Hamburg. Das Fachhaus Damms führt mehr als 100.000 Artikel, in Bramfeld ist es seit 140 Jahren eine Institution. Doch jetzt ist Schluss.
In diesem Geschäft gibt es alles. Na ja, fast alles, was man in Haus und Hof brauchen kann: Töpfe, Brotkästen, Isolierkannen, Fußmatten, Schraubenzieher, Kerzen, Kartoffelschäler, Vogelhäuschen, Schubkarren. Der Mann, der an diesem Novembermorgen das Fachhaus Damms betritt, möchte zwei Schrauben kaufen. Natürlich ganz bestimmte. Da steigt Inhaber Hans-Jochim Damms doch lieber selbst mit dem Kunden in die Abteilung im zweiten Untergeschoss hinunter, um zu beraten. Und tatsächlich finden sich in einer der abgegriffenen Holzladen die richtigen Schrauben. Das Stück für 15 Cent. Damms lächelt zufrieden, Service ist ihm wichtig.
Seit 140 Jahren gibt es das Haushalts- und Eisenwarengeschäft an der Bramfelder Chaussee. Es ist wahrscheinlich das älteste Hamburgs. Und im Stadtteil gibt es kaum jemanden, der nicht schon mal irgendwas auf den fünf Etagen erstanden hat. Ein Kaufhaus mit mehr als 100.000 unterschiedlichen Artikeln, die man anfassen kann und direkt ausprobieren. Das ist wunderbar, aber in Zeiten von Shoppingcentern und wachsendem Online-Handel auch ein Relikt mit sinkender Überlebenschance. Hans-Jochim und Birgit Damms haben jetzt beschlossen, einen Schlussstrich zu ziehen. Sie machen ihr Traditionshaus dicht. Die Stammkunden haben sie schon informiert. Montag und Dienstag ist Laden zu, Mittwoch beginnt der Räumungsverkauf.
„Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen“, sagt Hans-Jochim Damms. Es sei nicht so, dass das Geschäft nicht laufe. „Wir schreiben schwarze Zahlen, auch wenn die Umsätze gesunken sind.“ Aber genau wie seine Ehefrau ist er 64 Jahre alt. Sie hören auf, weil sie in den Ruhestand gehen wollen – und endlich Zeit haben möchten für das Leben und die Familie.
Seit 2015 gaben in Hamburg 88 Traditionsgeschäfte auf
Als es um die Nachfolge in die fünfte Generation ging, winkten beide Kinder frühzeitig ab. „Es ist einfach zu viel Arbeit für das, was abfällt“, sagt Tochter Maike (37), die als Mutter von zwei Kindern in einem Laden im Alstertal Einkaufszentrum jobbt. Sohn Felix (34), gelernter Groß- und Einzelhandelskaufmann, ist in einem pharmazeutischen Betrieb tätig und hat auch zwei Kinder. Die Eltern zeigen Verständnis. „Wer will schon so ein Risiko eingehen?“, sagt Birgit Damms, die ihr Gegenüber mit ziemlich energischem Blick durch die Brillengläser fixieren kann.
Das Sterben der kleinen inhabergeführten Fachgeschäfte ist seit Jahren zu beobachten. Im Jahr 2000 betrug der Anteil des nicht filialisierten Fachhandels in Deutschland nach einer Erhebung des Kölner Marktforschungsunternehmens IFH Retail Consultants noch 31,9 Prozent, 2016 waren es nur noch 17,6 Prozent. Genaue Statistiken für Hamburg gibt es nicht. „Aber kleine Fachgeschäfte geraten weiter unter Druck“, sagt die Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord, Brigitte Nolte. Der Online-Verkauf spiele dabei eine große Rolle, aber auch die niedrigeren Preise, die größere Fachmärkte oft bieten können. „Die Städte verlieren an Individualität“, sagt Nolte und spricht angesichts der immer gleichen Filialketten von „einer Banalisierung des Einzelhandelsangebots“. Sie kritisiert, dass die Politik sich zu wenig mit dem Thema beschäftigt.
Derweil geht in den wichtigen Shopping-Straßen Hamburgs die Verdrängung voran. Auch gut eingeführte Einzelhändler sind betroffen, zuletzt etwa das Schuhhaus Elsner in der Mönckebergstraße. Der letzte klassische Jeansladen in der City, Jeans Projekt am Ida-Ehre-Platz, macht derzeit Räumungsverkauf. Andere alteingesessene Händler, wie etwa das Wäschehaus Möhring, Fahnen Fleck oder auch der Möbelhändler Bornhold, haben die teuren Toplagen in Hamburgs Innenstadt verlassen. Der Handelsverband Deutschland geht davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren bundesweit 50.000 kleine Einzelhändler schließen. „Das wären gut zehn Prozent des Netzes“, sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Nach einer Umfrage sehen trotz guter Wirtschaftslage vor allem kleine Händler pessimistisch in die Zukunft. Ein Drittel beurteilt demnach die Wirtschaftslage schlecht, ein weiteres Drittel rechnet mit Umsatzrückgängen. Betroffen ist in Hamburg nicht nur die Innenstadt, auch in den Geschäftsvierteln der Bezirke schließen Läden. Beispiele sind das Jeansgeschäft Hundertmark auf der Reeperbahn, Sport Schuster in Eppendorf oder der Modellbauladen Rettkowsky auf St. Pauli.
In Bramfeld verschwindet eine Institution
Nach einer Auswertung der Handelskammer, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt, gaben seit 2015 in Hamburg 88 Traditionsgeschäfte unterschiedlicher Branchen auf, die vor 1960 gegründet worden waren. „Gründe dafür sind fehlende Nachfolger, unzureichende Einstellung auf das geänderte Einkaufsverhalten oder fehlende Investitionsmittel, wenn es darum geht, die digitale Zukunft zu meistern“, sagt Michael Kuhlmann, Referent für den Bereich Handel bei der Handelskammer.
In Bramfeld verschwindet mit dem Fachhaus Damms eine Institution. Hans-Jochim und Birgit Damms hatten den Familienbetrieb vor 37 Jahren übernommen. Sie wohnen auch in dem Gebäude, das 1960 an die Stelle des alten Geschäftshauses nach der Verbreiterung der Bramfelder Chaussee gebaut wurde. Seitdem hat sich viel verändert, auch die Einkaufsgewohnheiten. „Es ist schwierig, heute als inhabergeführtes Fachgeschäft zu bestehen“, sagt Birgit Damms. Von 8 Uhr morgens bis 18.30 Uhr im Laden, danach noch Buchhaltung und Bestellungen, Verbandsarbeit. Den Versuch, einen Onlineshop aufzubauen, gaben die Damms schnell wieder auf. Als 2011 das Einkaufszentrum Marktplatzgalerie Bramfeld eröffnete, verlagerte sich zudem der Shopping-Schwerpunkt im Viertel. Ein bisschen mehr Unterstützung von der Stadt hätten sie gern gehabt, sagt der Ladenchef. Die Wünsche sind bescheiden, eigene verkaufsoffene Sonntage für die Bezirke etwa. Trotzdem schafften sie es mit zuletzt drei Mitarbeitern, sich zu behaupten. „Wir haben nur Sachen angeboten, die wir selbst gut finden und die zu Bramfeld passen“, sagen sie. Ramsch oder Billigwaren? Nicht bei Damms.
Damit ist es in wenigen Wochen vorbei. Am Montag und Dienstag ist der Laden geschlossen. Dann werden Regale umgeräumt und Rabattschilder aufgehängt. Es kommt die hohe Zeit der Schnäppchenjäger. „Viele Kunden, die es schon wissen, sind traurig“, sagt Hans-Jochim Damms. Das tröstet ein bisschen. Wie es sich am 3. Februar anfühlt, wenn alle Waren aus dem Laden getragen sind und die Tür hinter dem letzten Kunden geschlossen wird – so richtig können sich beide das nicht vorstellen. Schnell mal für zwei Schrauben zu Damms, das gibt’s dann nicht mehr.