Hamburg. Europäer kaufen Mehrheit an der Mittelstreckensparte des kanadischen Konzerns Bombardier. Konkurrent Boeing reagiert verärgert.

Die Deutschland-Premiere fand im vergangenen Jahr in Hamburg statt. Am 12. Dezember landete um 10.57 Uhr die lettische Fluggesellschaft Air Baltic mit ihrer neuen Bombardier CS 300 auf dem Helmut-Schmidt-Flughafen. Erst wenige Tage zuvor hatten die Letten als Erstbetreiber die Maschine erhalten. „Das ist ein absolut tolles Flugzeug und ein ernst zu nehmender Wettbewerber“, sagte der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt damals dem Abendblatt.

Zehn Monate später gibt es kräftiges Lob der (bisherigen) Konkurrenz. Airbus-Chef Tom Enders hob am Dienstag das außergewöhnliche Design und die ökonomischen Vorteile des Mittelstreckenjets aus Kanada hervor und sprach von einem „großartigen Flugzeug“. Kein Wunder: Schließlich hatte der europäische Konzern gerade überraschend mit 50,01 Prozent die Mehrheit an dem Flugzeugprogramm CSALP übernommen. Das teilten Airbus und Bombardier in der Nacht zu Dienstag mit. Wettbewerber sind die Kanadier plötzlich nicht mehr. „Die C-Serie ist eine tolle Ergänzung unserer bestehenden A320-Familie“, sagte Enders. „Das ist eine Win-win-Situation für alle!“

Triebwerkslieferant fehlte Bombardier ebenso wie Nachfrage

Die Kanadier sind mit dem Programm in den vergangenen Jahren nicht besonders glücklich geworden. Jahrzehntelang stand der Konzern für kleinere Regionaljets. Mit der C-Serie drängte das Unternehmen in das Duopol von Airbus und Boeing im Bereich der Mittelstreckenjets. Rund sechs Milliarden Dollar investierte Bombardier in die Entwicklung der Jets. Das erste Mal abheben sollte der Flieger 2008, tatsächlich erfolgte der Jungfernflug erst 2013.

Ein Triebwerkslieferant fehlte ebenso wie die Nachfrage. Die Verzögerungen brachten das Unternehmen, das auch in der Bahntechniksparte stark unter Druck steht, an den Rand der Insolvenz. Bereits im August 2015 hatten die Kanadier aus finanzieller Not versucht, mit Airbus anzubandeln. Vergeblich. Nun ist das gelungen. „Das ist eine ganz andere Situation“, so Enders gestern. Die Jets seien zwischenzeitlich auf den Markt gekommen, zertifiziert und entwickelten sich gut. Ende Juni hatten die Kanadier 14 Maschinen ausgeliefert.

„Airbus ist der perfekte Partner für uns, Quebec und Kanada“, sagte Bombardier-Chef Alain Bellemare. Das Unternehmen wird künftig knapp 31 Prozent an CSALP halten, die staatliche Investitionsgesellschaft der Provinz Quebec, die eine Milliarde Dollar investierte, 19 Prozent. Sitz und Hauptfertigung sollen in Kanada bleiben. Das Unternehmen soll unbelastet einen Neustart wagen können. Schulden werde es nicht haben, hieß es. Dabei machte die Zivilflugzeugsparte von Bombardier im vergangenen Jahr vor Zinsen, Steuern und Sonderposten einen Verlust von 450 Millionen Dollar.

Boeing reagiert verärgert

Airbus muss für die Mehrheit an CSALP kein Geld überweisen. Bombardier steht sogar für weitere potenzielle Verluste von 700 Millionen Dollar in den ersten drei Jahren in der Haftung. Die Europäer sollen vor allem den Verkauf der Maschinen ankurbeln. „Ich habe keine Zweifel, dass unsere Partnerschaft mit Bombardier die Verkaufszahlen und den Wert des Programms enorm nach oben treiben wird“, sagte Enders. Bei den Kanadiern stehen zwar Aufträge über 360 Jets in den Büchern, allerdings ist seit 18 Monaten keine neue Order hinzugekommen. Viele Kunden hätten gezögert, weil die Zukunft des Programms unsicher war.

Neben der Auftragsflaute könnte Airbus auch bei einem zweiten Problem helfen. Die USA haben die Flugzeuge aus dem nördlichen Nachbarland jüngst mit Strafzöllen von bis zu 300 Prozent belegt. Dahinter steckt eine Beschwerde des heimischen Herstellers Boeing. Der US-Konzern hatte sich über angebliche Schleuderpreise bei der C-Serie beschwert. Airbus möchte die Endmontage der Jets nun in seinem Werk in Mobile (US-Staat Alabama) vornehmen – das könnte Einfuhrzölle vermeiden.

Entsprechend angegriffen reagierte Boeing auf den europäisch-kanadischen Pakt. „Das sieht nach einem fragwürdigen Deal zwischen zwei massiv staatlich subventionierten Wettbewerbern aus, um die jüngsten Entscheidungen der US-Regierung zu umgehen“, teilte der Erzrivale von Airbus mit. Beide Firmen liefern sich seit Jahren einen Streit und bezichtigen den jeweils anderen der Annahme illegaler Subventionen.

Die Airbus-Aktie legtekräftig um fünf Prozent zu

Die C-Serie ist in der Größe am unteren Ende der A320-Familie angesiedelt, die rund zur Hälfte in Hamburg endmontiert wird. Die CS 100 wird zum Beispiel von Swiss mit 125 Sitzplätzen geflogen. Die 38,70 Meter lange CS 300 von Air Baltic ist mit 145 Sitzen bestuhlt. Beide Maschinen könnten das Aus für die beiden kleinen Airbus-Modelle bedeuten. Für den A318 gibt es ohnehin keine Bestellungen mehr. Beim maximal 156 Fluggäste fassenden A319 stehen nur noch 75 Stück im Auftragsbuch. Der A321 bietet bis zu 240 Passagieren Platz.

Die Europäer erwarten für das Segment der 100 bis 150 Passagiere fassenden Flugzeuge in den nächsten 20 Jahren einen Absatz von rund 6000 Maschinen. „Ich sehe keinen Grund, warum die C-Serie nicht den Hauptteil dieser 6000 Flugzeuge abgreifen sollte“, so Enders. Vor allem in Asien könnte Airbus ein starker Vertriebspartner für Bombardier sein und das Geschäft ankurbeln. Das Vollzug der Transaktion unterliegt noch der Zustimmung der Aufsichtsbehörden und soll spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2018 erfolgen. An der Börse wurde das Geschäft für Airbus positiv bewertet. Die Aktie legte gestern um fast fünf Prozent auf 80,71 Euro zu.