Hamburg. Philharmonisches Staatsorchester feiert in der Laeiszhalle die 50. Kammermusik-Saison – und wie! Gustav Peter Wöhler sorgt für Lacher.

Vom ehemaligen Soloflötisten eines großen deutschen Sinfonieorchesters erzählt man sich die Anekdote, wie er eines Tages beim Schwatz in einer Probenpause fassungslos zu seinem Nachbarn sagte: „Wie, du hast Abitur? Wenn ich Abitur hätte, säße ich nicht hier.“ Mit anderen Worten, für etwas Besseres hatte es bei ihm nicht gereicht. So sah er es.

Seien Sie versichert: Der Mann ist die große Ausnahme. Die allermeisten Musiker ergreifen ihren Beruf aus Leidenschaft. Üben vom Kindesalter an, studieren, quälen sich durch Probespiele, ergattern eine Stelle – und dann geht’s erst richtig los. Orchesterdienst ist Maloche, im Operngraben zumal. Die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters können davon manche Arie singen. Von hehren Idealen bleibt oft nicht viel übrig, wenn der Berufsalltag zu einem gewissen Prozentsatz aus Schrumm-Schrumm-Tönen einer gut abgehangenen Verdi-Produktion besteht.

Da hilft nur eines: Kammermusik. Bei der geht es nämlich um das, was Kent Nagano, der Mann mit der goldenen Zunge, am Sonntagmorgen im ausverkauften Kleinen Saal der Laeiszhalle in seiner wunderbar amerikanischen Wortwahl formuliert hat: Das Orchester sei eben nicht nur ein Kollektiv. „Wir wollen Licht auf die Individuen werfen. Wir haben 135 hervorragende Künstler.“

Kammermusik-Gala vom Allerfeinsten

Rund 40 von ihnen haben der orchestereigenen Kammermusikreihe aus Anlass der 50. Saison mit einem Sonderkonzert ein Ständchen gebracht, das es in sich hatte. Eine Kammermusik-Gala vom Allerfeinsten, wer hätte sich so etwas träumen lassen?

Zusätzlich befeuert wurde die Unternehmung von Gustav Peter Wöhler als gleichsam hauseigenem Moderator. Der brauchte nur eine Augenbraue zu heben, um die Lacher auf seiner Seite zu haben. Als Running Gag bewunderte er in jeder Umbaupause die Orchesterdiener für ihren Dauereinsatz. Und natürlich ließ er sich einen Seitenhieb auf die Wahlergebnisse vom 24. September nicht nehmen, indem er darauf hinwies, wie friedlich im Orchester Musiker aus 21 Nationen zusammenarbeiten.

Statt Häppchenkultur im bewährten Wechsel von Hits und Füllstoff, von Virtuosem und Besinnlichem reihte das Programm ein originelles Werk ans andere, und das ohne einen einzigen dramaturgischen Durchhänger. Vielmehr schien jedes Stück die Ohren neugierig zu machen auf das nächste, wieder ganz andere. Als hätten Maurice Ravel und der legendäre Wiener Joseph Hellmesberger (1855–1907) aufeinander gewartet. Oder Hellmesbergers Zeitgenosse Wilhelm Fitzenhagen, der vor allem Cellisten geläufig sein dürfte, und der Jazzmusiker Chick Corea.

Den Auftakt machte der Chef persönlich: Nagano dirigierte Wagners sinfonische Dichtung „Siegfried-Idyll“ in einer, nun ja, Kammerfassung für immer noch 13 Spieler. Wagner nicht im Zauber-Schmelztiegel des Bayreuther Grabens, sondern im für akustische Trennkost bekannten Kleinen Saal? Ging gut. War spannend. Lieferte Erkenntnisse, als näherte man sich der Machart des Werks mit einer Lupe. Wagner ist eben auch dann noch toll, wenn man ihn klaren Kopfes statt narkotisiert genießt.

Schwung wie eine Südstaatencombo

Irgendwie hatte der Vormittag, frei nach Woody Allen, auch etwas von „Was Sie schon immer über Ihr Orchester wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“. Ja, in den philharmonischen zweiten Geigen sitzen so versierte Barockmusiker wie die Geiger Hibiki Oshima, Marianne Engel und Felix Heckhausen, die aus Musik von Purcell und Telemann musikalische Ereignisse auf kleinstem Raum machten. Ja, die Blechbläser um den jungen Trompeter Philipp Lang konnten es bei Paul Nagles „Jive For Five“ an Lakonie und laszivem Schwung mit jeder Südstaatencombo aufnehmen. Und ja, das Orchester hat einen profunden Komponisten in seinen Reihen: Die Sopranistin Gabriele Rossmanith sang Stefan Schäfers Liedzyklus „Herren“ auf Gedichte von Ror Wolf, und man wusste gar nicht, über wessen Witz und Esprit man sich am meisten freuen sollte, über den des Dichters, des kongenialen Tonsetzers (im Hauptberuf Solobassist) oder der Interpretin.

Das durchgehend hohe Niveau war zu erwarten. Wirklich ergreifend aber war es, so viele Künstlerpersönlichkeiten zu erleben, deren Liebe zur Sache offenkundig auch die Jahre im Graben nichts anhaben konnten. Und das Ganze soll knapp drei Stunden gedauert haben? Kaum zu glauben. Es war das letzte Konzert am alteingesessenen Ort; die Reihe zieht um in die Elbphilharmonie. Wir wünschen 50 weitere glückliche kammermusikalische Jahre.

Das erste reguläre Philharmonische
Kammerkonzert
am 11. November im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ist ausverkauft