Hamburg . Straßenschlachten, geplünderte Läden: Was bleibt, wenn der Stab von der deutschen G20-Präsidentschaft an Argentinien übergeht?

Es ist eine weltpolitische Führungsrolle, die man nicht alle Tage bekommt. Genauer gesagt: nur alle 20 Jahre. Deutschland hat in den letzten zwölf Monaten die G20 angeführt, die Gruppe der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt, die vier Fünftel der Wirtschaftskraft und zwei Drittel der Weltbevölkerung vereint. Höhepunkt war der Gipfel unter Vorsitz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Hamburg Anfang Juli, der in massiven Krawallen von Gipfelgegnern unterging.

Am 1. Dezember übernimmt Argentinien die Präsidentschaft. Zeit für eine Bilanz. Was hat die G20-Präsidentschaft also gebracht ...

... für Hamburg

Nichts, zumindest nichts Positives, darüber herrscht in der Stadt weitgehend Einigkeit. Denn nicht strahlende Werbebilder von „Michel“ oder Elbphilharmonie gingen um die Welt, sondern vor allem die Gewaltorgien im Schanzenviertel. Und dies keine zwei Jahre, nachdem bereits der Traum von Olympia 2024 in Hamburg krachend geplatzt war – durch das Nein der Bevölkerung. Auch vor dem G20-Gipfel waren viele Hamburger der Meinung: ein solches Großereignis in ihrer Stadt, und dann auch noch im linken Schanzenviertel – das kann nicht gut gehen. Sie hatten recht. Zum Leidwesen Hamburgs, das wohl auf Millionenkosten sitzenbleiben wird. Immerhin: Dem Tourismus hat der Gipfel nicht geschadet. Hamburg boomt unverdrossen.

... für Olaf Scholz

Für ihn geriet das Spitzentreffen zum Desaster. Statt Hamburg als weltoffene Hansestadt zu präsentieren, musste der Bürgermeister mit Leichenbittermiene erklären, warum er mit seinen Sicherheitsversprechen so daneben lag. Es sei die „schwerste Stunde“ seiner Amtszeit, sagte Scholz kleinlaut nach den Krawallen. Ganz ungewohnt für den sonst so selbstbewussten Bürgermeister, der die Stadt zuvor fast unangefochten regiert hatte. Die Opposition wittert seitdem die Chance, Scholz direkter anzugreifen. Und tut dies auch, etwa im G20-Sonderausschuss der Bürgerschaft, dem der SPD-Bundesvize noch mindestens bis Sommer 2018 Rede und Antwort stehen muss.

... Angela Merkel

Die Kanzlerin hat den Gipfelort Hamburg ausgesucht. Von der Kritik an der Eskalation der Gewalt bekam sie aber überraschend wenig ab. Für die Gipfel-Sicherheit war das Land Hamburg zuständig und nicht sie. Trotzdem: An einem anderen Gipfelort in Deutschland wäre es wohl kaum zu so heftigen Ausschreitungen gekommen. Die Krawalle drängten das eigentliche Gipfelgeschehen in den Hintergrund und verhinderten, dass Merkel sich als glanzvolle Gastgeberin der mächtigsten Männer und Frauen der Welt präsentieren konnte. Auch die Ergebnisse waren unter dem Strich so schwach, dass davon nicht viel in Erinnerung bleiben wird. Merkel verpasste die Chance, mit einem erfolgreichen Gipfel für die Bundestagswahl zu punkten, die gut zwei Monate später stattfand.

... für Donald Trump und Wladimir Putin

Merkels G20-Gipfel bot die Bühne für das bislang einzige Treffen der Präsidenten der USA und Russlands. Inhaltlich kam außer zu Syrien allerdings wenig zählbares heraus. Seitdem ist das bilaterale Verhältnis noch schlechter geworden. Der Kreml gibt daran vor allem dem außenpolitischen Apparat in den USA die Schuld, nicht dem Präsidenten, mit dem man weiter gern ins Geschäft kommen würde. Beim Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC im November gab es entgegen der Erwartungen vor allem in Moskau kein Treffen – vielleicht auch deshalb, weil Trump innenpolitisch wegen Russland-Kontakten seines Wahlkampf-Teams stark unter Druck steht und jeder öffentliche Handschlag mit Putin gegen ihn verwandt werden könnte.

... für das Klima

Die Kanzlerin hat es geschafft, Trump nach seinem Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen zu isolieren und die anderen G20-Partner auf den Kampf gegen den Klimawandel einzuschwören. Allerdings fehlen weiter nationale Pläne, wie die Klimaziele erreicht werden können. Bei der Weltklimakonferenz in Bonn kam diesen Monat zumindest ein Entwurf für ein Regelwerk zur Umsetzung des Abkommens heraus. Mit seiner Abhängigkeit von der Kohle droht nun ausgerechnet Deutschland seine Klimaschutzziele selbst deutlich zu verfehlen. Auch erhöht der größte Klima-Sünder China seinen CO2-Ausstoß in diesem Jahr um 3,5 Prozent. Weltweit geht es um zwei Prozent hoch.

... für den Welthandel

Deutschland konnte nicht verhindern, dass Trump mit seiner „America First“-Politik das multilaterale Welthandelssystem untergräbt. Der neue US-Präsident stieg als erstes aus dem geplanten Freihandelsabkommen der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) aus, stellt auch andere Abkommen in Frage und will lieber bilateral neu verhandeln. Die Gefahr von Handelsstreitigkeiten wächst. In der Stahlkrise drohen die USA mit Strafzöllen gegen China, aber auch Europa und Deutschland. Ihnen wirft Washington unfaire Praktiken und Dumping-Preise vor. Wegen des hohen Handelsdefizits der USA mit China drohen neue Spannungen zwischen den zwei größten Volkswirtschaften.

... für den Weltfrieden

G20 ist kein Gesprächsformat, in dem die großen Krisen dieser Welt gelöst werden können. Ein Gipfel kann allenfalls einzelne Impulse setzen, so wie mit der Hamburger Einigung von Trump und Putin auf einen Waffenstillstand in Südsyrien. Insgesamt ist die Welt aber auch im Jahr der deutschen G20-Präsidentschaft unsicherer geworden. Das Säbelrasseln zwischen Nordkorea und den USA hat dazu geführt, dass die Gefahr eines Atomkriegs so groß erscheint wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Das Atomabkommen mit dem Iran wackelt. Der Wettbewerb zwischen dem Iran und Saudi-Arabien um die Vormacht im Nahen Osten wird immer bedrohlicher. Die erratische Außenpolitik Trumps sorgt für eine allgemeine weltpolitische Verunsicherung. Und Frieden in Syrien gibt es übrigens immer noch nicht.

... für Afrika

Der große Wurf ist ausgeblieben. Eine deutsche Initiative („ Compacts with Africa“) mit der Rahmenbedingungen für Investoren verbessert werden sollen, konzentriert sich aus Sicht der Entwicklungsorganisationen Oxfam und One zu einseitig auf die Kooperation mit der Wirtschaft und zu wenig auf die Betroffenen vor Ort. Die zunächst angestrebten bilateralen Übereinkünfte mit Ländern wie Ghana, Tunesien und Elfenbeinküste stecken noch im Verhandlungsprozess. Im Kampf gegen die vier Hungerkrisen in Nigeria, Somalia, Südsudan und Jemen verstärkten die G20-Staaten immerhin ihr humanitäres Engagement und sagten seit dem Gipfel mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar zu. Trotzdem sei es enttäuschend, dass es den reichen Ländern nicht gelungen sei, den dringendsten Bedarf abzudecken, beklagt Oxfam.