Hamburg. Zwei Oberkommissare ziehen seit drei Monaten Raser und ihre getunten Fahrzeuge aus dem Verkehr – Verfolgungsjagden inklusive.

„Autorennen in Wilhelmsburg mit Porsche, Ferrari, Mercedes – los geht’s!“ Polizeioberkommissar Tobias Hänsch (34) greift seine Tasche und eilt mit seinem Kollegen Sebastian Bauch (36) zu einem Videomess-Wagen, der in der Garage der Hamburger Verkehrsstaffel Ost im Stadtteil Horn bereitsteht. Zügig fährt Polizeioberkommissar Bauch auf die vierspurige Rennbahnstraße. Dann tritt er aufs Gas, während Hänsch im Fahren das Blaulicht auf das Dach des Wagens setzt. Der schwarze BMW 350 schießt los, die Tachonadel geht in wenigen Augenblicken auf 140. Hänsch leitet die „Kontrollgruppe Autoposer“, die seit Anfang September gegen illegale Autorennen, Raser und sogenannte Poser vorgeht, die mit aufheulenden Motoren auf ihre getunten Fahrzeuge aufmerksam machen.

In Wilhelmsburg ist jedoch weit und breit kein Rennfahrer zu sehen. Die angegebene Straße entpuppt sich als Sackgasse, der Tippgeber ist nicht mehr erreichbar. Doch auf einen neuen Einsatz müssen Hänsch und Bauch nicht lange warten. Schon kurz darauf stoppen sie in Harburg einen getunten Golf GTI, der durch laute Fahrmanöver auf sich aufmerksam gemacht hat. Der etwa 30 Jahre alte Fahrer ist wortkarg, hat aber alle Bescheinigungen für die Umbauten – eine 2500 Euro teure Auspuffanlage und dunklere Rückleuchten – dabei. Hier bleibt es bei einer Belehrung, dass das Verursachen von unnötigem Lärm verboten ist.

Ein schwarzer Mercedes rast rechts vorbei

Fahrer dieser Art gehören nicht gerade zur Zielgruppe, erklärt Oberkommissar Hänsch. „Ein guter Tuner lässt alle Veränderungen eintragen und zeigt dem Beamten gerne mal einen Leitzordner mit den Bescheinigungen. Das ist der Tuner, den wir uns wünschen.“

Dass Wünsche nicht immer in Erfüllung gehen, zeigt sich jedoch ein paar Straßen weiter. Ein schwarzer Mercedes rast rechts an den Beamten vorbei, die in ihrem Freizeitlook nicht als solche zu erkennen sind. An den Ampeln gibt der Fahrer Gas und lässt es aus den Auspuffrohren krachen. Hänsch warnt seinen Kollegen: „Der hat ein paar Pferdchen mehr als wir, nicht dass er seine Chance wittert und abhaut!“ Sie schalten Blaulicht und Martinshorn ein, überholen und lassen an einer Autobahnausfahrt die rote Schrift „Polizei – folgen“ aufleuchten. Der Mercedes folgt.

Mit dem 600 PS starken Audi gegen einen Laternenmast

Hänsch erklärt dem 26-Jährigen am Steuer, dass er deutlich zu schnell gefahren ist und ihn nun ein einmonatiges Fahrverbot erwartet. Die Fahrt ist von der Videokamera des Polizeiwagens aufgezeichnet worden. Der anfangs gespannte Ton wird lockerer, als Fahrer und Beifahrer aussteigen und die Motorhaube öffnen. Beim Blick auf die Technik kommt Stolz auf. „Das Auto ist ganz neu, er wollte es mir nur zeigen“, sagt der Beifahrer, der sich als Onkel des 26-Jährigen vorstellt. Und das mit der Lautstärke? „Wir haben das nicht gemacht!“

Der Fahrer gibt an, dass er in einem Kfz-Unternehmen arbeitet. Seinen Wagen bezeichnet er als „Baby-AMG“. Das Baby hat aber immerhin 367 PS, wie Hänsch deutlich macht. Die Wagen der Daimler-Tochter AMG seien in der Szene Standard. Neu koste so ein Auto zwischen 150.000 und 180.000 Euro, nach fünf bis sieben Jahren sei ein Wagen für ein Viertel des Preises zu haben. „Den mieten oder leasen sich die zu fünf oder sechs Mann“, weiß Hänsch.

Autoposer sind in der Regel Männer

„Mann“ ist korrekt, denn Autoposer sind in der Regel Männer. „Es gibt eine Frau, die mal in einem szenetypischen Wagen unterwegs war“, erinnert sich der Oberkommissar. Aber erwischt hat die Kontrollgruppe noch keine Fahrerin, ebenso wenig wie die Kollegen in Berlin, Mannheim oder Bad Segeberg, zu denen die Hamburger gute Kontakte haben.

Die oft jungen Fahrer seien oft mit der Technik überfordert. Hänsch zeigt im Vorbeifahren auf einen beschädigten Zaun an einer Bahnlinie in Harburg. Wenige Tage zuvor ist dort ein 19-Jähriger mit einem mehr als 600 PS starken Audi R8 gegen einen Laternenmast, durch den Zaun und dann gegen einen stehenden Güterzug geschleudert. Der 19-Jährige und sein Beifahrer kamen mit leichten Verletzungen davon. Erst kurz vor dem Unfall hatten ihn Beamte der Kontrollgruppe gestoppt und verwarnt.

Nicht immer gehen illegale Rennfahrten so glimpflich aus. In Berlin rammte Anfang 2016 ein junger Raser bei Tempo 160 einen Jeep, dessen Fahrer starb. In einem spektakulären Prozess verurteilte ein Gericht ihn und einen weiteren Raser im Februar 2017 zu lebenslanger Haft – wegen Mordes. Bei einem illegalen Autorennen in Hamburg kam im Oktober 2015 ein Mitfahrer auf der Rückbank ums Leben.

Seit Mitte Oktober droht Rasern Gefängnis

Vorkommnisse dieser Art bewogen Bundestag und Bundesrat, das Gesetz zu verschärfen. Seit Mitte Oktober sind illegale Rennen, auch Einzel-Rennfahrten Straftaten und nicht mehr nur Ordnungswidrigkeiten. Den Teilnehmern droht Gefängnis. Und die Fahrzeuge können gerichtlich eingezogen werden. Die neun Beamten der Hamburger Kontrollgruppe Autoposer haben schon mehr als zwei Dutzend Autos sichergestellt. An diesem Abend kommen drei hinzu.

Der erste ist ein blauer Porsche, der auf der Reeperbahn an den Beamten vorbeiröhrt. „Bauern-Porsche“ nennt Hänsch das ältere Modell. „Lass uns da mal drunterschauen“, sagt er. Sie stoppen den Wagen in einer Seitenstraße vor einem Sexkino. Der 54 Jahre alte Fahrer ist kooperativ. Er lässt es sich gefallen, dass Hänsch ihm mit einer Lampe in die Pupillen leuchtet, um einen möglichen Drogenkonsum festzustellen. Fehlanzeige. Aber am Wagen stimmt etwas nicht. Oberkommissar Bauch lotst den Porsche auf das Gelände einer Tankstelle. Dort hält Hänsch ein Messgerät vor den Auspuff, während Bauch aufs Gaspedal tritt. 102 Dezibel zeigt das Gerät an. „Fünf ziehen wir zu Ihren Gunsten ab, dann sind wir bei 97 Dezibel“, erklärt Hänsch dem Fahrer. Das Standgeräusch des 1991 gebauten Wagens vom Typ 944S2 (211 PS) darf maximal 86 Dezibel laut sein. Zehn Dezibel mehr bedeutet eine Verdoppelung des Lärms. Die Beamten stellen den Porsche zur Begutachtung durch einen Sachverständigen sicher und rufen einen Abschleppwagen.

Die letzte Kontrolle des Abends ist weniger entspannt

Auf den Halter kommen jetzt mindestens 700 Euro an Kosten und Bußgeld zu, bevor er sein Auto wieder abholen und in einen legalen Zustand zurückbauen darf. Mit feuchten Augen schaut der 54-Jährige seinem Auto hinterher.

Wenig später wieder lautes Röhren auf der Reeperbahn, diesmal von einem Ford Mustang. Der Fahrer wendet riskant, Bauch hat ihn jedoch in wenigen Augenblicken eingeholt. Eine Lärmmessung an den Sidepipes, wie die doppelten Auspuffrohre an den Seiten des gut 300 PS starken US-Fabrikats genannt werden, ergibt 17 Dezibel über dem Limit. Ein Blick unter die Motorhaube zeigt: Der Luftfilter liegt offen, was das Abgasgeräusch deutlich verstärkt.

Der Fahrer weigert sich, den Autoschlüssel rauszugeben

„Den habe ich so gekauft!“, rechtfertigt sich der 32 Jahre alte Fahrer, ein Hafenarbeiter. Den Satz kennen Hänsch und Bauch schon. Die Beifahrerin springt ihrem Freund zur Seite. „Er hat doch gar nichts gemacht“, ruft sie. Hänsch und Bauch erklären geduldig, was passieren kann, wenn ein Radfahrer oder ein Fußgänger von einem aufheulenden Motor erschreckt wird. Auch diesen Wagen lassen sie abtransportieren. „Mir tut das menschlich auch leid“, sagt Hänsch, „aber das Fahrzeug darf so nicht fahren.“ Der Hafenarbeiter und die Frau verabschieden sich mit Handschlag von den Beamten.

Die letzte Kontrolle des Abends wird für die beiden Polizisten weniger entspannt. Sie folgen einem dröhnenden Sportwagen mit litauischem Kennzeichen, das Bauch sogleich aufgefallen ist. Hat der Fahrer die Verfolgung bemerkt? Er braust jedenfalls davon und macht ein paar gewagte Spurwechsel. Die Beamten schalten wieder Blaulicht und Martinshorn ein und bringen den Wagen an einer Ausfallstraße zum Halten. Der Fahrer ist sauer.

Die beiden Beamten sind auf alles gefasst

Der 52 Jahre alte Hamburger sagt, sein windschnittiges Gefährt mit den überbreiten Reifen sei ein Datsun 280Z Fairlady, Baujahr 1977, 160 PS. Hänsch leuchtet mit einer Taschenlampe auf den Motor, findet wieder einen offenen Luftfilter. Für die nachträglich eingebaute Abgasanlage kann der Fahrer keine Genehmigung vorlegen. Der Mann erklärt, dass das Auto zwei Jahre in Litauen zusammengebaut worden sei und er es erst vor einer Woche für 36.000 Euro gekauft habe. Ein TÜV-Termin in Hamburg sei vereinbart.

Hänsch zeigt sich unbeeindruckt. „Wir werden das Fahrzeug jetzt sicherstellen“, kündigt er an. Der 52-Jährige holt verärgert seine Sachen aus dem Kofferraum, doch dann will er den Schlüssel nicht abgeben. „Die wollen mir mein Auto rauben“, wendet er sich hilfesuchend an die anwesenden Pressevertreter. Hänsch fordert den Schlüssel und erklärt, dass er notfalls körperlichen Zwang anwenden werde. Der 52-Jährige weigert sich weiter.

Die beiden Beamten sind auf alles gefasst, aber äußerlich ruhig. Hänsch wiederholt die Drohung, einmal, zweimal. Schließlich lenkt der Fahrer ein und händigt den Schlüssel aus. Nun hat er aber genug. Den Abtransport seines geliebten Autos will er nicht mehr mit ansehen. Er läuft zu einem Taxi und verschwindet.