Altona. Überraschendes Urteil nach Körperverletzung. Profiboxer und Otto-Schwiegersohn wittert Falle des türkischen Geheimdienstes.

Sichtlich erleichtert verlässt Ismail Özen am Donnerstagnachmittag den Saal 201 im Amtsgericht Altona. „Ich bin sehr froh, dass ich in Deutschland lebe und hier Gerechtigkeit herrscht“, sagt der Hamburger Profiboxer mit türkischen Wurzeln nach der Urteilsverkündung in die Fernsehkameras. Gerade ist der Schwiegersohn von Michael Otto, dem Aufsichtsratvorsitzenden und früheren Vorstandschef der Otto Group, vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung freigesprochen worden.

Opfer kommt mit Frakturen in Krankenhaus

Es ist eine rätselhafte Geschichte, in die der Ehemann von Unternehmer-Tochter Janina Otto verwickelt worden ist. Am Anfang noch schien der Fall eindeutig. Der Profiboxer wird am späten Abend des 23. Juli 2016 zu einer Auseinandersetzung in Altona gerufen. Dort trifft er auf mehrere junge Männer. Es dauert nicht lange, dann reißt er die Tür eines Autos auf und schlägt zu. Das Opfer, ein 23 Jahre alter Autofahrer, wird mit mehreren Frakturen im Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert und muss dort operiert werden. Vier Tage lang wird der Verletzte stationär behandelt.

Doch so einfach, wie sich der Fall um Ismail Özen laut Anklage gestaltet, ist er nicht. Vielmehr handelt es sich um eine unübersichtliche Lage, die sich an jenem Abend an der Waidmannstraße abspielt. Und so nimmt der Prozess gegen den 37-Jährigen selbst für den Richter „einen überraschenden Ausgang“.

Bereits am ersten Verhandlungstag Anfang Oktober hatte Özen gestanden, dem 23-Jährigen einen Faustschlag ins Gesicht verpasst zu haben. Hintergrund sei ein Hilferuf seines damals 15-jährigen Neffen gewesen, der ihn in einer SMS dringend gebeten habe, zu ihm an einem Treffpunkt in Altona zu kommen. Doch dort seien mehrere Jugendliche gewesen, die ihn eingekreist und bedroht hätten. Zwei weitere Männer seien mit Messern auf ihn losgegangen. Den 23-Jährigen habe er geschlagen, da er den jungen Mann auch für einen der Angreifer gehalten habe. „Ich war unter Schock“, hatte Özen eingeräumt.

Richter spricht von: „unübersichtlicher Lage“

Das Gericht sah es am Donnerstag als erwiesen an, dass es sich bei dem Faustschlag gegen den unbeteiligten Autofahrer um eine vermeintliche Notwehrlage gehandelt habe. Den Freispruch begründete der Richter mit der „total unübersichtlichen Lage, die letztlich einem Hinterhalt entspricht“. Im Laufe des Verfahrens habe der Geschädigte „entgegen der Aktenlage angegeben, aus seinem Auto ausgestiegen zu sein“. Dies decke sich mit der Aussage des Angeklagten, sagte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung weiter.

Auch die Staatsanwaltschaft hatte zuvor auf einen Freispruch plädiert. „Der Vorwurf lässt sich nicht länger aufrechterhalten“, sagte die Staatsanwältin. Özen habe das Opfer zwar mit dem Faustschlag „erheblich verletzt“, jedoch habe er sich in einer Situation befunden, „in der er selbst befürchten musste, erheblich verletzt zu werden.“

Özen wittert Falle des türkischen Geheimdienstes

Özens Verteidiger Andreas Thiel hatte in seinem Plädoyer ebenfalls einen Freispruch gefordert. Sein Mandant sei davon ausgegangen, dass eine „Messerattacke“ drohte, weshalb es zu einem „Abwehrschlag“ gekommen sei. Das Opfer von Özens Boxkunst, das nichts mit dem Angriff zu tun hatte, hatte von dem Profiboxer bereits 800 Euro Schmerzensgeld sowie eine weitere Entschädigungszahlung bekommen. Der Geschädigte hatte dem Gericht geschildert, dass sich Özen bei ihm entschuldigt und ihm gesagt habe, es sei ein Missverständnis gewesen.

Trotz seines Freispruchs wegen Körperverletzung ist der Vorfall in der Julinacht vor einem Jahr für den Otto-Schwiegersohn noch nicht abgeschlossen. „Ich wurde in einen Hinterhalt gelockt“, sagte Özen nach der Verhandlung. Er ist sich sicher, dass sein Neffe in jener Nacht von zwei Männern bedroht wurde. Sie sollen den Jungen dazu aufgefordert haben, seinen Onkel per SMS um Hilfe zu bitten. Özen hält es für möglich, dass der türkische Geheimdienst die Angreifer auf ihn ansetzte. Er engagiert sich für die Kurdenbewegung in der Türkei. „Ich sehe den Angriff als eine Kampfansage an die Menschenrechte“, so Özens Erklärung für den Vorfall. Wie der Amtsrichter mitteilte, liegen dem Gericht derzeit keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen gegen die Angreifer vor.

4500 Euro Geldstrafe wegen Fahrens ohne Führerschein

Völlig ungeschoren kam Özen am Donnerstag jedoch nicht davon. Für das Fahren ohne Fahrerlaubnis, weswegen Özen sich in dem Prozess außerdem verantworten musste, muss er eine Geldstrafe in Höhe von 4500 Euro zahlen. Gut acht Monate nach dem Vorfall in Altona hatte sich Özen im März dieses Jahres ans Steuer eines Porsche gesetzt, obwohl er einen Monat Fahrverbot hatte. Auch in diesem Anklagepunkt zeigte sich Özen geständig. Die Staatsanwaltschaft, die von der Forderung einer Freiheitsstrafe absah und stattdessen die Geldstrafe forderte, stufte das Fahren ohne Führerschein als „einmaliges situationsbedingtes Fehlverhalten“ ein.