Hamburg. Deutschlands dienstältester Bischof ist seit 1989 in Hamburg. Jetzt wird er 75 – und muss seinen Rücktritt einreichen.
Er war schon Bischof, bevor das Erzbistum Hamburg im Jahr 1995 gegründet wurde. Jetzt geht Hans-Jochen Jaschke in den Ruhestand – und blickt zufrieden zurück.
Herr Weihbischof Dr. Jaschke, sind Sie amtsmüde – schließlich haben Sie dem Papst geschrieben, er soll Sie in den Ruhestand schicken!
Hans-Jochen Jaschke: So wollen es bei uns die Regeln, wenn man sein 75. Lebensjahr vollendet. Deshalb habe ich Papst Franziskus um Emeritierung gebeten.
Am 29. September werden Sie 75. Kann der Papst Ihre Bitte auch ablehnen?
Im Prinzip wird dem entsprochen. Es könnte aber sein, dass der Papst bittet, dass ich so lange im Amt bleibe, bis ein neuer Weihbischof eingesetzt ist. Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz bleibe ich aber nur bis Ende September.
Sie waren in TV-Talkshows gern gesehen. Werden Sie da weiter auftreten – mit noch größerer Freiheit, ohne offizielles Amt?
Noch größere Freiheit? Ich habe meine Sicht immer in Freiheit vertreten. Von den Medien und natürlich immer von der Bischofskonferenz wurde ich gebeten, die katholischen Positionen zu erläutern. Ich war bei allen: bei Friedman, Plasberg, Christiansen, Jauch, Maischberger, Bremer, Steinbrecher, Illner.
Ist es richtig, dass Ihre liberalen Ansichten gelegentlich im Konflikt zur offiziellen Linie der Deutschen Bischofskonferenz stehen?
Liberal sein und den Konsens unserer Kirche teilen muss sich nicht ausschließen! Die Bischofskonferenz ist ein vielfältiges Gremium. Obwohl wir viele Bischöfe sind, stehen wir in den grundlegenden Fragen natürlich zusammen.
Also dominiert das gute Miteinander?
Zweifellos! Der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, ist ein großer Mensch, hat uns da gut zusammengehalten.
Und Ihr früherer Doktorvater, Joseph Ratzinger, jetzt Papst emeritus?
Er ist ein großer Theologe, im guten Sinne liberal, kein Betonkopf. Seit den 1970er-Jahren gibt es mit ihm und seinem Schülerkreis jährliche Treffen mit theologischen Debatten. In seiner Zeit als Papst hat er vielleicht Schwächen mit dem Regieren gezeigt. Er war mehr der Professor und kluge Mann der Worte. Immer ganz herzlich zu den einfachen Menschen. Eine seiner großen Leistungen bleibt die Einsicht, dem Amt des Papstes körperlich und im Blick auf die geistige Spannkraft nicht mehr gewachsen sein zu können. Der Rücktritt war eine wegweisende Entscheidung.
Tritt Franziskus auch eines Tages zurück?
Das kann ich nicht sagen. So etwas kommt wohl erst nach dem Tode von Joseph Ratzinger. Sonst hätten wir drei Päpste gleichzeitig.
Wann gab es das bislang letzte Treffen mit Ihrem theologischen Lehrer?
Ende August bei seinem kleinen Haus im Vatikan, im Garten. Er trug ein weißes Gewand, wirkte gebrechlich.
Sie sind der dienstälteste deutsche Bischof. Welchen Rat geben Sie jüngeren Kollegen, die gerade 50 Jahre alt geworden sind?
Wir haben in der katholischen Kirche eine klare Hierarchie. Oben stehen die leitenden Bischöfe. Ich selbst bin Weihbischof. Da haben wir in den Konferenzen nicht allzu viel zu sagen. Aber die jungen sollen mutig und selbstbewusst auftreten, nicht zu konservativ sein.
Was hätten Sie als Erzbischof von Hamburg anders gemacht?
Wohl gar nicht so viel. Ich finde, die Kirchen in Deutschland machen es schon richtig. Wir haben ein vielfältiges Kirchenleben mit engagierten Mitgliedern, mit vielen Ehrenamtlichen. Wir sind eine Lobby für das Gemeinwohl.
Viele treten aber aus.
Ja, das sind bei beiden großen Kirchen insgesamt jährlich um die 400.000 Mitglieder. Als Grund wird immer die Kirchensteuer genannt, aber es ist auch der Rückgang an selbstverständlicher Kirchlichkeit. Es ist höchste Zeit, nachzudenken, wie man Kirchenmitgliedschaft und Steuer trennen kann.
Ein Vorwurf, den die Bischöfe oft hören, lautet: Der Klerus hat sich von den Gläubigen entfremdet. Was sagen Sie dazu?
Wir kennen uns recht gut! Haben uns aber nicht immer gesagt, wie es um uns steht. Mit Papst Franziskus weht ein neuer Wind. Wir können offen miteinander umgehen. Zum Beispiel: die Familiensynode für die ganze Weltkirche. Es gab eine Bestandsaufnahme mit klaren Fragen und Antworten aus allen Gemeinden. Kein Thema war tabu. Die Ergebnisse wurden für jeden nachprüfbar nach Rom gesandt. Auf der Synode gab es natürlich auch Streit, ich meine fruchtbaren. Der Papst hat klar gesprochen: Wir müssen uns mit den konkreten Menschen vor Ort auseinandersetzen, sie ernst nehmen und lieben, jeden.
Wann dürfen denn Menschen, die geschieden und jetzt wieder verheiratet sind, an der Kommunion teilnehmen?
Ich bin froh, dass die Tür dafür geöffnet wurde. Jeder, jede muss selber entscheiden: trete ich zur Kommunion hinzu oder nicht. Der Priester entscheidet nicht, aber bietet in einem seelsorgerischen Gespräch eine Klärung an. Also: keine restriktiven Verbote, keiner soll von einem Prinzip erschlagen werden.
Wie haben Sie Hamburg im Amt erlebt?
Ich lebe sehr gern in unserer Stadt. Sie ist säkular geprägt, aber die Kirchen gehören fest dazu, vor allem in der Ökumene. Kaum war ich Bischof, gab es in Hamburg die weltweit erste lutherische Bischöfin, Maria Jepsen. Wir sind sofort Freunde geworden, auch mit Kirsten Fehrs. Wir Katholiken in der Diaspora haben starke katholische Schulen, Krankenhäuser, eine bedeutende Caritas und die katholische Akademie, um nur einige Beispiele zu nennen.
In vielen Bundesländern gewinnt die AfD immer mehr Wähler. Muss ein Katholik zur Beichte gehen, wenn er AfD wählt?
Wenn er das als Sünde empfindet: Ja. Ich wünsche mir, dass die großen Parteien wieder stabiler werden. Der Streit zwischen den beiden christlichen Parteien ist eine ärgerliche Torheit.
Sie mussten als Vierjähriger von Schlesien nach Westdeutschland fliehen. Wie erleben Sie die gegenwärtige Lage der Flüchtlinge?
Als ich die ersten Bilder der Flüchtlingswoge sah, brach mir immer die Stimme weg. Das zerreißt mein Herz. Deutschland braucht jetzt ein Programm der Integration, das ja auch schon greift.
Vor Jahren sagten Sie mal Firmlingen, dass diese noch erleben würden, dass Frauen zu Priestern geweiht werden. Glauben Sie heute noch immer daran?
Es kann sein, dass ich das gesagt habe. Wir haben die lange Tradition, dass das Priesteramt ausschließlich von Männern ausgeübt wird. Priester haben nur ein Amt unter vielen in der Kirche. Wir müssen runterkommen von der Priesterfixierung. Frauen müssen verantwortliche Positionen und Ämter haben. Gerade für die Entwicklung der Pastoralen Räume brauchen wir Frauen mit amtlichen Aufgaben, besonders Laien, die der Kirche vor Ort ein gutes Gesicht geben. Was die Präsenz von Frauen angeht, waren wir nie schlecht: Maria, ungezählte Ordensfrauen, kluge und gelehrte Persönlichkeiten … Die Quote in unseren Verwaltungen liegt bei 20 Prozent.
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