Hamburg. Der Chef der Hamburger S-Bahn ist täglich nah bei seinen Kunden. Für den Job braucht er vor allem eines: Ausdauer.

Wie praktisch, wenn man Beruf und Hobby verbinden kann. Und sei es nur im übertragenen Sinn. Kay Uwe Arnecke läuft in seiner Freizeit leidenschaftlich Marathon. Und auch seinen Job als Chef der Hamburger S-Bahn sieht er als Langlauf. „Da ist Ausdauer gefragt, und das Ziel ist noch nicht erreicht“, sagt er.

Denn jeden Tag kommen neue Herausforderungen hinzu. Ob und wie schnell er sie löst, stößt auf breiteres Interesse als bei den meisten anderen Hamburger Unternehmen. Das dürfte daran liegen, dass inzwischen gut 270 Millionen Fahrgäste pro Jahr mit der ­S-Bahn unterwegs sind. Tendenz steigend. Wenn es zu Störungen im Betriebsablauf kommt, dann ist das öffentliche Interesse groß. Und auch der Unmut. Ob in den Medien oder sozialen Netzwerken – die Nachrichten über Verspätungen, Weichenstörungen oder Zugausfälle verbreiten sich in Windeseile. Wenn es darum geht, Erklärungen zu liefern, dann ist Kay Uwe Arnecke gefragt.

Störungen ärgern ihn am meisten

Seit neun Jahren ist der gebürtige Hamburger in seiner Funktion als Vorsitzender der Geschäftsführung das Gesicht der Deutsche-Bahn-Tochter und leitet die Geschicke des Unternehmens mit 1200 Mitarbeitern: „Wenn es zu Störungen kommt, ärgert uns das am meisten, denn wir wollen den Fahrgästen ein gutes Produkt liefern“, betont Arnecke.

Der 57-Jährige empfängt in seinem Büro in der Konzernzentrale an der Hammerbrookstraße. Hinter dem Schreibtisch hängt ein Foto, das eine S-Bahn auf der Lombardsbrücke zeigt. Aus dem Fenster fällt der Blick direkt auf die S-Bahn-Haltestelle: „Ich habe immer alles im Blick“, sagt Arnecke lächelnd. Und er ist einer seiner besten Kunden. Denn Arnecke fährt mit der S-Bahn zur Arbeit: „So kann ich mir immer ein eigenes Bild machen und vor allen Dingen auch sehen, wo Optimierungsbedarf besteht.“ Es kommt auch schon mal vor, dass der Vater von zwei 21 und 23 Jahre alten Söhnen beim Lokführer mitfährt: „Der enge Kontakt zu den Mitarbeitern ist mir sehr wichtig, denn so bekomme ich ein direktes Feedback und auch den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag.“

Vorfreude auf die neue Generation an Zügen

Auch wenn es häufiger zu Verspätungen kommt, ist der S-Bahn-Chef zufrieden: In Bezug auf Pünktlichkeit liegt die Quote bei gut 95 Prozent, bei der Kundenzufriedenheit gab es zuletzt eine Durchschnittsnote von 2,2. Damit stehe die ­S-Bahn Hamburg deutschlandweit im Vergleich zu anderen S-Bahnen gut da.

Das macht Arnecke stolz. Das gilt auch für den Verkehrsvertrag zwischen der Stadt und der S-Bahn, den er mit ausgehandelt hat und der im Dezember 2018 in Kraft tritt. Das Verkehrsunternehmen hat für weitere 15 Jahre den Zuschlag erhalten, das S-Bahn-Netz in Hamburg zu betreiben. Damit sind Investitionen von mehr als 500 Millionen Euro verbunden. Dazu gehört auch die Bestellung von insgesamt 72 neuen ­S-Bahn-Zügen der Baureihe 490. Zurzeit werden die Fahrzeuge auf dem Hamburger Streckennetz getestet.

Klimaanlage und Fahrgastfernseher

Wenn alles läuft, sollen die Fahrgäste vom nächsten April an in den Genuss der neuen S-Bahn-Generation kommen, die mit Klimaanlage, Fahrgastfernsehen und durchgängigen Wagen ausgestattet ist: „Wir brauchen aufgrund der steigenden Fahrgastzahlen dringend mehr Kapazitäten auf dem Streckennetz. Deshalb sind die neuen S-Bahn-Züge für uns ein wichtiger Meilenstein, um für die Zukunft aufgestellt zu sein.“ Arnecke weiß: Die Zahl der Bevölkerung in Hamburg steigt weiter an, und davon profitiert natürlich auch die S-Bahn, weil es immer mehr Fahrgäste geben wird. Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet Arnecke im DB-Konzern, setzte Mitte der 90er-Jahre als Projektleiter für Restrukturierung die Bahnreform mit um. Er legte eine beachtliche Karriere hin, war zunächst kaufmännischer Geschäftsführer bei der Regionalbahn Schleswig-Holstein und der Autokraft in Kiel. Dann der große Sprung: 2001 wurde Arnecke Vorstand Personal im DB Personenverkehr mit Sitz in Frankfurt.

Die Familie lebte in der Hansestadt, und Arnecke pendelte. Aber irgendwann merkte er, „dass ich wieder in Hamburg arbeiten möchte“. Wie es der Zufall wollte, wechselte 2001 der damalige ­S-Bahn-Chef Jürgen Fenske nach Köln: „Ich habe meinen Hut in den Ring geworfen. Auch wenn das kein Sprung auf der Karriereleiter war. Aber ich wollte unbedingt wieder näher am Geschäft dran sein, und dafür war diese Position wie maßgeschneidert.“

Assistent und Büroleiter von Dohnanyis

Dass Arnecke irgendwann mal die Geschicke der S-Bahn lenken würde, hätte er sich vor 30 Jahren noch nicht träumen lassen: „Während des Volkswirtschaftsstudiums in Hamburg hatte ich den Plan, danach ins Ausland zu gehen. Ich habe dafür sogar Spanisch gelernt“, sagt Arnecke lächelnd. Dass aus dem Ausland nichts wurde, damit hat auch ein bekannter Hamburger Politiker zu tun. Denn über seinen damaligen Professor kam der Kontakt zu Klaus von Dohnanyi zustande. Der war 1988 gerade als Bürgermeister zurückgetreten und suchte einen wissenschaftlichen Assistenten. Den Job bekam Arnecke. Er sagt heute über seinen früheren Chef: „Klaus von Dohnanyi ist für mich einer der bedeutendsten Intellektuellen in der Politik. Ich habe sehr viel von ihm gelernt.“

Als Dohnanyi 1990 nach dem Mauerfall zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Takraf Schwermaschinenbau AG in Leipzig ernannt wurde, kam Arnecke als Büroleiter mit. Später wechselte er zur Treuhandanstalt als persönlicher Referent des Personalvorstands: „Das war eine spannende Zeit. Wir sind durch die gesamte ehemalige DDR gereist, haben die Firmen privatisiert und dabei auch Menschen in neue Arbeit gebracht.“ Im nächsten Jahr wird Arnecke 58 Jahre alt. Seine Zukunft sieht er bei der S-Bahn-Hamburg: „In dieser Position kann ich sehr viel bewegen.“ Eine Herzensangelegenheit ist für ihn die Realisierung der neuen Linie S 4 zwischen Altona und Bad Oldesloe. Seit Jahrzehnten wird über dieses Vorhaben gesprochen. Seit dem vergangenen Jahr läuft das Planfeststellungsverfahren.

Wichtigste Frage noch nicht geklärt

Allerdings ist die wichtigste Frage noch nicht geklärt: Wer finanziert das Projekt mit einem Volumen von rund 950 Millionen Euro? Die Stadt, der Bund, die Bahn? Arnecke ist ungeduldig: „Mir geht es darum, dass die S 4 so schnell wie möglich kommt, denn sie ist eine Entlastung für den Hauptbahnhof, der bereits seine Kapazitätsgrenze erreicht hat. Außerdem bekommen die 250.000 Einwohner der Region dann endlich einen S-Bahn-Anschluss.“ Das Ziel ist der Baubeginn 2020 und die Eröffnung der neuen Strecke bis Rahlstedt im Jahr 2024. Da möchte Arnecke noch in seiner Funktion als S-Bahn-Chef dabei sein.

Ein bisschen ist die S 4 auch eine Reise in die Vergangenheit für Arnecke. Denn seine Kindheit und Jugend hat er in Rahlstedt verbracht. Die Wohnung der Familie lag in der Nähe der Bahnstrecke Hamburg–Lübeck, und damals fuhr dort noch eine S 4, die heutige Regionalbahn 81: „Ich bin damals häufig mit der S 4 ins Zentrum gefahren.“ In Rahlstedt wohnt Arnecke schon lange nicht mehr. Sein Stadtteil ist jetzt Winterhude, in der Nähe der Außenalster. Und zu der hat der Hobbysportler eine enge Bindung: „Ich laufe jeden Morgen eine Runde um die Alster. Das ist für mich der perfekte Start in den Tag, und ich bereite mich dabei auch mental auf die anstehenden Termine vor.“

Schade, dass nach Sylt keine S-Bahnen fahren

Das Laufen ist seine große Leidenschaft. Den ersten Marathon hat Arnecke 2001 in Berlin absolviert. Damals ist er noch inkognito gestartet: „Ich bin für einen Kollegen eingesprungen und unter seinem Namen mitgelaufen.“ Das Praktische: Der S-Bahn-Chef verbindet Städtereisen mit seinem Hobby. Dieses Jahr ist er beim Marathon in Rom gestartet, 2018 steht Paris auf dem Programm: „Beim Laufen die Städte zu erkunden, das ist etwas ganz Besonderes. Ich laufe nicht auf Zeit, sondern lasse mich einfach treiben, und natürlich ist es immer ein tolles Gefühl, wenn dann das Ziel erreicht ist.“ Inzwischen hat Arnecke 25 Marathonläufe gemacht, und ans Aufhören denkt er noch lange nicht.

Eine weitere Leidenschaft von ihm ist die Insel Sylt. Hier kann er am besten ausspannen. Er hatte sogar schon mal die Idee, gemeinsam mit einem Freund dort ein Restaurant zu eröffnen: „Wir hatten ein passendes Objekt im Auge. Aber andere waren schneller und haben dort einen Betrieb eröffnet.“ Doch so ganz ernst gemeint war der Plan dann wohl doch nicht. Denn Kay Uwe Arnecke könnte sich ein Leben ohne die S-Bahn gar nicht mehr vorstellen: „Ich fühle mich verpflichtet“, sagt er, „das Begonnene zu einem guten Ende zu bringen. Da liegt noch ein Stück Laufstrecke vor mir.“

Nächste Woche: Johannes Aepinus, Hamburger Reformator