Hamburg. In Hamburg gehen gleich zwei neue Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt an den Start – mit bis zu 200 Mitarbeitern.
Wohl jeder hat eine recht genaue Vorstellung davon, wie ein Passagierjet aussieht: eine Röhre mit mehr oder weniger rundem Querschnitt, auf beiden Seiten eine langgestreckte Tragfläche. Doch bei dieser gewohnten Form muss es in den nächsten Jahrzehnten nicht bleiben. So spricht manches für eine Art Doppeldeckerflügel mit einer senkrechten Fläche an den Enden – wie der Boden, der Deckel und die Seiten einer Schachtel.
Das sogenannten „Box Wing“-Konzept gehört zu den Ideen für die Zukunft des Fliegens, mit denen sich die Forscher eines neuen Hamburger Instituts des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) befassen. Tatsächlich sind am Freitag sogar gleich zwei DLR-Institute in der Hansestadt eröffnet worden. Beide haben ihren Sitz auf Finkenwerder, im Gebäude des Zentrums für angewandte Luftfahrtforschung (ZAL).
Zwischen 160 und 200 Vollzeitstellen
Derzeit wird das Personal aufgebaut. Zusammengenommen sollen in den nächsten Jahren zwischen 160 und 200 Vollzeitstellen an den beiden Instituten angesiedelt sein. Da es sich bei den Forschern häufig um Doktoranden handelt, ist die Kopfzahl deutlich höher. Die neuen Institute werden mit jährlich zehn Millionen Euro durch den Bund und die Stadt Hamburg finanziert, wobei der Bund 90 Prozent davon trägt. In der Aufbauphase stellt Hamburg darüber hinaus zwei Millionen Euro für Investitionen bereit.
Aus Sicht von Dirk Wiese (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, ist das Fördergeld gut angelegt. Es handele sich um eine „Investition in die Technologieführerschaft“. Im Kern gehe es darum, beim Entwurf und dem Betrieb von Flugzeugen noch viel stärker als bisher die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. „Denn das spart Zeit und Geld“, so Wiese, „und es gibt den Ingenieuren die Freiheit, auch unkonventionelle Ansätze einfach auszuprobieren“ – so wie zum Beispiel das „Box Wing“-Konzept.
„Werden versuchen, alles noch einmal neu zu denken“
Aufgabe der Hamburger DLR-Wissenschaftler wird es unter anderem sein, einen „digitalen Zwilling“ des Flugzeugs zu schaffen, der den gesamten Lebenszyklus der Maschine umfasst. Vom Beginn der Entwicklung eines neuen Flugzeugtyps bis zur Verschrottung des letzten Exemplars kann dieser Zeitraum durchaus 60 bis 70 Jahre lang sein.
Dabei wird sich das von Gründungsdirektor Björn Nagel geleitete „Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt“ mit der Optimierung des Entwurfsprozesses und der Planung einer möglichst effizienten Produktion der Flieger beschäftigen. „Wir werden versuchen, alles noch einmal neu zu denken“, sagt Nagel. Bisher sei es üblich, bei der Entwicklung eines neues Flugzeugs mit der Aerodynamik – und damit bei der äußeren Hülle – anzufangen. „Dank der Digitalisierung können wir durchspielen, wie es wäre, einen Jet von innen nach außen zu planen.“
Erkenntnisse für Entwicklung eines neuen Jets
Doch auch sein späterer Alltagsbetrieb ist Gegenstand der Forschungen. Eine harte Landung der Maschine, ungewöhnlich schwere Turbulenzen, Beschädigungen durch ein Vorfeld-Fahrzeug – alles das soll digital registriert werden. Die intelligente Auswertung solcher Daten kann helfen, die Wartung und den Ersatzteilbedarf besser zu planen. Damit wird sich das „Institut für Instandsetzung und Modifikation“ unter dem Gründungsdirektor Hans Peter Monner auseinandersetzen.
Mit einem digitalen Modell, das vom Entwurf bis zur Außerdienststellung reicht, werden die Hamburger Forscher nach Einschätzung von Rolf Henke, im Vorstand des DLR zuständig für den Bereich Luftfahrt, „mindestens europaweit eine Alleinstellung haben.“ Auch für Airbus-Deutschlandchef Klaus Richter ist die Gründung der beiden Institute „mit großen Hoffnungen verbunden“. Erkenntnisse der Experten könnten in die Entwicklung eines neuen Kurz- und Mittelstreckenjets von Airbus einfließen. „Ich denke, in zehn Jahren werde wir da etwas zu vermelden haben“, so Richter.
Die Zahl der Flugzeuge dürfte sich bis 2030 verdoppeln
Im ZAL arbeiten auch Ingenieure von Airbus und von Lufthansa Technik an Zukunftsthemen, ebenso wie Mitarbeiter von Luftfahrtzulieferern und Wissenschaftler von Hamburger Universitäten. „Erstmals forschen wir hier gemeinsam mit der Industrie unter einem Dach“, sagt die DLR-Vorstandsvorsitzende Pascale Ehrenfreund. Mit fast 8200 Mitarbeitern in 40 Instituten an 20 Standorten in Deutschland gilt das DLR als die größte ingenieurwissenschaftliche Forschungseinrichtung der Luft- und Raumfahrt in Europa.
Zwar ist das DLR schon bisher mit zwei Abteilungen in Hamburg vertreten, aber nicht mit einem Institut. Die Hansestadt biete mit ihrer wissenschaftlichen Kompetenz im Bereich Luftfahrt ein „einzigartiges Umfeld“, so Pascale Ehrenfreund. Die Forscher im ZAL werden zum Beispiel mit dem Laserzentrum Nord auf dem Gebiet des 3-D-Drucks von Flugzeugersatzteilen zusammenarbeiten.
Für Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sind die beiden DLR-Institute ein Schritt auf dem Weg, Hamburg zu einer „Metropole der Wissenschaft“ zu machen. Gerade die Luftfahrtbranche ist auf gute Ideen angewiesen, denn sie steht vor großen Herausforderungen, wie Scholz sagt: „Die Zahl der Flugzeuge wird sich bis zum Jahr 2030 voraussichtlich verdoppeln, aber gleichzeitig sollen die Emissionen deutlich sinken.“