Hamburg. Vor 40 Jahren stand der Planfeststellungsbeschluss für ein „Luftkreuz des Nordens“ in Kaltenkirchen.
Wer heute durch das gut 35 Kilometer vom Hamburger Stadtzentrum entfernte Gelände wandert oder mit dem Rad fährt, kann Idylle genießen. Wiesen, Wälder – in weiten Teilen naturbelassen. Kaum vorstellbar, dass hier mal Jumbojets im Minutentakt landen oder starten sollten.
Vor 40 Jahren sah die Zukunft für das gut 2200 Hektar große Areal noch anders aus. Am 16. September 1977 veröffentlichte Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Jürgen Westphal (CDU) den 130-seitigen Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Kaltenkirchen. „Angesichts der derzeitigen Zuwachsraten bei den gewerblichen Flugbewegungen und den Passagierzahlen wird Fuhlsbüttel in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre die Kapazitätsgrenze erreicht haben“, sagte Hamburgs Flughafendirektor Richard Schleicher seinerzeit zur Begründung.
Der Luftfahrtexperte rechnete bei den Fluggästen mit einer jährlichen Zunahme von acht Prozent. Es gelte daher, für den norddeutschen Raum den Anschluss an den Weltluftverkehr auch für die fernere Zukunft zu sichern. Politiker in Kiel hofften zudem auf bis zu 8000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Sechs bis acht Jahre sollte gebaut werden
Die Idee, nördlich von Hamburg einen Interkontinentalflughafen zu errichten, war Ende der 70er-Jahre schon gut zwei Jahrzehnte alt. „Hamburgs zweiter Flughafen wird bei Kaltenkirchen liegen“, berichtete das Hamburger Abendblatt bereits im November 1961. Das habe Dr. Schattschneider, der Chef des Amtes für Verkehr, mitgeteilt.
Gut eineinhalb Jahre vergingen dann noch, bis Ende März 1963 der Bauantrag gestellt wurde. Sechs bis acht Jahre sollte der Bau des Flughafens dauern. Die erste Landebahn wollte man 1970 in Betrieb nehmen. Die Baukosten wurden auf 300 bis 500 Millionen Mark geschätzt. Auch einen Namen hatte man bereits: „Hamburg-Holstenfeld“.
Flughafenfläche war 8000 Meter lang
Die gewählte Flughafenfläche war 8000 Meter lang und 3000 Meter breit. Mindestens zwei Startbahnen von je 4000 Meter Länge in der Hauptwindrichtung von Südwesten nach Nordosten waren geplant. Im Kern sollte Kaltenkirchen ein Flugplatz ohne Engpass werden, der nach dem Baukastenprinzip dem Bedarf angepasst werden konnte. Geplant war ein System von halbringförmigen Abfertigungsgebäuden, die zu beiden Seiten einer Verkehrsachse angeordnet sind. Als Anfangskapazität wurde mit bis zu fünf Millionen Passagieren pro Jahr gerechnet. Voll ausgebaut sollte die Abfertigung von jährlich bis zu 30 Millionen Fluggästen möglich sein.
Jeweils zwei Abfertigungsgebäude sollten einander zugeordnet sein. Geplant war, an- und abfliegende Passagiere auf zwei Ebenen abfertigen zu können. Zehn Flugzeuge sollten gleichzeitig bedient werden können. Die Anreise mit dem Auto bis zum Abfertigungsschalter wäre möglich gewesen. Zudem war vor jedem Gebäude im Halbring ein Parkhaus vorgesehen.
Von Hamburg sollte der neue Flughafen über leistungsstarke Straßen- und Bahnverbindungen erreichbar sein. Der vierspurige Ausbau der Bundesstraße 4 war beschlossen. Selbst eine Schnellverbindung mit Hubschraubern wurde in Erwägung gezogen. Für die Bahnverbindung sollte der Bahnhof Altona die Funktion eines Flughafen-Bahnhofs übernehmen. Die Pläne, über die das Abendblatt am 1. Februar 1967 berichtete, sahen vor, das Bahnhofsgebäude in Altona abzureißen und durch einen mehrstöckigen Gebäudekomplex zu ersetzen. „Ein Teil des Neubaus ist als Hochhaus konzipiert, hier sollen sämtliche Einrichtungen für die Abfertigung der Fluggäste in moderner Form untergebracht werden.“ Auch die Zollabfertigung sollte in Altona erfolgen.
Heftiger Widerstand gegen die Flughafenpläne
„Im unteren Stockwerk des ‚Air-Terminal‘ finden die Fluggäste einen separaten Bahnsteig vor, der aus Zollgründen vom übrigen Bahnhof getrennt ist“, berichtete das Abendblatt weiter. „Von hier fahren zu den Starts in Kaltenkirchen Non-Stop-Züge ab, die nach nur 17 oder 18 Minuten unmittelbar neben dem Rollfeld eintreffen.“
Von Anfang an gab es jedoch heftigen Widerstand gegen die Flughafenpläne. „Ein Vorhaben, wie es der geplante Weltflughafen Kaltenkirchen ist, kann nicht einfach eine Verwaltungsangelegenheit sein“, erklärte beispielsweise die „Aktion Flugplatz Kaltenkirchen“ auf einem Flugblatt. Die Anwohner machten sich vor allem Sorgen über den Fluglärm.
Großzügige Entschädigung in Aussicht gestellt
Um den Widerstand zu überwinden, stellten die Regierungen in Kiel und Hamburg eine großzügige Entschädigung in Aussicht. So sollte sich jeder Bauer, der mit seinem Betrieb im Gebiet des geplanten Flughafens liegt, frei entscheiden können, ob er umgesiedelt oder entschädigt werden wolle.
Streit gab es auch um die Verteilung der Baukosten. 1965 akzeptierte Hamburg zwar, dass Schleswig-Holstein zehn und der Bund 26 Prozent der Ausgaben übernehmen sollten. Trotzdem schwelte dieser Streit über viele Jahre weiter. Vor allem in Hamburg wuchsen in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre die Bedenken, obwohl die Stadt bereits 1330 Hektar Land aufgekauft hatte.
Ölkrise und Zweifel an Großraumjets stellten die hohen Zuwachsraten im Flugverkehr infrage, die dem neuen Airport zugrunde lagen. Zudem hatten fast 1400 künftige Anrainer Einzelklagen gegen das Planfeststellungsverfahren angestrengt. Eine Verzögerung des Flughafenbaus bis in die 80er-Jahre hinein war die Folge.
In den 80er-Jahren „schlief“ das Projekt ein
Nicht zuletzt hatte sich im Hamburger Rathaus die Sorge breit gemacht, dass mit Kaltenkirchen Arbeitsplätze – und damit erhebliche Steuereinnahmen – ins Umland abwandern könnten. Bürgermeister Hans-Ulrich Klose begründete seine Zurückhaltung mit dem Hinweis, dass der Abwanderung von Firmen und Jobs Einhalt geboten werden müsse.
In den 80er-Jahren „schlief“ das Projekt Kaltenkirchen ein. Zwar gab es immer wieder CDU-Politiker, die für den Bau plädierten. So sagte etwa der damalige Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) im Oktober 2003: „Der Flughafen in Kaltenkirchen kommt.“ Aber wirklich ernsthaft wurde das Ganze nicht mehr verfolgt. 2013 wurden die Pläne für den Großflughafen Kaltenkirchen endgültig begraben. Damit bleibt der „Hamburg Airport Helmut Schmidt“ in Fuhlsbüttel Norddeutschlands größter Flughafen.
Andere hingegen träumen den Traum vom Flughafen Kaltenkirchen weiter. In dem aus den USA stammenden Rollenspiel „Shadowrun“ existiert ein Airport Hamburg-Kaltenkirchen. Dieser ist mit fünf Terminals ausgestattet und für Flieger ausgelegt, „mit denen Raumstationen im niedrigen Orbit erreicht werden können“.