Warum die SPD klug beraten wäre, sich mit Merkel an einen Tisch zu setzen

Robert Habeck von den Grünen hat es gesagt, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat es auch gesagt. Und es kann gar nicht oft genug gesagt werden in diesen Tagen: Die Parteien müssen alles dafür tun, Neuwahlen zu verhindern. Das ist sowohl in ihrem als auch im Interesse des Landes. Wer ernsthaft über eine Bundestagswahl im März/April nachdenkt, riskiert, dass aus der schwierigen Situation, in der sich das politische Deutschland befindet, eine Staatskrise wird.

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts
Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts © HA | Andreas Laible

Neuwahlen sind vor allem deshalb sinnlos, weil sie an den Problemen, denen die Parteien sich aktuell gegenübersehen, mit großer Wahrscheinlichkeit nichts ändern werden. Mag sein, dass die einen etwas an Stimmen zulegen und die anderen etwas verlieren werden. Am Ende wird es aber zu 99,99 Prozent wie nach dem 24. September zwei Optionen für eine Regierung geben – die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD und das gerade gescheiterte Jamaika-Bündnis. Soll heißen: Nach einem erneuten Wahlkampf, nach Kosten von rund 90 Millionen Euro, nach mehreren Monaten des Stillstands hätten die Parteien dieselben Möglichkeiten wie bisher. Und wie lächerlich wäre es, wenn etwa die SPD dann einer Großen Koalition zustimmen würde, die vielleicht kleiner wäre als heute. Wie unglaubwürdig wäre es, wenn plötzlich, nur weil noch einmal gewählt worden ist, die FDP in ein Jamaika-Bündnis eintreten würde.

Neuwahlen würden außer Werbeagenturen, Medien und Plakatdruckern niemandem weiterhelfen, und es ist zu hoffen, dass die handelnden Personen das nach den Gesprächen mit dem Bundespräsidenten erkennen. In diesem Zusammenhang muss man natürlich über die neue Rolle der SPD nach den geplatzten Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP sprechen. Es mag ein geschickter, wenn auch viel zu schneller Zug des niedergeschlagenen Vorsitzenden Martin Schulz gewesen sein, wenige Minuten nach der ersten Prognose am 24. September den Gang seiner Partei in die Opposition zu erklären.

Die Strategie hätte auch aufgehen und die Erneuerung der Sozialdemokratie beflügeln können, wenn sich eine Jamaika-Regierung gebildet hätte. Doch nach deren Nichtzustandekommen steht die SPD vor einer neuen Situation. Sie kann nicht davon ausgehen, bei Neuwahlen in wenigen Wochen viel besser abzuschneiden als am 24. September; wenn Martin Schulz noch einmal antreten sollte, schon gar nicht. Ihr würde, mehr als der FDP, übel genommen werden, dass sie Gespräche über eine Regierungsbildung gänzlich ausgeschlossen hat. Bei allem Verständnis für die schwierige Lage der Sozialdemokraten: Die, die sie gewählt haben, haben das natürlich mit der Erwartung und dem Wunsch getan, dass die SPD Verantwortung übernimmt.

Genau das sollte sie jetzt tun und sich mit Merkel und Co. an den Tisch setzen. Erstens, weil das im Vergleich mit Neuwahlen für die SPD das kleinere Übel und Risiko ist. Zweitens, weil nach Neuwahlen sowieso wieder über eine Große Koalition verhandelt werden müsste. Und drittens, weil man der CDU/CSU diesmal so viel abverlangen kann wie selten zuvor, übrigens auch den ursprünglich für die FDP freigeräumten Posten des Finanzministers.

Der dürfte in den kommenden vier Jahren neben dem Kanzler der mit Abstand wichtigste Politiker in Deutschland und Europa sein. Wenn die SPD schlau ist, lässt sie sich diese Chance nicht entgehen. Den passenden Mann für das Amt haben sie ja zum Glück in den eigenen Reihen. Er heißt allerdings Scholz, nicht Schulz.