Hamburg. Salafisten versuchten laut Anklage, nach Syrien zu gelangen. Im Prozess soll geklärt werden, wie sie sich radikalisierten.

Die jungen Männer zeigen ihren Hass auch einer Gruppe von Polizisten. Vier von ihnen beten am 3. März dieses Jahres auf einem Parkplatz an der Danziger Straße, als die Beamten sie ansprechen. Personenkontrolle. Dann eskaliert die Situation. „Nur Allah kann mir etwas sagen“, soll einer der Jugendlichen gesagt haben. „Euer System gilt für mich nicht.“ Ein anderer wird so unflätig, dass man es hier nicht zitieren kann.

Zwei Frauen mit Nikab-Vollschleier waren als Zuschauer vor Gericht
Zwei Frauen mit Nikab-Vollschleier waren als Zuschauer vor Gericht © dpa

Es entbrennt ein Kampf, sie ringen mit den Beamten, versuchen sich gegenseitig zu befreien, als die Polizisten sie niederdrücken. Sie zu bespucken. Einen der Jugendlichen müssen die Beamten zu viert festhalten.

Sie kamen nur bis Bulgarien

Anderthalb Monate später sitzen die vier jungen Männer und zwei weitere Jugendliche in U-Haft. Sie sollen gemeinsam versucht haben, nach Syrien auszureisen. Für den Wahnsinn der Terrorgruppe IS. Nur Grenzbeamte in Bulgarien, die die jungen Männer aufhielten und nach Deutschland zurückschicken, durchkreuzten den Plan.

So steht es in der Anklage der Staatsanwaltschaft, der die Männer am Montag beim Prozessauftakt im Landgericht unberührt zuhören. Can B. (17), Simo G. (17) Anzor W. (19), Dominique B. (19), Mohammed N. (20.) und Yasar C. (26) stützen sich auf ihre Tische in Saal 237, die Schultern katzenartig hochgezogen. Sie alle wurden in Deutschland geboren; drei der Angeklagten kommen aus Hamburg, zwei aus Schleswig-Holstein, einer aus Gifhorn in Niedersachsen.

„Es ist kein durchschnittliches Verfahren“, sagt der Staatsanwalt Tim Paschkowski im Gerichtssaal – mit Blick auf die Terrorgefahr und Radikalisierung anderer Jugendlicher. Wegen der Vorbereitung einer „schweren staatsgefährdenden Straftat“ drohen den Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft. In dem Prozess wird bis zum voraussichtlichen Urteil im April 2018 im Mittelpunkt stehen, wie aus den Jugendlichen mutmaßliche Islamisten werden konnten.

Spätestens seit Juli 2015, so die Anklage, sollen sie sich deutlich radikalisiert haben. Die Hamburger Angeklagten waren dabei offenbar intensiv in die wachsende islamistische Szene verstrickt. Nach Abendblatt-Recherchen waren zwei der Angeklagten auch bei Koranverteilungen aktiv.

Die Zahl der vom Verfassungsschutz registrierten Salafisten hat sich in den vergangenen zwei Jahren auf 775 Personen fast verdoppelt – mehr als die Hälfte dieser Menschen gelten als gewaltbereite Dschihadisten.

Richterin sieht Gefahr durch Islamisten im Publikum

Am Montag sitzt im Zuhörerraum des Gerichts eine Gruppe von Jugendlichen, offenbar Bekannte der Angeklagten. Zwei junge Frauen schwarzen Nikabs, der Körper und das Gesicht bis auf die Augenpartie bedeckt, haben sich ganz hinten auf eine Bank gesetzt. Sie tuscheln leise, einmal winkt eine der Frauen einem der Angeklagten zu.

Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring lässt direkt nach der Anklageverlesung darüber beraten, ob die Öffentlichkeit in dem Verfahren zugelassen bleiben soll – nach etwa 30 Minuten ist die Entscheidung gefallen, die bei einer Mischung aus Minderjährigen und Erwachsenen auf der Anklagebank im Ermessen des Gerichts liegt. Pressevertreter, Polizisten und andere Zuhörer werden für die Dauer der Beweisaufnahme ausgeschlossen, möglicherweise auch für die anschließenden Plädoyers.

Die Staatsanwaltschaft scheitert mit einem entsprechenden Gegenantrag. In diesem Fall bestehe ein „besonderes öffentliches Interesse“ – und zumindest Polizisten sollten in jedem Fall den Prozess verfolgen dürfen, da sich aus der Geschichte der jungen Männer weitere Schlüsse auf die Szene und die Radikalisierung junger Hamburger ergeben könnten.

80 sind in die Kampfgebiete gereist

Die Richterin Meier-Göring hat dagegen mögliche Schäden für die „Erziehung“ der Angeklagten im Blick: Wenn vor Gericht öffentlich über ihre persönliche Geschichte und ihre Radikalisierung gesprochen werde, könne das eine „Bloßstellung und Stigmatisierung“ zur Folge haben. Ihr bereiten aber auch die Zuhörer im Saal Sorgen: Wenn hinter der Zuschauerwand mutmaßliche weitere Islamisten aus der Szene säßen, könne dies den Prozess gegen die jungen Männer negativ beeinflussen.

Wie es vom Verfassungsschutz heißt, waren Islamisten, die Hamburg für den bewaffneten Dschihad verließen, nach ihrer Rückkehr in der Regel wieder in der Szene aktiv. Insgesamt sind seit 2013 mindestens 80 Personen in die Kampfgebiete ausgereist – jeweils etwa ein Drittel ist zurückgekehrt, noch in den Kampfgebieten oder verstorben.