Hamburg. Parlamentarier suchen nach Antworten im Fall des Kindsmordes an der zweijährigen Ayesha aus Neugraben.
Mit einer Schweigeminute in der Sitzung des Familienausschusses begann am Freitagabend die politische Aufarbeitung des Mordes an der zweijährigen Ayesha, die vor zwei Wochen vermutlich von ihrem eigenen Vater in der Wohnung in Neugraben umgebracht worden ist. Sohail A. war sechs Tage auf der Flucht, bevor er in Spanien festgenommen werden konnte (Abendblatt berichtete).
Die Parlamentarier zeigten sich zutiefst betroffen von der unfassbaren Tat. Sie wollen durch die Befragung der zuständigen Stellen, also Bezirk und Jugendamt Harburg sowie Innen- und Sozialbehörde, der Frage nachgehen, ob die Stadt in diesem Fall alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hat, um das Leben des kleinen Mädchens zu schützen.
Spannungen in der Familie
Und sie erhoffen sich jetzt vor allem Aufklärung durch den Bericht der Jugendhilfeinspektion, die den Fall mit dem Bezirk Harburg in den kommenden Wochen untersuchen und dann dem Ausschuss vorlegen wird.
Bereits jetzt steht fest, dass dieser Fall aufgrund seiner Komplexität nur schwer zu vergleichen ist mit den Fällen anderer Kinder, die in Hamburg in den vergangenen Jahren gestorben sind, obwohl die betreffenden Familien unter Aufsicht des Jugendamts gestanden haben.
Auch Sohail A., der 2011 nach Deutschland eingereist ist und damals angab, seinen Pass verloren zu haben, stand bereits seit Längerem unter Beobachtung staatlicher Stellen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er bekam eine Duldung. In Hamburg lernte er Lubna kennen, die dort mit ihrem Sohn aus einer früheren Beziehung lebte. Sohail ist Sunnit, die größte Glaubensrichtung im Islam. Lubna gehört zur islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft, deren Mitglieder in Pakistan verfolgt werden. Sohail konvertierte, sie heirateten und zogen nach der Geburt der Tochter 2015 nach Neugraben. Es kam zu Spannungen zwischen den Familien von Sohail und Lubna – und zwischen den beiden.
Anzeichen dafür gibt es viele: eine Meldung bei der Polizei, dass der Sohn geschlagen wurde. War es nur eine Ohrfeige oder mehr? Das muss geklärt werden. Eine aufmerksame Kinderärztin, der sich die Mutter anvertraut hatte und die sich deshalb ans Jugendamt wandte. Ein Jugendamt, das nun dem Verdacht der Kindeswohlgefährdung bei beiden Kindern nachging. Eine Betreuung der Familie durch den freien Träger Family Support, die mit zuletzt zehn Stunden pro Woche sehr eng gewesen ist. Und wo man sich bald entschlossen hat, einen männlichen Betreuer in die Familie zu schicken.
Frau ließ ihren Mann in die Wohnung
Es gab weitere Maßnahmen von Amts wegen. Sohail sollte ein Antiaggressionstraining machen, was wohl daran scheiterte, dass der 33-Jährige kaum Deutsch sprach. Kann das ein Grund sein? Mehrmals wurde Lubna angeboten, ins Frauenhaus zu gehen, was sie nicht tat. Warum nicht? Hatte sie Angst, dass Sohail bei einer Trennung mit Ayesha verschwinden würde?
Die häusliche Bedrohung blieb, sodass die Polizei ein Kontaktverbot gegen Sohail aussprach. Die Regeln sind eindeutig: Wenn die Polizei annehmen muss, dass Gesundheit oder gar das Leben des Opfers gefährdet sind, kann sie den Gewalttäter sofort aus der Wohnung sowie von der unmittelbaren Umgebung verweisen und ihm verbieten, diese zu betreten. Ihm werden auch sofort die Schlüssel abgenommen, er darf lediglich dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitnehmen. Das Betretungsverbot gilt vorerst zwei Wochen. Nach zwei Tagen soll Lubna ihren Mann wieder in die Wohnung gelassen haben.
Der Aspekt der Gewaltproblematik des Vaters dürfte im konkreten Fall nicht zuallererst auf den kulturellen Hintergrund verengt werden, sagt Sabine Boeddinghaus von den Linken: „Gewalt gegen Frauen ist leider auch in deutschen Familien an der Tagesordnung. Bei dieser Gesamtschau auf die gegebenen Familienverhältnisse fordern wir eine unabhängige Untersuchung auch mithilfe externen Sachverstands, wie zum Beispiel durch ,Nationale Zentrum Frühe Hilfen‘ und das Deutsche Jugendinstitut, die schon bei dem toten Mädchen Morsal Empfehlungen in einem ähnlich gelagerten Fall abgegeben haben.“
Hamburger Zielfahnder bringen ihn nach Deutschland
Der Tatverdächtige Sohail A. soll inzwischen aus der Untersuchungshaft in San Sebastián nach Madrid übergeführt worden sein. Zielfahnder aus Hamburg sollen ihn nach Deutschland bringen. Es gebe keine rechtlichen Hindernisse für eine Auslieferung, so die Staatsanwaltschaft. Die organisatorische Abwicklung könne jedoch mehrere Wochen dauern.