollte Geld sparen
Aber es sollte auch billiger werden: Die Hochbahn konnte langfristig Personal einsparen beziehungsweise musste keine neuen Zugfahrer einstellen, was „angesichts der Arbeitsmarktsituation“ ohnehin schwierig sei, wie sie 1973 an ihre Belegschaft schrieb. Zugleich hoffte sie, den Stromverbrauch um mindestens 20 Prozent zu senken, weil die Elektronik viel präziser als ein Mensch die ideale, dem Fahrplan sekundengenau angepasste Beschleunigung eines Zuges, seine Höchstgeschwindigkeit und sein Abbremsen zu steuern vermochte.
Der Ingenieur Jürgen Lindner vom Sonderreferat der HHAG notierte seinerzeit in einer Expertise: „Bei Einschaltung menschlicher Tätigkeit in diesen Kreis, besonders im Bereich des Fahrbetriebs, kann weder die mögliche Leistungsfähigkeit einer Stadtschnellbahn ausgeschöpft werden, noch erreicht die Wirtschaftlichkeit des Fahrbetriebs im Entfernten ihr Optimum.“ Den Zugführern versicherte das Unternehmen zwar, dass ihnen jetzt und später auf keinen Fall betriebsbedingt gekündigt werde. Aber sie sollten nur noch in den Stationen einen Knopf für „Türen schließen“ und einen für „abfahren“ drücken und während der Fahrt nach unerwarteten Hindernissen auf der Strecke Ausschau halten.
80.000 Kilometer erfolgreiche Testfahrten
Über 80.000 Kilometer lief die erste Testphase erfolgreich, wie Fachleute der Hochbahn bescheinigten. Ende der 70er-Jahre startete ein Nachfolgeprojekt. Mit noch mehr Elektronik wurden jetzt die Züge ausgestattet, wozu man sie aufwendig umbauen und Sitze entfernen musste. Der Probebetrieb lief auf der Strecke der U 1 zwischen Volksdorf und Großhansdorf, zunächst wieder ohne, später mit Fahrgästen. Das allerdings war mit lästigen Umständen verbunden, denn wer aus der Innenstadt kam, konnte nicht mehr bis zum Ende durchfahren, sondern musste in Volksdorf in einen der Versuchszüge umsteigen.
1985 stellte die Hochbahn die Tests ein. Obwohl bereits eine Zulassung für den Fahrgastbetrieb vorlag, waren manche Probleme nicht mit Elektronik zu lösen, zumal nicht in den vorhandenen alten Zügen. Zum Beispiel die Hinderniserkennung.
Die U5 soll ohne Fahrer auskommen
In Hamburg verläuft ein Großteil der U-Bahn-Strecken überirdisch. Vor allem im Herbst sorgt nicht nur Laub auf den Gleisen dafür, dass Bremswege länger werden, sondern – weitaus gefährlicher – es liegen auch Bäume auf der Strecke, wenn mal wieder ein Orkan über den Norden hinweggefegt ist. Wie man das löse, so hieß es in einem Bericht des Hochbahn-Aufsichtsrats von 1985, „bedürfe noch weiterer Untersuchungen, die mit nicht übersehbaren Kosten verbunden wären“. Außerdem mangelte es bei den Fahrgästen an Akzeptanz für einen automatisierten Fahrbetrieb.
Heute sind führerlose U- und Schnellbahnen weltweit verbreitet. Auf mehr als 40 Strecken verkehren sie, in London ebenso wie in New York, am Münchner ebenso wie am Düsseldorfer Flughafen, und Nürnberg war 2009 die erste deutsche Metropole, die auf einer Strecke im regulären Betrieb voll automatisierte Bahnen einsetzte.
Und auch Hamburg will wieder auf den Zug aufspringen. Die geplante U 5 soll von vornherein so ausgestattet werden, dass sie ohne Fahrer auskommt und eine Taktfrequenz von 90 Sekunden erreicht. An den Bahnsteigen sollen Absperrungen mit Durchlässen stehen, vor denen punktgenau die Zugtüren zum Halten kommen. Aber, so hat Hochbahn-Chef Henrik Falk 2016 bei der Vorstellung der Pläne angekündigt, auch bei der U 5 soll immer ein Mitarbeiter an Bord sein. Man kann ja nie wissen ...