Hamburg. Einer dieser vielen Geschäftsreisenden ist Klaus Kirchhoff. 200-mal im Jahr ist er unterwegs. Was sein Arzt dazu sagt.

Montagmorgen? Nieselregen? Air Berlin pleite? Hier oben, eine Etage über der Economy Class, sind das nur Randnotizen. Air Berlin fliegt hier eh keiner. Und den Sprühregen kennt man nur von der anderen Seite des Fensters. In den schweren, dunklen Ledersesseln der Lufthansa Senator Lounge lässt sich sogar die frühe Abflugzeit ertragen.

Im edlen Gestühl sitzt die Hamburger Business Class mit Upgrade: mehrheitlich männlich, meist geschäftsreisend, reduziert kommunikationsbereit. Viele beugen sich über Handy oder Tablet, einige schützen sich mit den Wirtschaftsteilen überregionaler Zeitungen. Nebenbei werden Kleinigkeiten vom kostenlosen Frühstücksbüfett gekaut.

Rudelbildend lümmeln sie im Mobiliar

Der Montagmorgen am Hamburger Flughafen, er ist straff frisiert, glatt gebügelt und fusselfrei anzugtragend. Gerade zum Wochenbeginn gehört der Airport den Vielfliegern und Geschäftsreisenden, über das Jahr beträgt ihr Anteil 35 Prozent. Für jeden Dritten ist das Flugzeug Transportmittel statt Urlaubsbomber. Attitüde: bitte nicht stören, ich habe hier dienstlich zu tun! Der Airport ist Zweitbüro und Zwischenort.

Klaus Kirchhoff – 61 Jahre alt, Hamburger Unternehmer und langjähriger Vielflieger – ist da keine Ausnahme. „Zweites Zuhause“ nennt er den Flug­hafen. Der Geschäftsmann ist ein Vielflieger wie aus dem Bonusmeilenbilderbuch. Dauernd unterwegs, viel online, nur etwas lässiger angezogen als die anderen Statussenatoren der Lufthansa.

Unternehmensberater Klaus Kirchhoff am Montag (23.10.2017) in der Senator Lounge auf dem Hamburger Flughafen Foto:Roland Magunia
Unternehmensberater Klaus Kirchhoff am Montag (23.10.2017) in der Senator Lounge auf dem Hamburger Flughafen Foto:Roland Magunia © Roland Magunia | Roland Magunia

Senatoren, das sind jene Kunden, die jährlich mindestens 100.000 Meilen fliegen und dafür diverse Vorzüge wie den gediegenen Service der Kranich-Lounge in Anspruch nehmen können. In diesen exklusiven Wartebereichen (Emirates und der Airport selbst haben auch Lounges) sitzen sie beieinander, die Geschäftspendler, lümmeln mal mehr, mal weniger rudelbildend im Mobiliar.

Deutschlandweit beträgt der Anteil der Dienstreisenden im Flugverkehr 40 Prozent. In Hamburg fliegen sie vorzugsweise nach Frankfurt, München, Düsseldorf oder andere europäische Handelszentren. Sie heben nicht mit der Aussicht auf Ferien, sondern mit dem Fokus auf Arbeit ab. Manchmal steht es sogar in ihre Gesichter geschrieben. Montags, zwischen 6 und 9 Uhr, ist die Dichte der Abteilungs­leiterhemden besonders hoch.

Flugzeug als notwendiges Mittel zum Zweck

Es ist noch dunkel, als Klaus Kirchhoff seine schwarze S-Klasse parkt. VIP-Stellplatz, Terminal 2. Wenn seine Arbeitswoche schon am Flughafen beginnt, dann mit allen Annehmlichkeiten. Es sind nur wenige Schritte, bevor er im Tross der Geschäftsreisenden landet. Im Schwarm der weißen Hemden tanzt er mit seinem Dreitagebart, dem schwarzen Hemd und den schwarzen Sneakern nur optisch aus der Reihe.

Ihn und andere Geschäftsflieger eint die Reduktion aufs Wesentliche. Bloß kein Ballast! Sein kleiner Lederrucksack – befüllt mit Tablet, Reiseapotheke, Buch, Unterlagen und gängigen Anschluss- und Aufladekabeln – geht als Handgepäck durch. Damit spart er sich schon mal das analoge Einchecken. Seine Mission zum Wochenstart: Aufsichtsratssitzung in München.

Laut Statistischem Bundesamt wurden im Vorjahr in Deutschland 183,4 Millionen Geschäftsreisen unternommen. Tendenz steigend. Insgesamt wurden 51,6 Milliarden Euro dafür ausgegeben, unter den Industrienationen bedeutet das Platz drei nach China und den USA. Knapp die Hälfte aller geschäftlichen Flüge blieb im Inland.

Klaus Kirchhoff, Vorstandsvorsitzender der 1994 gegründeten Kirchhoff Consult AG, ist seit Jahrzehnten einer dieser hybermobilen Menschen, Mitglied der aeromobilen Upperclass, qua Funktion Kosmopolit. Er berät Firmen beim Börsengang, stellt europaweit Beziehungen zu Investoren her und schreibt mit großem Erfolg Geschäftsberichte. Außerdem ist er rumänischer Honorarkonsul, sitzt in diversen Gremien. Für ihn ist das Flugzeug notwendiges Mittel zum Zweck. Aber nicht nur.

„Ich fliege nach wie vor gern“, sagt Kirchhoff. Auch wenn die körperliche Belastung hoch sei. „Hat mein Arzt zumindest gesagt.“ Er merke das gar nicht akut. Ihm gehe es gut.

Die Vielflieger am Flughafen beherrschen die Choreografie des Airports im Schlaf. Zielsicher manövrieren sie sich durch die Sicherheitsbarrieren, erregen kaum Aufsehen, stehen selten lange an. Sie wissen, was am Airport zu tun ist. Und was nicht. Haben das passende Dokument stets griffbereit. Im Gegensatz zu Urlaubern ist ihr Aufenthalt nicht erlebnisorientiert, sondern zweck- und zeitoptimiert. Durchschnittlich 15 Minuten kürzer halten sich Geschäftsreisende vor Abflug am Hamburger Flughafen auf als Urlauber.

Bevor Unternehmer Klaus Kirchhoff im abgeschirmten Bereich der Senator Lounge zum Croissant mit Tee greift, muss auch er durch den öffentlichen Bereich. „Ich weiß, wo ich hinmuss“, sagt er. Dann umkurvt er die aufregenden Zonen der Urlaubsgesellschaft, geht direkt zur „Fast Lane“, der bevorzugten Behandlung im Sicherheitsbereich. Heute ist die Lane aber nicht so fast. Deshalb die normale Kontrolle. Sieben Minuten später könnte er abfliegen. Flug LH 2059 nach München startet in knapp zwei Stunden von Gate A17. Zeit für den Profi, sich zurückzuziehen.

Verrücktestes Pensum: sechs Flüge in 48 Stunden

120 bis 200 Flüge absolviert Kirchhoff pro Jahr. Sein verrücktestes Pensum: sechs Flüge, zwei Kontinente und ein Subkontinent in 48 Stunden. Gern sitzt er ganz vorn. Fenster oder Gang? Da sei er nicht festgelegt. Hauptsache, der Platz neben ihm bleibe frei. Der größte Stress beim Vielfliegen sei für ihn „die Fahrt zum Flughafen.“ Der Rest: Alltag.

Für andere Vielflieger ist das termingetriebene Hin und Her in Lärm und schlechter Luft körperliche und seelische Belastung. Wissenschaftler betonen bei multilokaler Lebensführung eine „Gefahr für Gesundheit und Sozialleben“. Gleichzeitig ist das Fliegen Bereicherung, etwa weil Wohnortwechsel vermieden werden können.

Klaus Kirchhoff achtet beim Pendeln mehr auf sich als früher. Weil Vielflieger auch Vielsitzer sind, macht Kirchhoff, vierfacher Vater, noch vor den Flügen Qigong. „Außerdem meide ich Aufzüge, versuche so viel wie möglich zu gehen.“ Filme („Der Pate“) und Bücher (Peter Scholl-Latour) komplettieren seine Vielfliegerstrategie. Früher sei er oft auf den letzten Drücker am Flughafen erschienen, jetzt nehme er sich Zeit, in der Lounge durchzuatmen.

Immer der Erste

Fliegen, so wirkt es in der Senator Lounge, ist für Geschäftsreisende lästiges Übel und Statussymbol zugleich. Man begreift sich als mobile Arbeits­elite, eine Art Business-Class-Community, in der aber kaum persönliche Kontakte geknüpft werden. Auch weil im Flugzeug meist gearbeitet oder geschlafen, aber selten intensiver geredet wird. Klaus Kirchhoff etwa sei ein Meister des Zwei-Minuten-Schlafs.

In seiner Karriere ist Kirchhoff so oft geflogen, dass er „Senator auf Lebenszeit“ ist. Er muss nicht mehr 100.000 Statusmeilen sammeln. Er kann immer First Class einchecken, Gepäck (das er selten hat) bevorzugt behandeln lassen und auf Wunsch einen freien Nebenplatz bekommen. „In der Senator Lounge“, sagt Kirchhoff, „setze ich mich gern in die äußerste Ecke.“ Da sei es ruhiger, er könne beobachten.

Für geschäftliche Inlandsflüge wurde laut Verband Deutsches Reisemanagement zuletzt am meisten Air Berlin gebucht (die Zeiten sind vorbei), bei Auslandsflügen dominiert die Lufthansa. In Hamburg reisen vor allem internationale Gäste beruflich – 57 Prozent. Für sie hat sich der Airport mit Lounges, VIP-Service und speziellen Park-Services gewappnet. Durchschnittlich dauert ein Business-Trip drei Tage. Gepäck ist da meist entbehrlich.

„Ich bin Weltmeister im Kofferpacken“, sagt Kirchhoff. Das gehe erstens schnell und zweitens knitterfrei. Tipp fürs Handgepäck: „Es kommt aufs Material an.“ Hemden zweimal hintereinander tragen musste er trotz Rucksacks noch nie. Mit seinem Handgepäck steht er dann auch als Erster beim Boarding. Angewohnheit, sagt er. „Bedeutet für mich am wenigsten Stress.“