Hamburg. Georg Taubitz ist 26 Jahre alt und bald der jüngste Priester im Erzbistum Hamburg. Wir haben den Gottesmann getroffen.

Am Ende des Statiogangs im St. Marien-Dom, der zur Krypta führt, steht eine überlebensgroße Christus-Statue. Georg Taubitz soll da jetzt auch stehen und am besten, findet der Fotograf, „die Hände dabei falten“. Mit Händen, das denkt übrigens eigentlich jeder Fotograf, muss der Fotografierte immer und grundsätzlich etwas machen, nur in die Hosen stecken sollte er sie eher nicht.

Georg Taubitz sagt, er würde das aber gerne genau so machen (die Hände also in die Hosentaschen stecken), „da sind meine Hände normalerweise, wenn ich nichts mit ihnen zu tun habe“. Taubitz ist 26 Jahre alt, also in dem Alter, in dem die habituelle Ungezwungenheit noch nicht dem Ernst und der Schwere, die mit Lebenserfahrungen einhergehen, gewichen ist. Taubitz ist Diakon und wird in wenigen Tagen in Rom zum Priester geweiht. Mit Mitte 20 ist er ein eher ungewöhnlicher Kandidat, er wird im Erzbistum Hamburg der jüngste Priester sein.

Das Erzbistum

Taubitz, schlank, Brille, zurückgekämmtes Haar, ist, wenn man so will, ein Hoffnungsträger der katholischen Kirche. Interviews hat er genau deswegen schon öfter geführt. Man merkt das, wenn er wissend mit dem Kopf nickt, obwohl der Fragende noch gar nicht zu Ende formuliert hat.

Als katholischer Geistlicher ist man in der Öffentlichkeit jenseits von Kirche und Gemeinde ohnehin eine kuriose Erscheinung­, die Fragen, Mutmaßungen und Verdachtsmomente heraufbeschwört. So erzählt nach dem Foto­termin es jedenfalls Taubitz bei Balzac. Seinen Kaffee trinkt der Glaubensmann schwarz. Gemustert wird er hier in St. Georg von niemandem, auch nicht verstohlen. Vielleicht ist man hier in Kirchennähe auch an den weißen, ringförmigen Stehkragen gewöhnt.

Immer dasselbe Thema

Früher, sagt Taubitz, wurde der Geistliche sicher mehr respektiert als heute. Logisch, das war die Zeit vor der entschlossenen Durchsäkularisierung der Gesellschaft. Die Zeit vor der spirituellen Unbehaustheit und der Epoche der Kirchenaustritte. Die Zeit vor den öffentlich gemachten Skandalen. Wenn Taubitz heute Zug fährt und mit anderen Fahrgästen ins Gespräch kommt, geht es immer um dasselbe: Missbrauch von jungen Menschen, die sich in der Obhut der Kirche befinden. Paläste, die sich Bischöfe mit Kirchensteuergeld errichten. Und besonders das Z-Thema, das alles überwölbende und verschluckende Z-Thema. Z wie Zölibat, Z wie zäh, zäh, zäh – zumindest aus Sicht desjenigen, der immer wieder auf dieses eine Thema angesprochen wird.

Das nervt schon, sagt Taubitz. Am Ende sind es zehn Leute und mehr, die sich ihm im Abteil zuwenden, „und ich denke dann immer: Jetzt lasst uns doch mal über euch reden!“ Und wenn das dann doch einmal geschehe, hätten die meisten nicht viel zu sagen. Jedenfalls nichts, was Taubitz’ Interesse an durchaus tiefsinnigen Gesprächen – vielleicht über das, was man im Leben will – stillen könnte. Aber über mangelnde Aufmerksamkeit zumindest kann er sich nie beklagen. Und die Offenheit für Menschen, die ist Jobvoraussetzung, es mangelt ihm nicht daran.

Kampf gegen die Vorurteile

Der Kampf gegen die Vorurteile, die Konfrontation mit der Kirchenfeindlichkeit muss dennoch oft eine Form von harscher Belästigung sein. Sie stählen einen Priester in spe, bestenfalls. Einmal besuchte der sehr junge Taubitz vor einigen Jahren eine Opernvorstellung und kam mit seiner Sitznachbarin ins Gespräch. Das war kurz, bevor er ins Priesterseminar ging. „Ah, zu den Kinderschändern“, sagte die Dame wenig damenhaft, und dann ging der Vorhang auf. Er habe gar nichts mehr entgegnen können, sagt Taubitz, „aber nett war das nicht“. Wahrscheinlich fielen ihm auch damals schon andere Vokabeln für den Vorgang ein.

Aber Taubitz ist ein freundlicher Mann, der jung und reif zugleich wirkt. Und das mit der Güte hat er in den vergangenen Jahren sicher schon eingeübt. Sein Theologiestudium begann in Frankfurt am Main, er war ein Jahr in Polen und arbeitete mit ehemaligen KZ-Häftlingen, später durfte er dann zum Studieren nach Rom, eine Auszeichnung. Sein Chef, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, hat ihn zuletzt nach Neubrandenburg geschickt, wo der Diakon Taubitz erstmals mit einer Gemeinde arbeitete. „Um das zu tun, wird man Seelsorger“, erklärt Taubitz und meint den Kern der Arbeit eines Priesters.

Verzicht und Entsagung

Aber warum will einer heute überhaupt noch Priester werden? Und ist es nicht, wenn man noch so jung ist, besonders schwer, sein Gelübde abzulegen? Nun, man wird heute aus den gleichen Gründen Priester wie früher, zunehmende Gottlosigkeit der Gesellschaft hin oder her. Weil man glaubt und den Glauben weitergeben will, weil man an den Trost im Glauben – glaubt.

„Ich kann zu Gott mit all meinen Anliegen kommen“, sagt Taubitz. Und er will, dass andere das auch tun. Wer wie er sein komplettes Leben Gott und der Kirche verschreibt, der muss in dem damit verbundenen Lebensstil, der vor allem auch auf Verzicht und Entsagung beruht, ein Identifikationsmodell von hoher Anziehungskraft sehen.

Den Zölibat, sagt Taubitz, muss er einüben

Georg Taubitz nennt das, was gemeinhin mit „Berufung“ umschrieben wird, sein „Herzensthema“. Es geht ihm um Seelsorge, darum, „bei den Menschen zu sein“. Er will Priester sein, sagt Taubitz, „nicht Mönch“. Die Monate in Neubrandenburg seien toll gewesen, als er ging, um seine Ausbildung fortzusetzen, ließ Taubitz Menschen zurück, die er gerade erst richtig kennengelernt hatte. Der Hirte, der seine Herde verlässt, ist für den Augenblick kein glücklicher Mann.

Wenn Taubitz, der sein Stundenbuch (das Gebetsbuch der Katholiken) auf seinem Smartphone mit sich herumträgt, über seine Hinwendung zum Glauben und die Arbeit in der Gemeinde spricht, dann ändert sich seine Körperhaltung. Wer sich in die Rechtfertigungsecke gedrängt fühlt, der verschränkt die Arme. Wer über das spricht, was ihn antreibt und von dem er überzeugt ist, der öffnet sich, um anderen Horizonte zu öffnen.

Zwiesprache mit Gott vor dem Zu-Bett-Gehen

Er trage, sagt Taubitz, sein Herz auf der Zunge. Das war auch so, als er mit 17 erstmals darüber nachdachte, Priester zu werden. In einer Kirchenfreizeit in den Ferien feierte der Kaplan, den er vorher nur flüchtig kannte und nun besser kennenlernte, eine Messe, die Taubitz im Gedächtnis blieb. Als Erweckungserlebnis: Was der macht, möchte ich auch machen, dachte sich Taubitz.

Geboren und aufgewachsen ist er in Kiel. Beide Eltern sind Musiker, der Vater ist Klarinettist, die Mutter Gesangspädagogin. Und katholisch. Sie erzog Georg und seine fünf jüngeren Geschwister in diesem Glauben. Sonntags gemeinsamer Kirchenbesuch, mittags Tischgebet, Zwiesprache mit Gott vor dem Zu-Bett-Gehen. 2005 nahm sie ihren Sohn mit zum Weltjugendtag in Köln, auf dem der damals neue Papst Benedikt auftrat. Junge Menschen von überallher, er war beeindruckt. Der Glaube war und ist im Hause Taubitz, wie man so schön sagt, gelebter Alltag. Das Soziale, das Interesse am Mitmenschen hat der älteste Sohn hier früh eingeübt. Er hat einst seine Geschwister gewickelt.

Enthaltsamkeit kommt nicht einfach so

Wie hat seine Mutter reagiert, als er ihr seinen Berufswunsch eröffnete? Sie hat reagiert, wie in mehrerlei Hinsicht nur eine Mutter von sechs Kindern reagieren kann. Sie hat an mögliche Enkel gedacht, an Kinderreichtum und den Reichtum, den Kinder bringen. Sie hat, wie sie erklärte, außer Georg noch fünf andere Kinder, die sie zur Großmutter machen können. Er habe sich, erklärt Taubitz, dessen Rhetorik im Übrigen den geübten Redner bereits verrät, der er als Prediger später sein muss und möchte, für die Kirche entschieden, „mit allen Regeln, die zu diesem Verein gehören“. Womit das Gespräch wieder auf das Z-Thema zusteuert. Oder anders: auf das Sexthema.

„Es geht immer nur um Sex“, sagt Taubitz und meint wieder die Form von Interesse, die ihm außerhalb der Kirche meist entgegenschlägt. Und wie ist das jetzt wirklich mit dem Geschlechtlichen, Herr Taubitz? „Man muss den Zölibat einüben. Die Enthaltsamkeit kommt nicht einfach so. Klar denkt man manchmal: Warum guckt die rüber, die sieht ganz nett aus. Auch ich gehe auf Partys“, sagt Taubitz.

Antiquierte Moralvorstellungen

Intime Fragen werden ihm immer wieder gestellt, und wenn man nun aber als übrigens Ertappter, der unter dem Denkmantel des journalistischen Fragens ebenfalls seine Neugierde stillt, die Äußerung tut, wie übergriffig und impertinent jene doch ist, dann überrascht einen der Mann und bekennt: „Die Enthaltsamkeit und was diese Lebensweise bedeutet, interessiert mich doch auch, ich blocke da nicht jedes Gespräch ab.“

Was nichts an der Tatsache ändert, dass der Zölibat von vielen als Grundübel betrachtet wird. Die Missbrauchsskandale sind ein gehöriger Imageschaden für seinen Arbeitgeber. Die Kirche ist auch noch nie ein Ort gewesen, dem man das Attribut „modern“ voranstellen würde. Ihre Ansichten zur Fortpflanzung und antiquierte Moralvorstellungen irritieren die einen.

Zu viele Idealvorstellungen?

Andere sind schlicht abgestoßen, da hilft auch ein eher fortschrittlicher Papst, wenn es so etwas denn gibt, wie Franziskus kein Stück. Im Priesterseminar sprechen Taubitz und seine Kollegen über den Katholizismus der allerneuesten Gegenwart, und „da gibt es konträre Ansichten, die einen lieben Franziskus, die anderen tun das überhaupt nicht“, berichtet Taubitz und stellt fest: „Mir ist manche Kritik an der katholischen Kirche grundsätzlich zu forsch, vielleicht gibt es überall zu viele Idealvorstellungen, und das auch bei mir.“

Wenn der Seelsorger, der nach eigener Aussage ein durchaus sinnenfreudiger Mensch ist und übrigens lieber Klassik als Pop hört, ganz konkrete Kritik übt, dann klingt sie so: Die Kirchenleute sollten nicht immer darüber reden, wie man möglichst viele Menschen in die Kirche bekommt, sondern darauf setzen, „dass die, die derzeit kommen, wirklich begeistert vom Glauben sind“.

Langer Entscheidungsprozess

Und auch das klingt in den Ohren eines skeptischen Mitglieds der katholischen Kirche eigentlich schon ambitioniert genug, oder? Taubitz wirkt sehr gefestigt, was seine Entscheidung angeht. Natürlich hat er sich früher gefragt, ob er als Priester nicht die entscheidenden Dinge verpasst. Wie jeder andere auch, der katholischer Priester werden will. Wenn er in den Semesterferien zu Hause war, fragte sich Taubitz auf jeder Rückfahrt, ob er denn wirklich auf eine eigene Familie verzichten kann. Die Entscheidung für seinen Beruf, sagt Taubitz, „war ein langer, großer Entscheidungsprozess“. Sollte er immer noch Zweifel haben, versteckt er das gut.

Ohne es so zu nennen, spricht Taubitz mehrere Male von der Orientierungslosigkeit seiner Generation. Heute jobben im Restaurant, jedoch eigentlich Maschinenbaustudium, und wirklich richtig eigentlich: Kunst machen. In Indien. Das ist eine der typischen Geschichten, die ihm erzählt werden. Er kann den Spieß umdrehen. Dann haben die anderen den Rechtfertigungsdruck. Es könnte auch sein, dass der Blick auf jene anderen den auf die Kirche schärft: Sie gibt ihm Halt in der Welt, sie ist der Anker. Es klingt bei ihm so, als hätte er diesen Anker vielleicht mehr gesucht als andere.

Nur der Glaube erfüllt ihn

Sinnstiftungen wie Sport oder ein vegetarischer Lebensstil können ihm nicht das geben, was ihm der Glaube geben kann. Nur der erfüllt ihn. Die Seele, sagt Taubitz, kommt in der säkularisierten Welt zu kurz, sie verkrüppelt. Es ist das einzige Mal, dass er tatsächlich wie ein Prediger klingt. Am 10. Oktober wird er in Rom geweiht, ein großer Tag. Seine Familie wird dabei sein, Freunde, Bekannte aus Kiel und Neubrandenburg. Einen Tag später hält er dann seine erste eigene Messe. Bevor er drei weitere Jahre in Rom studiert, reist er in sein Bistum für die ersten eigenen Messen in Hamburg und Kiel. „Ich will jetzt endlich selbst predigen“, sagt Taubitz.

Und was eine mögliche Karriere in der Kirche betrifft, kennt er die geltenden ungeschriebenen Gesetze. Wenn man eine Karriere will, macht man keine. Und umgekehrt. Georg Taubitz, der demnächst jüngste Priester des Erzbistums Hamburg, hat eine tiefe Überzeugung: Er kann Leute nur von der Kirche begeistern, „wenn ich ich bin“. Und vielleicht gelingt das eben gerade mit seiner eher jugendlichen Art.

Mit den Händen in den Hosen­taschen.