Für mehr Sauberkeit sind nun doch 27 Millionen Euro im Haushalt übrig – woher kommt das Geld plötzlich?
Die Überraschung war gelungen. Viele Journalisten und Beobachter waren am Dienstagmittag schon auf dem Weg ins Rathaus, wo um 12.30 Uhr die Sozialsenatorin und der Justizsenator ihr neues Resozialisierungsgesetz vorstellen wollten, als die Tagesordnung der Landespressekonferenz plötzlich erweitert wurde. Umweltsenator Jens Kerstan werde auch erscheinen und etwas „zur Sauberkeit in der Stadt“ sagen, teilte der Senat um 12.06 Uhr mit – 24 Minuten vor Beginn der Sitzung.
Was der Grünen-Politiker im historischen Bürgersaal zu verkünden hatte, markierte nicht weniger als das Ende einer schier endlosen Geschichte: Seine von langer Hand geplante Sauberkeitsoffensive werde nun doch vollständig aus dem Haushalt finanziert, auf die höchst umstrittene Straßenreinigungsgebühr könne verzichtet werden. Sie sah vor, allen Grundeigentümern pro Monat 59 Cent pro Meter, den ihr Grundstück an die Straße grenzt, abzuknöpfen. So sollten rund 27 Millionen Euro pro Jahr zusammenkommen, um unter anderem bei der Stadtreinigung 400 zusätzliche Reinigungskräfte einzustellen.
Verwirrung über Finanzierungskonzept
Einen sonderlich niedergeschlagenen Eindruck angesichts der Tatsache, dass sein Finanzierungskonzept eingestampft wurde, machte Kerstan aber nicht, im Gegenteil. Ihm sei wichtig, dass die Stadt sauberer werde und nicht, wie man das finanziere, sagte er und betonte noch: „Ich bin der Umweltsenator, der für Sauberkeit zuständig ist, ich bin nicht der Finanzsenator, der eine Gebühr einführen will.“
Wie? Dann soll es also Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) gewesen sein, der die Idee hatte, für die der rot-grüne Senat monatelang Prügel bezogen hatte? Gegen die alle vier Oppositionsfraktionen, die Wohnungswirtschaft, der Steuerzahlerbund und am Ende sogar der Sozialverband SoVD Sturm gelaufen war?
In der SPD, man ahnt es, kam der Kerstan-Satz nicht gut an. „Die Gebühr war von Anfang an Bestandteil seines Konzepts“, meinte ein verärgerter Abgeordneter, der daran erinnerte, wie der Umweltsenator seinen Plan den Fraktionen vorgestellt hatte. Allerdings gibt es in der SPD auch Stimmen, wonach die Forderung nach mehr Sauberkeit ursprünglich aus den eigenen Reihen gekommen sei, quasi als Auftrag an Kerstan. Das wiederum hört man im Lager der Grünen nicht so gern.
In einem entscheidenden Detail stimmen die Erinnerungen aber überein: Kerstan hatte relativ früh klargestellt, dass die Sauberkeitsoffensive unmöglich aus dem kleinen Etat der Umweltbehörde bezahlt werden kann, und das wurde auch allgemein so akzeptiert. Zweitens war es das Ziel, das Mehr an Sauberkeit unabhängig von schwankenden Steuereinnahmen zu machen – und so kam man auf die Gebühr. Schließlich gibt es die in vielen anderen Städten und Kommunen bereits. Wer sie nun konkret als Erster ins Spiel gebracht hat – ein Grüner, ein Roter oder gar die Stadtreinigung selbst –, will keiner der Beteiligten mehr so genau wissen. In der Finanzbehörde heißt es aber: „Wir waren das nicht.“ Auch in der Umweltbehörde wird eingeräumt, dass Kerstans Satz über den Finanzsenator etwas missverständlich war. Als Hinweis auf die Urheberschaft für die Gebühr sei das nicht gemeint gewesen.
Lange wurde die Gebühr mit der Haushaltslage begründet
Die Argumentation, dass man trotz Rekordsteuereinnahmen und Haushaltsüberschüssen nicht mal eben 27 Millionen Euro übrig habe, liegt aber durchaus auf der Linie des Finanzsenators. Denn der lässt keine Gelegenheit aus, vor überbordendem finanzpolitischen Optimismus zu warnen. Für ihn ist dabei nicht die alte, kamerale Darstellung bedeutend, die schlicht Einnahmen und Auszahlungen gegenüberstellt – da hat Hamburg in der Tat seit 2014 stets mehrere Hundert Millionen Euro Überschuss erwirtschaft. Tschentscher schaut vielmehr auf die kaufmännische Darstellung, die auch Abschreibungen auf die städtische Infrastruktur und Rückstellungen für noch zu zahlenden Pensionen berücksichtigt – und da klafft immer noch ein Loch von rund einer Milliarde Euro im Etat. Erst 2024 soll es geschlossen sein.
Es war diese Sichtweise, die von Rot-Grün lange als Argument für die Gebühr bemüht wurde. Doch gegen die Darstellung von der im Geld badenden Stadt, die die Bürger dennoch weiter schröpfen will, stand sie auf verlorenem Posten – zumal selbst innerhalb der Koalition die Ausgestaltung der Gebühr umstritten war. Hinzu kam die zusätzliche Belastung für Mieter, die vor allem der Wohnungsbau-Partei SPD nicht in den Kram passte.
Die vielen Ungereimtheiten und der zunehmende öffentliche Druck sorgten schließlich für einen Rückzug auf Raten. Erst kam aus der SPD der Vorschlag, doch die Kultur- und Tourismustaxe zu erhöhen, statt eine Gebühr einzuführen. Tags darauf war für Kerstan plötzlich „erkennbar“, dass im Haushalt doch Luft sei. Was zunächst für Verwirrung sorgte, weil es in krassem Gegensatz zur bisherigen Argumentation stand, wurde vergangene Woche aufgelöst: Der Senat will das Finanzrahmengesetz anpassen. Vereinfacht gesagt, gibt es vor, wie viel Geld die Stadt maximal ausgeben darf, und das sollen künftig rund 200 Millionen Euro mehr sein – pro Jahr. Nur fünf Minuten, nachdem der Finanzsenator das mitgeteilt hatte, meldete sich verabredungsgemäß der Umweltsenator und frohlockte, dass die Sauberkeitsgebühr ja nun geringer ausfallen könne.
Am Montag beerdigten Scholz und Kerstan die Gebühr
Doch selbst das wurde schell von der Realität überholt. Schließlich ist da auch noch die Steuerschätzung. Kommenden Dienstag wird der Finanzsenator die Prognose für die Hamburger Steuereinnahmen präsentieren – und wie zu hören ist, geht es dabei um Mehreinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe. Die an politischen Selbstmord grenzende Aussicht, am Dienstag über ein riesiges Steuerplus zu berichten und am Mittwoch in der Bürgerschaft eine neue Gebühr zu beschließen, brachte dann endgültig die Wende. Vergangenen Montag um 13 Uhr trafen sich Kerstan und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Rathaus und beerdigten die Sauberkeitsgebühr endgültig. Dass die Kritiker nun triumphieren würden (CDU: „Rot-grüner Müllkäfer hat ausgestrampelt“), nahmen sie in Kauf. Das politische Motiv war offensichtlich: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.