Hamburg. Für ihre Arbeit erhielt die Kinderkrankenschwester die Auszeichnung. Waltraud Hubert kennt ungewöhnliche Mittel gegen Traurigkeit.
Mit gerade einmal neun Jahren hat Waltraud Hubert beschlossen, Kinderkrankenschwester zu werden. Damals lag sie mit einer Mandelentzündung drei Wochen lang im Altonaer Krankenhaus. „Wenn meine Mutter nach Hause geschickt wurde, war ich immer furchtbar traurig“, erzählt sie. Früher gab es noch feste Besuchszeiten. Immer mittwochs, sonnabends und sonntags von 15 bis 16.30 Uhr. Unvergessen.
Wenn die damalige Grundschülerin in der Nacht geweint hat, wurde sie von einer Schwester getröstet. „Sie hat mich an die Hand genommen, mich in der Küche auf die Arbeitsplatte gesetzt und Spiegeleier gebraten“, sagt Hubert. Spiegeleier? Ja, richtig. Schließlich seien sie das Mittel gegen Traurigkeit. Von da an stand für das junge Mädchen fest: „Das will ich auch machen.“
Beeindruckende Arbeit
45 Jahre später hält Waltraud Hubert eine bunt-gemusterte Kulturtasche in den Händen. Sie zerrt am Reißverschluss, packt eine vergoldete Bronzestatue in Form eines Rehs aus und streicht vorsichtig über den Rücken. „Ich wäre sehr traurig, wenn man sie mir stehlen würde. Sie bedeutet mir von Tag zu Tag mehr“, sagt die 54-Jährige. Hubert ist eine zierliche Frau. Sie trägt Brille, einen kecken Kurzhaarschnitt und marineblaue Arbeitskleidung. Als Krankenschwester in einer Spezialambulanz für Kinderdemenz im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) kümmert sie sich um todkranke Kinder.
Am vergangenen Donnerstag wurde die Hamburgerin bei der Bambi-Verleihung in Berlin als „Stille Heldin“ für ihre beeindruckende Arbeit ausgezeichnet. „Ich wusste von nichts. Als ich auf der Bühne stand, war ich wie ferngesteuert. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen“, erzählt Hubert eine Woche später. Seit ihrem großen Fernsehauftritt in der ARD wird die Kinderkrankenschwester sogar auf Hamburgs Straßen erkannt. Ob sie auch eine Autogrammkarte habe? „Natürlich“, sagt Hubert und zückt mit einem breiten Grinsen eine Visitenkarte aus der Brusttasche ihres Kittels.
Seltene Erbkrankheit
In einem lilafarbenen Kleid, das sie schon vor zwei Jahren bei der Hochzeit ihrer Tochter getragen hatte, wurde ihr die zweieinhalb Kilogramm schwere Bambi-Trophäe von Showmaster Florian Silbereisen überreicht. Stars wie Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger, Supermodel Claudia Schiffer und Schauspielerin Diane Kruger erhoben sich von ihren Plätzen. Wer applaudierte, war Schwester Waltraud allerdings ziemlich egal. Sie scherzt: „Ich wusste gar nicht, dass auch Nicht-Promis einen Bambi bekommen.“
Seit zehn Jahren schon versorgt Waltraud Hubert Kinder mit der seltenen Erbkrankheit Kinderdemenz. Stets mit der traurigen Gewissheit, dass ihre jungen Patienten in naher Zukunft sterben werden. „Ihr Schicksal geht mir manchmal schon sehr nah. Wenn ich sehr belastet bin von der Arbeit, hilft mir Sport“, erzählt Hubert. Im Sommer fährt sie am liebsten Kajak und macht Stand-up-Paddling. Oder sie geht an der Alster spazieren, um den Kopf freizubekommen.
Bisher galt Kinderdemenz als unheilbar
Die meisten verbinden Demenz mit einer Krankheit, an der ausschließlich alte Menschen leiden. Von Kinderdemenz haben die wenigsten schon einmal gehört. „Die Kinder kommen meist gesund auf die Welt und entwickeln sich zunächst völlig normal“, erklärt Annette Bley, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am UKE. „Doch plötzlich verlieren sie die erlernten Fähigkeiten wie sehen, sprechen und gehen.“ Patienten, die an der Hirnabbauerkrankung leiden, entwickeln also keine reine Demenz.
Manchmal dauert es nur wenige Monate, manchmal sogar Jahre bis ein Kind völlig hilflos wird und stirbt. Bisher galt Kinderdemenz als unheilbar. „Für einzelne Formen geben experimentelle Therapieversuche oder ein erstes zugelassenes Medikament aber Hoffnung“, sagt Bley. Aus ganz Deutschland reisen Eltern mit ihren erkrankten Kindern nach Hamburg. Rund 250 Patienten werden im Kinder-UKE betreut. Möglich gemacht wird das erst durch die „Freunde der Kinderklinik“. Der gemeinnützige Verein unterstützt die Spezialambulanz seit fast 30 Jahren mit Spendengeld. Die ehrenamtliche Chefin Marlies Paschen erklärt: „Wir wollen das Leben der Kinder ein wenig lebenwerter gestalten.“
Andere Mittel gegen Traurigkeit
Genau darum geht es auch Waltraud Hubert: „Es macht mich glücklich, wenn Kinder gerne kommen und sich auf mich freuen. Einige sagen nicht, dass sie ins Krankenhaus fahren, sondern zu Schwester Waltraud.“ Als „Stille Heldin“ würde sie sich deshalb aber noch lange nicht bezeichnen. „Ein Held ist für mich ein Feuerwehrmann“, sagt sie trocken. Wenn Schwester Waltraud dürfte, würde sie am liebsten ihren weinenden Patienten in der Nacht Spiegeleier braten. Die Vorschriften verbieten es ihr allerdings. Salmonellengefahr. Aber sie findet andere Mittel gegen Traurigkeit.