Hamburg. Der Hamburger Pop-Beau Johannes Oerding spielte am Sonnabend vor 10.000 Zuschauern. Im August 2018 ist er wieder zu sehen.
Die Luft wird schon sehr dünn in der letzten Reihe von Block O1 im Oberrang der Barclaycard Arena. Und die Plätze sind am Sonnabend die am weitesten von der Bühne entfernten, Johannes Oerding und Band sind trotz Videoleinwänden eine Ameisenparty. Doch plötzlich verschwindet Oerding von der Bühne, um kurz darauf genau dort oben aufzutauchen. Eine Frau bekommt mit „Wenn du lebst“ ein kurzes Ständchen, einem Mann schnorrt er ein Wegbier ab, dann geht es zurück zu den Musikern.
Das ist nur eine von vielen netten Gesten, die sich Johannes Oerding für sein Heimspiel zum Tourabschluss in Hamburg einfallen lässt. Schließlich hat sich der gebürtige Rheinländer seit seinem ersten Auftritt mit sechs Jahren auf einem Flohmarkt über diverse Clubs von Knust bis Große Freiheit erst in die Sporthalle und dieses Jahr in die Barclaycard Arena gespielt.
Und obwohl der Hamburger Konzertkalender im November traditionell überläuft, sind 10.000 Fans gekommen. Anders gesagt: „Es ist wahr, was die Leuchtschrift in die Nacht schreibt: Es gibt sie noch, die Große Freiheit“, wie Oerding in seinem ersten Lied singt. Aber die Große Freiheit 36, einst sein unmöglich erscheinender Wunsch-Auftrittsort, ist nun zu klein. „Ein schönes, kleines, privates Konzert“, lacht Oerding nach einem Blick über die Reihen.
Oerding mit guter Band im Rücken
Für den großen Saal im Volkspark reicht es natürlich auch nicht mehr, alleine mit der Klampfe und zwei Funzeln Befindliches und Besinnliches zu präsentieren. Oerding greift zur Elektrischen, zur Fender Telecaster, hat eine unauffällige, aber auf den Punkt spielende Band im Rücken und ein enthusiastisches Publikum vor sich.
Nach „Leuchtschrift (Große Freiheit)“ und „Tetris“ schallen bereits bei „So schön“ tausendstimmige gemischte Chöre durch das Rund. Kein Wunder, dass Oerding danach „zum letzen Mal“ seine Trauma-Verarbeitung „Traurig aber wahr“ spielen will, umgewandelt in eine „70er-Jahre-Coverband-Version“ im Stil von Golden Earrings „Radar Love“: „Dass, wenn ich abends Applaus krieg, und danach dann zu Haus lieg’, keiner da ist, meine Lieder singt und Fotos mit mir will, war mir nicht klar“.
Nun singen sie seine Lieder und machen Fotos. Bei „Hundert Leben“, „Love Me Tinder“, einem angespielten „Zu spät“ von den Ärzten, „Weiße Tauben“ und „Kreise“. Vorab verteilte Luftballons mit Lämpchen werden geschwenkt. Irgendwie putzig.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere
„Wo wir sind, ist oben“, und das trifft nicht nur auf die sauerstoffarmen Höhenluft-Sitzreihen zu, die in nordamerikanischen Arenen „Nosebleeds“ (Nasenbluter) genannt werden und in Songs wie „Money Becomes King“ von Tom Petty oder „Thunder“ von Imagine Dragons verewigt worden sind.
Johannes Oerding befindet sich acht Jahre nach seinem Debütalbum „Erste Wahl“ und den Top-5-Platten „Für immer ab jetzt“ (2013), „Alles brennt“ (2015) und „Kreise“ (2017) auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Karriere. Und das in einem stilistischen Umfeld, in dem die Konkurrenz größer ist denn je. „Deutscher Pop ist: Jungs, die über Sehnsüchte singen“, sagte er dem Abendblatt im Mai. „Ich merke auch, dass es sehr inflationär wird, der Sound belangloser, die Inhalte einfacher. Hauptsache Junge mit Gitarre.“
Und Oerding, als Songschreiber immer noch gern unterschätzt, weil er ein Meister der Eingängigkeit ist, hat entsprechend neue Töne auf dem aktuellen Album „Kreise“ angeschlagen. Der Sonnyboy, 35 Jahre alt, ist sowohl nachdenklicher geworden als auch vielseitiger. Weltschmerz Marke „Weiße Tauben“ trifft auf plakative Prince-Schlüpfrigkeit in „Zieh dich aus“. Mehr Wagnisse und weniger Auf-Nummer-sicher-Songs.
Oerding hat sich die große Bühne verdient
Das kommt live sehr gut an. Oerding zeigt seine Qualitäten als Sänger und Entertainer sowohl beim Show-Vollgas inklusive Handylicht-La-Ola („Alles brennt“) als auch in ruhigen Abschnitten. Alleine am Klavier auf einer zweiten Bühne mitten im Publikum spielt er „Zwischen Mann und Kind“ und „Schlaflos“. Er lässt sich auch als Star immer noch für Neues begeistern, ist oft gesehener Konzertgänger in Hamburgs Clubs und lobt eine Minute lang Sängerin Antje Schomaker, die das Vorprogramm an diesem Abend bestritt. Vor vier Jahren war es noch Johannes Oerding, der in dieser Halle den Abend für Joe Cocker eröffnete. Ein Vollblutmusiker durch und durch, dabei immer noch bodenständig und aufrichtig gerührt, wenn er „Engel“, „Heimat“ oder „Ich will dich nicht verlier’n“ singt.
Und Oerding hält, was er verspricht: „Wir haben die Heizung auf Fünf gedreht, viel Spaß mit sieben Stunden Livemusik“, rief er bei Konzertbeginn, und auch wenn es nach der letzten Zugabe „Für immer ab jetzt“ nur drei Stunden geworden sind, vermittelt er doch das Gefühl, wirklich sieben Stunden spielen zu wollen. Er hat sich die große Bühne, die 10.000 Fans erarbeitet, erspielt, erlitten und verdient. Und über Konzertverisse aus Bayern, in „Traurig aber wahr“ thematisiert, muss er ja auch nicht mehr singen: „Dieser Zeitungsredakteur, der selber gerne Musiker wär’, hatte früher mal ‘ne Band, die außer ihm sonst niemand kennt. War keiner da.“
Oerding im August im Stadtpark
Nach der Arena geht es ins Grüne: Am 25. August spielen Johannes Oerding und Band open air auf der Stadtparkbühne in Winterhude. Der Vorverkauf hat begonnen, Konzertkarten kosten 37 Euro.