Hamburg. Tragikomische Annäherung an einen Frauenmörder: Heinz Strunks gelungener Roman „Der goldene Handschuh“ .

Es stinkt erbärmlich in der Wohnung des Fritz Honka. Das fällt jedem auf, den er hier mit hin nimmt. Honka, der schmächtige, schielende Säufer mit dem Sprachfehler, lädt grundsätzlich Frauen ein, die wie er zur Nachtseite der Gesellschaft gehören. Schattengewächse, im Welken begriffen. Alkoholikerinnen, Huren, nicht mehr jung, noch nicht ganz alt.

Vier von ihnen hat der historische Honka (1935–1998) ermordet. 1975 wurden die Taten entdeckt, seitdem ist Honka der Hamburger Grusel-Schocker schlechthin, eine Art urbane Legende. Und das nicht nur auf dem Kiez, wo Honka sich seine Opfer suchte. Wenn jetzt Heinz Strunks fünfter Roman „Der goldene Handschuh“ erscheint, ist das der kurios-wagemutige Versuch, die Geschichte des Frauenmörders nachzuerzählen. Literarische Empathie in hohen Dosen also, wo als Recherchematerial lediglich Gerichts- und Polizeiakten sowie Presseberichte vorlagen.

Bisher hat Strunk, der bürgerlich Mathias Halfpape heißt und 1962 in Harburg geboren wurde, immer auch autobiografisch geschrieben. Diesmal muss er ohne diese Bezüge auskommen. Es hat, das sei allen Fans des begnadeten Tragikomikers Strunk gesagt, keinerlei Auswirkung auf den Humor-Befehl, den sich Strunk am Anfang seiner Karriere gegeben hat.

Mit dem Resultat, dass die von Strunk explizit beschriebenen Tötungsakte – sie finden sich erst am Schluss des Romans – ihren Schrecken verlieren und die düstere Komik über das Grauen triumphiert. „Am nächsten Morgen will er den Körper in die Abseite packen, doch die ist voll“, heißt es, und nichts daran mag einem die Haare kräuseln. „Nichts bleibt, alles geht dahin, unwiderruflich, es schmilzt in der Sonne und verglüht im hellen, heißen Licht. Nur funkelnde Angst bleibt in der Luft“, schreibt Strunk weiter.

Er ist mit „Der goldene Handschuh“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, der am 17. März vergeben wird. Was wirklich bemerkenswert ist, denn es zeigt, dass die Leipziger Jury vor Literatur nicht zurückschreckt, zu der manch einem das Attribut „unappetitlich“ einfallen könnte.

Strunk („Fleisch ist mein Gemüse“, „Fleckenteufel“) ist ein hartnäckiger Beschreiber trüber Verliererwelten, ein Ekstatiker des Hässlichen und der Selbstdemütigung. Seine Ästhetik des Unrats, der sich im Verlaufe eines ordentlich durchgewalkten Männerlebens anhäuft und der nur in der Einsamkeit des Selbsthasses enden kann, ist ein geschlossenes System.

Der Selbsthass der Strunk-Figuren ist nichts anderes als ein dunkler Selbstgenuss. Literarisch hat er damit derzeit ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Literarische Potenz hat Strunk längst bewiesen; sein Roman „Junge rettet Freund aus Teich“ ist eines der besten Kindheitsbücher der letzten Jahre. Strunk ist ein Meister darin, das Traurige mit dem Komödiantischen zu verbinden.

Man merkt schnell, was ihn am Honka-Stoff – er nennt sein neues Buch einen „Tatsachenroman“ – gereizt haben muss. Das Milieu der Trinker und Deklassierten („Soldaten-Norbert“, „Fanta-Rolf“, „Ritzen-Schorsch“) ist genau der Ort, an dem Strunk seine Idee des Erbärmlichen und sein forciertes Humorprogramm ins Werk setzen kann. Der Hamburger Berg ist der Laufsteg der Entstellten, der Tresen der 24-Stunden-Kneipe Zum goldenen Handschuh das Paradebeispiel der Promille-gedopten Quasselbude.

Die Schnacks und so sprachgewandt-zotig wie borniert-selbstbewusst vorgetragenen Sprüche („Bitte wässern Sie Ihren Aal nicht in der Dame“) sind ein Teil des Komischen. Der andere ist leiser, subtiler: Er besteht aus den Beschreibungen von Honka selbst, den sie in der Kaschemme „Fiete“ nennen und dessen monströse psychischen Deformierungen geradezu diskret mitgeteilt werden – seine Misogynie, seine grundsätzliche Unzulänglichkeit hat gerade in der Trockenheit ihrer Schilderung etwas zutiefst Komisches. Trotzdem ist Strunks Annäherung an den Frauenzersäger Honka sensibel: Dessen stille und von Honka selbst nicht in Worten fassbare Verzweiflung schildert Strunk meisterhaft.

Heinz Strunk:
„Der goldene Handschuh“.
Rowohlt.
256 S., 19,95 Euro
Heinz Strunk: „Der goldene Handschuh“. Rowohlt. 256 S., 19,95 Euro © dpa

Er porträtiert ihn mit durchaus mehr Sympathie als die Figuren der Gegenwelt, die er in seinen Plot installiert. Die Reeder-High-Society an der Elbchaussee gehört nur oberflächlich gesehen einer höheren Kaste an als das Kiez-Personal. In der fiktiven Dynastie der von Dohrens – ausgehend von Wilhelm Heinrich Dohren („WH 1“), dessen Söhne und Söhnessöhne genau denselben Namen tragen – ist das materielle Elend kein Faktor, trotzdem gilt: „WH 1 ist randvoll mit Hass, und zwar bis obenhin, mehr geht nicht.“

Wenn man Strunk eines vorwerfen kann, dann sein Desinteresse an den Verhaltens- und Sprechweisen der Oberschicht. Im Grunde dienen ihm die Geldadeligen lediglich zur Charakterisierung der grundsätzlichen Verderbtheit des Mannes. Überall kaputte Typen, überall Dauerdepression, überall Jämmerlichkeit. Er ist Opfer seiner ständigen Geilheit.

Die nun durch die Leipzig-Nominierung von der Hochkultur nobilitierte Strunk-Prosa kommt in „Der goldene Handschuh“ als Best-of daher. Der pubertierende WH 3 ist ein sich als potthässlich wahrnehmender obsessiver Onanist, sein Scheitern beim weiblichen Geschlecht wird aufs Schönste zelebriert – besonders im Hinblick auf die Frauen ist Strunk der größte Nihilist, den die deutsche Literatur kennt.

Dass er jetzt das ewige Niedergedrücktsein des Mannes, der unter der existenziellen Glocke aus Desillusionierung, Demütigung und Triebabfuhr feststeckt, diesmal vor allem aus Sicht eines psychopathischen Mörders beschreibt, ist die bisherige Hauptpointe seines Werks.