Hamburg. Von liberaler Doppelspitze und den Sorgen der SPD. Und eigenartig ist die Lage nach der Wahl auch für Hamburgs Christdemokraten.

Es kommt eher selten vor, dass Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz bei einem öffentlichen Auftritt Emotionen zeigt. Am vergangenen Mittwoch war es in der Bürgerschaftsdebatte über den Ausgang der Bundestagswahl wieder so weit. Ungewöhnlich schrill reagierte der sonst so besonnene Senatschef auf die Anwürfe von Oppositionsführer André Trepoll (CDU). Er sprach diesen sogar dreimal mit Namen an, was Scholz normalerweise nicht macht.

Davon, dass angesichts der bescheidenen Wahlergebnisse beim Senatschef und seinen Sozialdemokraten die Nerven blank liegen, kann dennoch keine Rede sein. Zum einen weil sich ja auch die Union nicht mit Ruhm bekleckert hat und zum anderen die Grünen, der SPD-Koalitionspartner, ein gutes Ergebnis einfahren konnten.

Situation ist etwas eigenartig

Aber bleiben wir zunächst bei der SPD, die gegenüber 2013 mit 23,5 Prozent bei den Zweitstimmen 8,9 Prozentpunkte verlor. Neben dem großen Verlust an Wählerstimmen sollte ihr zu denken geben, dass die Linke in neun, vornehmlich sozial schwächeren Stadtteilen stärkste politische Kraft wurde. Das ist ein Indiz dafür, dass die Sozialdemokraten den Kontakt zu den „ganz kleinen Leuten“ verloren haben.

Zugegeben, die Situation ist etwas eigenartig. Betrachtet man die beiden wichtigsten Themen der jüngeren Zeit – die Flüchtlingskrise und die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt –, hat die Hamburger SPD vieles richtig gemacht. Anders als in Berlin oder Bremen beeinträchtigen Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen das Alltagsleben der meisten Hamburger kaum. Beim Bau von (bezahlbaren) Wohnungen gilt Hamburg mit dem Bündnis für das Wohnen seit Jahren bundesweit als Spitzenreiter.

So haben Ihre Nachbarn gewählt: die interaktive Wahlkarte

Dennoch ist der Eindruck, zumindest sozialdemokratische Führungspolitiker seien abgehoben, nicht ganz falsch. Olaf Scholz, der Bürgermeister, ist zugleich stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, redet oft und gern über erfolgreiche große Projekte und dagegen eher seltener über die Alltagssorgen der kleinen Leute. Dazu passt, dass der Bürgerschaftsabgeordnete Hauke Wagner dieser Tage dafür kritisiert wird, dass er auf Facebook forderte: „Ich will, dass die Genossen in Berlin einfach mal diese bescheuerte Arroganz lassen und sich Zeit nehmen für eine interne Diskussion.“

Etwas eigenartig ist die Lage nach der Wahl auch für Hamburgs Christdemokraten. Trotz eines Verlustes von 4,9 Prozent wurden sie bei den Zweitstimmen mit 27,2 Prozent stärkste politische Kraft in der Hansestadt. Allerdings erinnert die Union dabei ein wenig an einen Scheinriesen. Schließlich gewannen die SPD-Kandidaten in fünf von sechs Wahlkreisen das Duell gegen ihren CDU-Kontrahenten. Vermutlich dürfte ein erheblicher Teil der 13,9 Prozent Grünen-Wähler taktisch abgestimmt haben: Erststimme für den SPD-Kandidaten, Zweitstimme für die Umweltpartei.

Positives aus CDU-Sicht

Das Positive aus CDU-Sicht: Der Erfolg lässt die Hoffnung am Leben, dass Olaf Scholz schlagbar ist, und überdeckt zumindest vorerst das Fehlen eines ernst zu nehmenden Herausforderers. Fraktionschef André Trepoll mag selbst an weniger guten Tagen eine bessere Rede als der Senatschef halten. Am Ende wählen die Menschen denjenigen, dem sie am ehesten zutrauen, das Regierungsgeschäft zu bewältigen. Das hat gerade die Bundestagswahl bewiesen: Trotz Unzufriedenheit bevorzugten offenbar auch die Hamburger Wähler Angela Merkel.

An diesem Punkt sei kurz an Karin Prien erinnert. Die frühere stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion ist seit dem Regierungswechsel in Kiel schleswig-holsteinische Bildungsministerin und macht Beobachtern zufolge ihren neuen Job bislang sehr gut. Es wäre doch eine interessante Konstellation, wenn bei der Bürgerschaftswahl 2020 eine christdemokratische Herausforderin gegen den sozialdemokratischen Titelverteidiger antreten würde.

Beruhigung für die SPD

Allerdings dürfte eine Erfahrung der jüngeren Vergangenheit die Sozialdemokraten beruhigen: Sie schnitten in Hamburg auch bei den Bundestagswahlen in den Jahren 2009 und 2013 wenig erfolgreich ab. Bei den dann jeweils zwei Jahre später folgenden Bürgerschaftswahlen erreichte die SPD deutlich mehr als 40 Prozent der Stimmen und besiegte die CDU mit großem Abstand.

Von 40 Prozent sind Hamburgs Liberale weit entfernt, auch wenn man bedenkt, dass ihre in Hamburg erreichten 10,8 Prozent mehr als eine Verdoppelung gegenüber 2013 und die Entsendung von zwei Bundestagskandidaten bedeuten. Ihr Erfolg am vergangenen Sonntag hat neben der Freude den Effekt, dass es im Rennen um die Nachfolge von Katja Suding – die Fraktionschefin wechselt in den Bundestag – eine unerwartete Wendung gibt.

Patt bis zum Wahltag

Hieß es bislang, dass die Fraktion sich zwischen Anna von Treuenfels-Frowein oder Michael Kruse entscheiden müsse, läuft es jetzt auf zwei gleichberechtigte Fraktionsvorsitzende hinaus. Bis zum Wahltag bestand ein Patt zwischen den beiden. Wieland Schinnenburg, der jetzt auch nach Berlin wechselt, galt als Zünglein an der Waage. Dessen Nachrücker Ewald Aukes brachte eine Doppelspitze ins Gespräch. Auch andere Fraktionsmitglieder dürften sich damit anfreunden.

Ungewöhnlich wäre das im Übrigen nicht. Entscheiden sich die Liberalen für eine Doppelspitze, hätten alle kleinen Oppositionsparteien in der Hamburgischen Bürgerschaft zwei Fraktionschefs. Das erinnert ein wenig an einen Witz über den Ostfriesenbus. Der ist ganz breit und zugleich ganz kurz, weil alle Fahrgäste in der ersten Reihe sitzen wollen.

Bleibt zu guter Letzt ein weiterer bemerkenswerter Aspekt des Hamburger Bundestagswahlergebnisses: das Abschneiden der Rechts- und Linkspopulisten in der Hansestadt. AfD und Linke kommen zusammen auf 20 Prozent der Zweitstimmen. Mit anderen Worten: 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sich für eine Partei des Ausgleichs und der Mitte entschieden. Darauf kann Hamburg stolz sein.