Hamburg. An der Hamburgischen Staatsoper hatte “Die Heimkehr des Odysseus“ Premiere. An einigen Stellen hakt es noch etwas.

Menschen verteilen sich auf einer kreisrunden, leicht ansteigenden Scheibe, ansonsten ist die Bühne leer. Genauso minimalistisch beginnt die Musik: Ohne Richtung, wie in Gedanken wandern die Basstöne der Theorbe, der Riesenlaute, bevor eine Tuttifanfare auch musikalisch den Vorhang öffnet. „Ein sterblich Ding bin ich“, singt der Countertenor Christophe Dumeaux und malt diese fundamentale Feststellung menschlichen Bewusstseins in einer klagenden Melodie in den feinsten Verzierungen aus.

Als wollte er schon einmal das Terrain abstecken, auf dem sich das blutjunge Genre namens Oper in den kommenden Jahrhunderten abarbeiten wird, stellt Claudio Monteverdi in „Il Ritorno d’Ulisse in Patria“ („Die Heimkehr des Odysseus“) von 1640 die großen Fragen der Menschheit. Deshalb lässt er in einem Prolog als handelnde Figuren die Zeit, das Schicksal und die Liebe auftreten. Das klingt erstmal bedrohlich nach Diskurstheater und blutleerer Metaebene. Aber nicht bei Willy Decker und Wolfgang Gussmann. Die konzentrieren sich mit einer Genauigkeit und Anteilnahme auf die seelischen Vorgänge, dass man die Augen kaum abwenden kann. Ihre Lesart, eine Übernahme vom Opernhaus Zürich, hat an diesem Abend Premiere an der Hamburgischen Staatsoper.

Radikale Einfachheit dominiert Bühnenbild

Der Regisseur Decker und der Bühnenbildner Gussmann haben aus Monteverdis selbstformuliertem Anspruch den Schluss radikaler Einfachheit gezogen. Der knapp dreistündige Abend kommt mit einem Einheitsbühnenbild aus, die Protagonisten gehen elegant-heutig in Schwarz, wenn sie Menschen sind, und in festlichem Seidenblau, wenn sie Götter sind.

In der Odyssee geht es im Kern um das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen wie in der gesamten griechischen Mythologie: hier der der göttlichen Willkür ausgelieferte Mensch, dort die Unsterblichen. Das Wort „Moral“ kennen die nicht, sie nutzen die Menschenwelt unbekümmert als Stellvertreterkriegsschauplatz für ihre Machtkämpfe und auch gerne mal als Labor für Versuche am offenen Herzen. Den Zynismus der Bande deutet Decker in genial erdachten Details an. Odysseus soll sich als Bettler verkleidet inkognito zum eigenen Heim Zutritt verschaffen, so der Mythos. Wie der Tenor Alexander Kravets alias Jupiter bei der Täuschung feixend Regie führt und Odysseus den Alten vorspielt, das ist hochvirtuoser Slapstick.

Meist wird singend gesprochen

Für das Publikum des 17. Jahrhunderts war Oper Neuland – und der „Ulisse“ ist es für das Hamburger Premierenpublikum womöglich auch. Man braucht einen langen Atem dafür. Monteverdis Partitur ist überaus bildstark und abwechslungsreich, aber von der so übersichtlichen Nummernstruktur eines Händel weit entfernt.

Meist wird singend gesprochen, Parlando nennt man das, nur gelegentlich schwingt sich eine Melodie im Dreiertakt auf. Es ist hohe Kunst, die Spannung zu halten und jederzeit eins mit dem zu sein, was die Figur gerade durchlebt. Gar nicht einfach, das Ensemble dafür zu finden, aber der Premierenabend wird ein wahres Sängerfest. Stellvertretend für die fast durchgängig stilgerecht und lebendig agierende Besetzung seien hier Dorottya Láng (Mezzosopran) als Minerva und Marion Tassou (Sopran) als Melanto erwähnt. Der Tenor Kurt Streit in der Titelrolle ist hörbar vertraut mit Monteverdis Tonsprache und von ergreifender Präsenz bei aller charakterlichen Ambivalenz der Figur (wie fänden Sie es, wenn Ihr Ehegatte Sie für Jahrzehnte sich selbst überließe, dann aber mit Klauen und Zähnen Treue einforderte?).

Amor wird seiner Rolle an diesem Abend nicht gerecht

Schade, dass der Knabe der Chorakademie Dortmund an diesem Abend seiner Rolle als Amor nicht gerecht wird. Die Arabesken des selbstverliebten Gottes klingen bei ihm höchstens buchstabiert. Und seltsam, dass ausgerechnet die Altstimme der großen Sara Mingardo eindimensional klingt. Das Barmen und Klagen der Penelope trägt kaum über das Orchester hinweg in den Zuschauerraum. Auch einige andere Sänger bleiben dynamisch unterbelichtet; vielleicht fängt sich der Klang ja in dem zusätzlichen Rahmen, den Gussmann auf die Bühne gebaut hat. Zumal die Götter weit hinten auf der Bühne an einem langen Tisch tafeln und eben auch singen.

Dabei spielt das Prager Collegium 1704 nicht zu laut. Es ist aber in sich nicht ausbalanciert. Bonbon-Momente für das Schlagwerk sind natürlich die Gewitter, die das Erscheinen der Götter ankündigen. Der Dirigent Václav Luks hat die Continuo-Gruppe üppig mit Harfe, Theorbe, Chitarrone und mehreren Tasteninstrumenten besetzt und zum Streicherensemble noch Zinken und Trombonen dazugenommen, das sind Vorläufer von Trompete und Posaune. Dass die Intonation der Bläser ein-, zweimal zünftig danebengeht, macht nichts. Seltsamerweise aber bleibt das Klangbild nuschelig und einseitig dunkel, und auch die Abstimmung zwischen Graben und Bühne hakt öfter.

Vielleicht grooven sich die Beteiligten ja noch ein. Der Begeisterung des Publikums tun diese Wermutstropfen jedenfalls keinen Abbruch. Großer Jubel für einen großen Abend.