Hamburg. Vor 50 Jahren wurde das erste Herz verpflanzt. Das Abendblatt sprach darüber mit UKE-Herzchirurg Professor Reichenspurner.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1967 schrieb ein Herzchirurg am Groote-Schuur-Hospital in Kapstadt Zeitgeschichte: Christiaan Barnard pflanzte dem 54 Jahre alten Louis Washkansky das Herz einer 25-Jährigen ein, die kurz vorher direkt vor dem Krankenhaus tödlich verunglückt war. Zunächst ging es dem Gemüsehändler gut mit seinem neuen Herz, aber 18 Tage nach der Operation starb er an einer Lungenentzündung. Sie war wahrscheinlich Folge der vielen Medikamente, die das Immunsystem des Patienten lahmlegten, um eine Abstoßungsreaktion gegen das neue Herz zu verhindern. Nur einen Monat nach der ersten OP wagte Barnard eine zweite Transplantation, dieses Mal bei dem Zahnarzt Philip Blaiberg (60). Er überlebte 18 Monate mit dem fremden Herz.

Prof. Hermann Reichenspurner, Chef des Universitären Herzzentrums am UKE, war damals zwar erst neun Jahre alt, als die Bilder dieser ersten Herztransplantationen weltweit über die Schwarz-Weiß-Bildschirme flackerten. Aber er kann sich noch gut daran erinnern, besonders an die zweite Transplantation: „Ich habe noch das Bild des Groote-Schuur-Hospitals vor Augen. Dort hatte sich eine Menschenmenge versammelt, und ich sah, wie sich die Tür öffnete, durch die Blaiberg das Krankenhaus verließ.“ Besonders faszinierte den Jungen die Vorstellung, dass jemand das Herz von einem anderen Menschen in sich trägt. „Damals wollte ich kurzfristig auch schon Arzt werden, aber das änderte sich wieder“, sagt der gebürtige Münchner. Den Entschluss, die Medizinerlaufbahn einzuschlagen, fasste er erst, als er mit 16 Jahren ein Krankenpflegepraktikum im Krankenhaus absolvierte. Allerdings ahnte er da noch nicht, dass ihn die Herztransplantation, die ihn schon als Kind begeistert hatte, ein Leben lang begleiten würde.

Es fehlte noch an Medikamenten

Als Reichenspurner sich für eine medizinische Laufbahn entschied, war der erste Hype um die Herztransplantation schon lange wieder abgeklungen. Nach dem sensationellen Auftakt in Südafrika hatten zwar weltweit viele Zentren mit solchen Eingriffen begonnen, auch in Deutschland wurden 1969 in München die ersten beiden Transplantationen durchgeführt. Aber durchsetzen konnte sich das neue Verfahren noch nicht, weil die meisten Patienten den Eingriff nur für kurze Zeit überlebten. Es fehlte noch an Medikamenten, die gezielt die Abstoßungsreaktion gegen das fremde Organ unterdrückten, ohne dabei das gesamte Immunsystem lahmzulegen, was schwere Infektionen zur Folge hatte. Nur wenige Zentren, darunter auch die US-Universität Stanford, die maßgeblich an der Entwicklung der Operationstechnik beteiligt war, forschten weiter auf diesem Gebiet.

Der Pionier: Prof.
Christiaan Barnard
im Jahr 1988
Der Pionier: Prof. Christiaan Barnard im Jahr 1988 © dpa

Der Durchbruch kam 1979, als ein Schweizer das Medikament Ciclosporin A entwickelte. Damit stand ein Medikament zur Verfügung, das gezielt die Abstoßungsreaktion unterdrückte, ohne das Risiko für bakterielle Infektionen zu erhöhen. Erstmals eingesetzt wurde es 1981. Damit begann die Erfolgsgeschichte der Herztransplantation.

Zu dieser Zeit studierte Reichenspurner bereits Medizin in München. Dort führte der Chirurg Bruno Reichart 1981 die erste erfolgreiche Herztransplantation in Deutschland durch. Danach stand diese OP mehrmals im Jahr an. Teams flogen an die Kliniken, um Spendern die Herzen zu entnehmen, und brachten sie nach München, wo sie schwer kranken Patienten implantiert wurden. Oft mit von der Partie waren dabei zwei junge Medizinstudenten: Hermann Reichenspurner und Wolfgang Ertel, heute Chef der Unfallchirurgie an der Berliner Charité. „Wir haben in Amerika die Technik gelernt, mit der Herzen für Langzeittransporte konserviert werden konnten. Deshalb hat Reichart uns auf die Flüge immer mitgenommen“, sagt Reichenspurner – Reichart war auch sein Doktorvater.

Privataudienz beim Papst

Nur wenig später übernahm Reichart die Nachfolge von Barnard in Kapstadt. Sein Doktorand Reichenspurner folgte ihm 1987. Und am 5. Dezember 1987 transplantierte er dort am Groote-Schuur-Hospital das erste Mal ein Herz, also fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der ersten Transplantation. Bei dem zweijährigen Aufenthalt in Südafrika lernte Reichenspurner auch Barnard kennen. Er operierte damals nicht mehr, arbeitete aber noch im Labor. „Ich habe Barnard als sehr beeindruckende Persönlichkeit kennengelernt, mit sehr viel Humor. Er hat in seinem Leben sehr verschiedene Phasen durchgemacht. Es besteht aber kein Zweifel, dass ihm die erste Herztransplantation zu Kopf gestiegen ist. Er ist über Nacht zu einer weltweit gefeierten Person geworden, hatte eine Privataudienz beim Papst, hat Schauspielerinnen wie Gina Lollobrigida und Sophia Loren auf Partys kennengelernt. Aber als ich ihn traf, war er schon ein bisschen altersweise geworden und betrachtete diese Phase seines Lebens durchaus mit einer gewissen Selbstkritik“, erzählt Reichenspurner.

Behandlung ebenso wichtig

Von älteren Krankenschwestern erfuhr er, dass Barnard früher ein extrem harter Arbeiter gewesen war. So saß er zum Beispiel, wenn er ein Kind operiert hatte, die ganze folgende Nacht auf dem Boden und guckte auf den Überwachungsmonitor, um im Notfall jederzeit eingreifen zu können. 2001 starb der Herzchirurg, der an Asthma litt, in einem Hotelpool. „Sein Herz hat plötzlich versagt, und er ist ertrunken“, sagt Reichenspurner.

Auf Reichenspurners medizinische Laufbahn hatte der berühmte Chirurg aus Kapstadt allerdings wenig Einfluss, das war eher sein Doktorvater Reichart. „Ich bin so früh in die Herzchirurgie hineingewachsen, dass ich mir gar nichts anderes vorstellen konnte, als später auch diese Richtung einzuschlagen. Dass ich Chirurgie machen wollte, war schon vorher klar, weil ich jemand bin, der gerne schnell ein Ergebnis sieht. Bei Herzoperationen geht es aber nicht nur um die OP. Genauso wichtig ist auch die anschließende Behandlung auf der Intensivstation, die Steuerung des Kreislaufs, die Gabe von Medikamenten. Es ist eine Menge intellektuelle Beiarbeit nötig, damit der Patient gesund das Krankenhaus verlässt. Nur Chirurgie war mir immer zu wenig“, sagt der Herzchirurg.

2017 schon 20 Herzen transplantiert

Herztransplantationen haben Reichenspurner während seiner ganzen medizinischen Laufbahn begleitet. Rund 300 Herzen hat er transplantiert, das letzte vor drei Wochen einem elf Monate alten Säugling, der an einer angeborenen Herzschwäche litt. „Jetzt hat er ein neues Herz von einem vier Monate alten Spender bekommen. Er liegt zwar noch auf der Intensivstation, schaut aber schon ganz gut aus“, sagt Reichenspurner. In diesem Jahr wurden am UKE schon 20 Herzen transplantiert, drei davon bei Kindern.

Prof. Hermann Reichenspurner, Chef
des UKE-Herzzentrums
Prof. Hermann Reichenspurner, Chef des UKE-Herzzentrums © HA | Roland Magunia

Wenn eine Herztransplantation ansteht, ist gutes Timing das A und O, denn das Herz hat nur eine Haltbarkeit von vier bis maximal fünf Stunden, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem es dem Spender entnommen wird, bis zu dem Moment, in dem es im Empfänger wieder durchblutet wird. Das ganze Procedere läuft so ab: „Wir werden von unserem Transplantationszentrum und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) benachrichtigt, dass ein Spenderherz für einen unserer Patienten zur Verfügung steht. Wenn wir das Herz annehmen, organisiert die DSO den Transport unseres Teams zum Spenderkrankenhaus. Ein Team von uns entnimmt dort das Herz, konserviert es mit einer Spüllösung und bringt es dann, verpackt in eine Eisbox, auf dem schnellsten Weg hierher“, erzählt Reichenspurner. Im UKE bereitet bereits ein zweites OP-Team den Patienten auf die Transplantation vor.

Die Überlebensraten für Patienten, die ein neues Herz erhalten haben, sind deutlich gestiegen. In den 80er-Jahren lag die Überlebensrate im ersten Jahr bei 75 Prozent, nach zehn Jahren unter 50 Prozent. Heute überleben 90 Prozent der Patienten das erste Jahr und ungefähr 60 Prozent die ersten zehn Jahre. Haupttodesursachen der Patienten nach längerer Zeit sind schwere Infektionen, Tumorerkrankungen durch die Unterdrückung des Immunsystems und chronische Abstoßungsreaktionen, die sich an den Herzkranzgefäßen abspielen.

Kunstherz nur eine Übergangslösung

Angesichts des Mangels an Spenderorganen sind Kunstherzsysteme, die das schwache Herz unterstützen, zwar eine Alternative, aber nur in den ersten zwei Jahren. Danach sinkt die Überlebensrate stärker ab als bei der Herztransplantation. „Deswegen ist ein Kunstherz nach wie vor nur eine Übergangslösung bis zur Transplantation oder eine Lösung für Patienten, die eine Herzschwäche haben, aber nicht transplantiert werden können, zum Beispiel weil sie an einem Tumor erkrankt sind“, sagt Reichenspurner.

Die Herztransplantation hat ihn übrigens 1984 auch das erste Mal in die UKE-Herzchirurgie geführt. Damals lud Prof. Niels Bleese den jungen Mediziner nach Hamburg ein. Er sollte seinen Bluttest zur Diagnose von Abstoßungsreaktionen vorstellen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich 17 Jahre später hier die Herzchirurgie übernehmen würde“, sagt Reichenspurner.