Hamburg. Sitze, Waschräume, Bordküchen– alles soll perfekt passen. Tausende Varianten gibt es. Das Abendblatt zu Besuch in Finkenwerder.

Auf die Wohlfühlatmosphäre wird in diesem Einkaufstempel viel Wert gelegt: Weiße Lounge-Möbel laden zum Verweilen ein, hinter einer Glaswand plätschert Wasser, durch kleine runde Löcher in der Wand scheint farbiges Licht – abgestimmt auf die Farben der Airline, die gerade zu Gast ist. Vom Flughafen wurde der Kunde mit einem Privattransfer abgeholt. Wer sich nach einer langen Anreise erst einmal frisch machen möchte, kann sich in einen separaten Raum mit Dusche und Kaffeebar zurückziehen. „Wir versuchen, es dem Kunden so angenehm wie möglich zu machen“, sagt Alexander Juers, Manager im Kundendefinitionszentrum (CDC) auf Finkenwerder. Schließlich treffen die Besucher langfristige und teure Entscheidungen.

Ins CDC bringt Airbus seine Kunden, wenn es um die inneren Werte des neu erworbenen Großraumjets A350 geht, der laut Preisliste mit 308,1 Millionen Dollar (291 Millionen Euro) zu Buche steht: Sitze und ihre Abstände, Anzahl der Waschräume (bei denen das Einzelstück schon mal so teuer sein kann wie ein Luxusauto), Auswahl der Küche – kurz gesagt: das Kabinenlayout. „Wir demonstrieren alles auf Basis von echten Produkten, dank unserer Partnerschaft mit den Zulieferern“, sagt CDC-Chef Eric Ezell. Aus Tausenden von Produkten und Materialien können die Fluggesellschaften wählen. Der Prozess dauert mehrere Monate bis zu zwei Jahre. Endgültig festlegen wollen sich die Airlines so spät wie möglich. Mehrmals kommen die Vertreter – vom Topmanager bis zur Stewardess – und bleiben auch mal tagelang, um die für sie ideale Ausstattung festzulegen und einem Praxistest zu unterziehen.

Einrichtung wird in Mock-ups veranschaulicht

Zuerst gehen die Kunden meist in eine dunkle, futuristisch anmutende Welt. Inspirationsgebiet heißt der schwarz gehaltene Bereich. Ab und an gibt es Leuchteffekte. Links und rechts des Weges erstrecken sich Nachbauten von Kabinenabschnitten in Originalmaßen, sogenannte Mock-ups. Elf Stück gibt es davon. „Für den Beginn der Kabinendefinition sind vor allem die Türzonen wegen der dort befindlichen großen Einbauten wie Bordtoiletten und -küchen interessant. Die Kunden wollen dort sehen, wie der Passagier später das Flugzeug erlebt“, sagt Ezell. Vier Ein- und Ausgänge hat der A350 auf jeder Seite. Die Abschnitte dazwischen werden in den Mock-ups nachgestellt. Und mit Mobiliar wie Stühlen und Handgepäckfächer ausgestattet.

Wer sich mit den Sitzen in der Economy-Klasse auseinandersetzen möchte, ist im Mock-up mit dem Namen Fun-Air richtig. Zum Probesitzen stehen von fünf verschiedenen Anbietern Sitze bereit – natürlich in verschiedenen Modellen. Airbus schlägt standardmäßig 18 Zoll (45,72 Zentimeter) statt 17 Zoll breite Sitze vor. „Durch diese Sitzbreite entsteht viel Freiraum, weil mehr Querbewegungen möglich sind“, sagt Ezell. Die schmaleren Sitze ermöglichen es Airlines zudem, zehn statt neun Passagiere in eine Reihe zu setzen. Dadurch passen mehr Fluggäste an Bord, und es lässt sich mehr Geld verdienen.

Kunden können Beinfreiheit testen

Hat ein Kunde ein Modell in die engere Wahl genommen, werden die Sitze in vier Reihen hintereinander montiert, im Abstand von 31, 32 und 33 Zoll. So können die Kunden die Beinfreiheit testen. Denn der reine Abstand sagt wenig darüber aus. Schließlich können die Sitze (gerade im entscheidenden Kniebereich) unterschiedlich dick sein. Für die Airlines ist zudem interessant, wie sieht die erste Reihe aus, bei der der Tisch in der Armlehne versenkt wird. Und wie sieht die letzte Reihe aus, in deren Rückenlehnen das Unterhaltungsprogramm fehlt. In anderen Mock-ups sind Sitze der Business-Class oder Premium Economy montiert – nur das Luxussegment wird nicht gezeigt. „Die First Class bieten wir nicht als Vorentwicklung an, die wird von den Airlines individuell festgelegt“, sagt Ezell.

In den Mock-ups geht es aber nicht nur um die Auswahl der Sitze. Auch Toiletten und Küchen sind in verschiedenen Ausführungen vorhanden. Die Airlines prüfen, ob sie den hinteren Bereich des Flugzeugs komplett für die Küche ausgeben und in der Mitte eine Arbeitsfläche einbauen. Oder die Bordküche schmaler machen und links und rechts Toiletten einbauen. Häufig würden die Kunden ihre A350-Kabinentrolleys mitbringen und testen, „um zu sehen, wie sich die Trolleys mit einem Gewicht von bis zu 100 Kilogramm im Kabinenlayout bewegen lassen“, sagt Juers. Selbst in kleinen Seitenschränken befinden sich Originalprodukte wie Erste-Hilfe-Kästen, Feuerlöscher oder Taschenlampen, die vor Ort unter mehreren Herstellern ausgewählt werden können. Zwar sind in den Mock-ups nur echte Produkte installiert, sie haben allerdings einen Nachteil: sie funktionieren nicht.

Auch Küchengeräte dürfen getestet werden

Das ist im Play-Bereich anders. Auf dem „Spielplatz“ sind alle Geräte voll funktionstüchtig. In einem Raum zeigen drei verschiedene Technikanbieter ihre Lösungen für das Bordunterhaltungsprogramm. Besonders gefragt ist aber nebenan die Küche. „Das ist einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzige Ort weltweit, an dem unter anderem Öfen, Kühlschränke und Kaffeemaschinen verschiedener Hersteller getestet werden können“, sagt Juers. Die Maschinen werden mit den Originalbordanschlüssen verbunden und dann den Praxisanforderungen unterzogen. Wie viele Sekunden braucht die Kaffeemaschine, bis die Kanne voll ist? Wie lange dauert es, eine Flasche runterzukühlen? Und wie schmecken die Bordessen aus den Öfen? Für den Geschmackstest kommt auch mal der Chefkoch persönlich vorbei. Wichtig ist natürlich auch die Lautstärke der Geräte. Um die an Bord zu simulieren, bedarf es nur eines Fingerdrucks. Auf einem kleinen Touchscreen zeichnet sich ein A350 ab. Die typischen Fluggeräusche im vorderen, mittleren und hinteren Bereich können durch einmaliges Antippen in Originallautstärke eingespielt werden.

Einen Raum weiter hängt an der Wand ein Touchscreen. Beispielsweise sind für die Waschräume 27 Positionen im Flugzeug möglich. Jeder einzelne Standort lässt sich per Fingerdruck öffnen. Dann kann der Kunde wählen. Soll das Waschbecken rund, oval oder eckig sein? Soll die Front schwarz, weiß oder mit Holzmaserung versehen sein?

Ausgewählt Kabine wird in 3-D gezeigt

Hat der Besucher sich entschieden, lädt er die Daten auf einen USB-Stick hoch. Ein Stockwerk höher werden sie in den Rechner eingespeist. Kurze Zeit später können sie in virtueller Realität angesehen werden. Mit 3-D-Brillen vor den Augen wird die bisherige Auswahl der Airline auf einer sechs mal drei Meter großen Glasscheibe in vierfacher HD-Qualität projiziert. Die Besucher haben dabei den Eindruck, durch einen fertigen A350 zu laufen – das ist aus der Perspektive von Kindern genauso möglich wie aus der von normal Großen oder Riesen. Was wie ein Hollywood-Streifen wirkt, ist aber keiner. „Das ist kein Film, sondern wir ziehen die Daten live vom Computer“, sagt Ezell. Gefällt zum Beispiel eine ausgewählte Front oder ein Sitzbezug nicht, kann er in kurzer Zeit ausgetauscht werden. „Der Mix aus Virtual Reality und Hardware ist das Geheimnis des CDC“, sagt Juers: „Die Kunden sehen ihr Flugzeug schon vor der Auslieferung, sodass es am Ende weniger Überraschungen gibt.“

Im Design-Studio gibts Sitzbezüge und Teppiche

Wer doch noch mal einen realen Blick auf das Originalprodukt erhaschen möchte, kann ins Designstudio gehen. Sitzbezüge, Wandverkleidungen und Teppiche gibt es dort in den verschiedenen Farben und Materialien. Ist die Entscheidung für ein Kabinenlayout gefallen, machen sich die Airbus-Mitarbeiter an den Aufbau eines Mock-up speziell nach den Kundenwünschen. Das dauere zwar bis zu zwei Wochen, sei aber wichtig, um die Kabinenatmosphäre eins zu eins darzustellen – und das Lichtkonzept zu optimieren. 16,7 Millionen Farben stehen zur Auswahl. Ein Mock-up ist ausschließlich fürs Lichtkonzept gemacht. „Beispielsweise können wir Sonnenaufgänge innerhalb der Kabine in allen Himmelsrichtungen simulieren“, sagt Juers. Mit der richtigen Beleuchtung kann der Jetlag reduziert und der Wohlfühlfaktor erhöht werden – und daran ist Airbus an Bord ebenso gelegen wie im CDC auf Finkenwerder.