Hamburg . Für die Staatsanwaltschaft liegt kein Fall der Sterbehilfe, sondern des Totschlags vor. Verteidiger fordert Freispruch.

Fünf Jahre nach dem Selbstmord zweier Seniorinnen mit ärztlicher Hilfe hat die Hamburger Staatsanwaltschaft sieben Jahre Haft für den Mediziner gefordert. „Es liegt kein Fall der Sterbehilfe vor, sondern des Totschlags“, sagte die Staatsanwältin am Freitag in ihrem Plädoyer vor dem Landgericht. Von einer frei verantwortlichen Entscheidung der beiden Frauen könne nicht gesprochen werden. Der Verteidiger des 75-Jährigen forderte Freispruch. Ein Tötungsdelikt liege nicht vor, die Frauen im Alter von 81 und 85 Jahren hätten den wohlerwogenen Entschluss gefasst zu sterben. „Die Damen haben sehr planmäßig gehandelt“, betonte der Verteidiger. Das Urteil will die Strafkammer an diesem Mittwoch verkünden.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollen die beiden Seniorinnen nicht ganz sicher gewesen sein, dass sie sterben wollten, als ihnen der Arzt die Medikamente brachte. Sie hätten mit ihrer Entscheidung gehadert, dann aber doch die todbringenden Mittel eingenommen. Die Frauen waren im November 2012 gestorben. Nach ihrem Tod gab es ein langes juristisches Tauziehen um die Anklage zwischen der Staatsanwaltschaft und Gerichten.

Verteidiger weisen Vorwürfe zurück

Das Hanseatische Oberlandesgericht ließ schließlich nur den Vorwurf der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen zu. Es sah keine Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Frauen nicht sterben wollten. Die reine Sterbehilfe ist nicht strafbar. Der Arzt hätte aber nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit die Pflicht gehabt, sofort die Rettungskräfte zu verständigen. Da offen sei, ob die Retter die Frauen hätten reanimieren können, laute der Vorwurf auf versuchte Tötung.

Der Verteidiger wies auch diesen Anklagepunkt zurück. Eine Rettung der Frauen nach Einnahme der Medikamente sei nach Aussage von Rechtsmedizinern nicht mehr möglich gewesen. Ein solcher Versuch hätte die Retter in eine absurde Situation bringen können. Denn wenn die Patientinnen noch einmal zu Bewusstsein gekommen wären, hätten die Retter den Todeswunsch wieder respektieren und die Rettungsversuche sofort einstellen müssen. Es stelle sich also die Frage, wozu in einem solchen Fall gehandelt werden müsse. „Der Staat hat die Pflicht, Menschen zu schützen, aber er hat nicht die Pflicht, einen Menschen zu zwingen weiterzuleben, wenn er es nicht mehr will“, erklärte der Verteidiger.

Wurde die Frau zu der Entscheidung gedrängt?

Die beiden wohlhabenden und alleinstehenden Frauen hatten über viele Jahre zusammen gewohnt. Sie litten nach Angaben der Staatsanwaltschaft unter einer Reihe von alterstypischen Beschwerden und hatten nach dem Tod von krebskranken Freunden Angst vor einem eigenen schmerzvollen Ende. Sie seien dem Verein Sterbehilfe Deutschland beigetreten. Der Vereinsvorsitzende und ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch habe ihnen den Arzt vermittelt, der ein Gutachten über die „Wohlerwogenheit“ ihres Todeswunsches erstellen sollte. Die Richtlinien des Vereins sähen das so vor.

Tatsächlich habe der Angeklagte ein fehlerhaftes Gutachten erstellt. Anders als darin behauptet, sei der Entscheidungsprozess der Frauen noch nicht abgeschlossen gewesen. Der Angeklagte habe ihnen nur vorgespiegelt, dass ein Todeswille bei ihnen vorhanden sei. Vor der Einnahme der Medikamente hätten die Seniorinnen noch Bedenken geäußert. Die 85-Jährige habe berichtet, sie sei zur Weihnachtsfeier bei der Familie ihres Bruders eingeladen.

Doch der Arzt habe sie zur Entscheidung gedrängt. „Er fragte nur, ob sie es jetzt wollten“, sagte die Staatsanwältin. Der Angeklagte habe sich damit nicht dem Willen der Betroffenen untergeordnet, sondern seinen Willen an diese Stelle gesetzt. Es handele sich um einen Missbrauch der Sterbehilfe.

In seinem letzten Wort warf der Angeklagte der Staatsanwaltschaft „eine kriminalisierende Unterstellung“ vor. Er habe jahrzehntelange wissenschaftliche und praktische Erfahrung im Umgang mit sterbewilligen Menschen. „Ich empfinde es als unerträglich, wenn ein Patient von ärztlichen Besserwissern überrollt wird“, sagte der Neurologe.