Hamburg. Im Sonderausschuss ist kein echter Wille zur Aufklärung beim Bürgermeister zu erkennen. Der Wahrheitsfindung dient das nicht.

Noch waren nicht alle Staats- und Regierungschefs abgereist und die Stadt stand nach den unfassbaren Gewaltausbrüchen rund um den ­G-20-Gipfel unter Schock, als ein sichtbar von den Ereignissen gezeichneter Erster Bürgermeister dem Abendblatt an jenem 9. Juli, einem Sonntag, ein Interview gab. Auf die Frage, welche Fehler er selbst gemacht habe, antwortete Olaf Scholz: „Diese Frage beschäftigt mich natürlich nicht erst heute. Das müssen wir auch parlamentarisch aufarbeiten. Ich werde eine Regierungserklärung dazu abgeben. Wir werden auch eine genaue Lageanalyse vornehmen, ob wir etwas anders hätten machen können, um die Gewaltexzesse zu verhindern.“

Aufarbeitung, Aufklärung – das klingt richtig, überzeugend und angemessen, ist aber auch selbstverständliche Pflicht von Politik, Polizei und Verwaltung nach solch grundstürzenden Ereignissen bei einem Treffen der Superlative, das seit Beginn an diesem Ort (Messehallen) in dieser Stadt heftig umstritten war. Wer den Bürgermeister am Donnerstag bei seiner ersten, gut vierstündigen Befragung (zwei weitere folgen) vor dem Sonderausschuss der Bürgerschaft – exakt vier Monate nach dem G-20-Gipfel – erlebt hat, der muss feststellen, dass von echtem Aufklärungswillen beim Bürgermeister nicht viel übrig geblieben ist.

Scholz hatte dem Ausschuss nicht viel Neues zu bieten

Das ist schon daran abzulesen, dass Scholz dem Ausschuss nicht viel Neues mitzuteilen hatte. Seine Strategie lautete im Wesentlichen Verteidigung. Und das ging so: Alle Spitzen der relevanten Sicherheitsbehörden hätten vor dem Treffen gesagt, dass die Sicherheitslage beherrschbar sei. Fehler in der Vorbereitung konnte Scholz nicht erkennen, im Gegenteil: Die Zusammenarbeit der beteiligten Stellen sei „exzellent“ gewesen.

Dabei hatte es ja massive Warnungen im Vorfeld gegeben. Von 8000, ja 10.000 gewaltbereiten Autonomen auf dem Weg nach Hamburg war die Rede. Aber die glaubte man mit mehr als 20.000 Polizeibeamten weitgehend in Schach halten zu können. Dass marodierende Gruppen von Autonomen frühmorgens über die Elbchaussee und die Osterstraße zogen, sei eine zuvor nicht bekannte und daher nicht vorhersehbare Form zielloser Gewalt gewesen. Und die stundenlangen Zerstörungen und Plünderungen im Schanzenviertel, auf die die Polizei erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung reagierte? Dass die Schanze Ziel von Gewalt werden würde, entspricht doch der Erfahrung vieler Jahre. Aber darauf ging der Bürgermeister nicht ein.

Beinahe stur blieb Scholz auch bei seiner Linie, dass ein Treffen wie der G-20-Gipfel in einem demokratischen, freiheitlichen Staat möglich sein müsse. Und in Deutschland kämen dafür aufgrund der vorhandenen Hotelkapazitäten für mehr als 10.000 Teilnehmer nur Berlin, München, Hamburg und vielleicht Köln in Betracht. „Die anderen Städte hätten die gleichen Probleme gehabt wie wir“, sagte Scholz.

Für die CDU ist der Fall klar

Für CDU-Fraktionschef André Trepoll ist der Fall klar. „Der Bürgermeister hat kein Interesse an Aufklärung. Für ihn ist der Fall erledigt“, sagt der CDU-Politiker. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein: „Der Bürgermeister hat beteuert, dass die Gewaltexzesse nicht vorhersehbar waren und alle Vorbereitungen fehlerlos gewesen wären. Das ist weder glaubhaft noch ausreichend.“

Das stimmt einerseits, und dennoch ist die Lage komplizierter. Zu beobachten war im Ausschuss eine doppelte Inszenierung – vonseiten der Opposition wie von Scholz. Der Wahrheitsfindung hat das erkennbar nicht gedient. Vor allem die CDU hatte den Plan, Scholz politisch zu stellen und in die Enge zu treiben. Trepoll profilierte sich als hartnäckiger Fragesteller, aber in manchen Fragen schwang sein Urteil über den Bürgermeister schon mit. Ärgerlich war auch, dass sich die Abgeordneten bisweilen auf Kosten der Kollegen anderer Fraktionen profilieren wollten. Das gewährte Scholz eine Atempause und amüsierte ihn bisweilen. Das war der Fall, als der AfD-Innenpolitiker Dirk Nockemann Trepoll ziemlich herablassend zurechtwies: „Man merkt, dass Sie noch keine politische Verantwortung getragen haben.“ Der AfD-Mann und Ex-Schillianer war sieben Monate lang Innensenator.

Wenig souverän agierte der Ausschussvorsitzende Milan Pein (SPD), als er die Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir rüde unterbrach, weil ihre Fragen zu den Kosten des Gipfels angeblich nicht von der vorgesehenen Tagesordnung gedeckt seien. Das ließ den unschönen Eindruck aufkommen, das Regierungslager wolle kritisches Nachsetzen unterdrücken.

Auf der anderen Seite hat der Polit-Profi Scholz, man muss es so deutlich sagen, seine Minimalstrategie konsequent angewendet. Nach außen hin zunächst freundlich – er begrüßte jeden Abgeordneten per Handschlag und bedankte sich später bei fast jeder Frage – blieb er doch auch bei mehrfachen Nachfragen bei seinen einmal gewählten Formulierungen. Aufklärung in der Sache kommt so nicht zustande. Je länger die Sitzung dauerte, desto weniger beantwortete Scholz zudem die Fragen oder versuchte es wenigstens.

Die CDU sieht „klaren Punktsieg der Opposition“

War es ein Zeichen von Genervtsein oder von mangelndem Respekt dem Parlament, der ersten Gewalt, gegenüber? Manchmal ließ Scholz in seinen Antworten eine gewisse Herablassung spüren. Ein Beispiel: Linken-Fraktionschefin Özdemir zitierte einen Wissenschaftler mit der Aussage, G-20-Gipfel seien nicht mehr mit polizeilichen, sondern nur mit militärischen Mitteln zu sichern. „Das ist so weit weg, dass ich nicht weiß, wie man darauf kommen kann. Das ist tiefster marxistischer Keller, lassen Sie das da tief verborgen“, beschied der Bürgermeister.

Für Trepoll war Scholz „teilweise selbstherrlich und arrogant“. Treuenfels-Frowein ist sich sicher, dass der SPD-Politiker „seine verloren gegangene Glaubwürdigkeit mit der Strategie des Abperlen-Lassens nicht wiedergewinnen wird“. Während der CDU-Fraktionschef einen „klaren Punktsieg der Opposition, aber noch keinen Knock-out“ sieht, dreht die SPD den Spieß um. „Alle Vorwürfe der Opposition liefen erkennbar ins Leere“, sagte die SPD-Obfrau Martina Friedrichs.

Und Scholz? Der Bürgermeister ist letztlich ohne Schrammen aus der Sitzung hervorgegangen. Seine Strategie ist nicht schön, aber möglicherweise erfolgreich. Doch: Fortsetzung folgt.