Hamburg. HWWI-Chef Henning Vöpel über die Bedeutung der Bundestagswahl für Hamburg und notwendige ökonomische Maßnahmen.

Er leitet mit dem Hamburger HWWI eines der wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute in Norddeutschland, macht sich schon länger für einen Wandel Hamburgs hin zu einem modernen Hightech-Standort stark. Im Abendblatt-Interview spricht Henning Vöpel über seine favorisierte Koalition für die Bundestagswahl und die wirtschaftspolitischen Versäumnisse des Senats in der Vergangenheit.

Wissen Sie schon, welche Partei Sie am Sonntag wählen?

Henning Vöpel: Ich habe eine Tendenz. Aber sicher bin ich mir noch nicht.

Nach welchen Kriterien treffen Sie Ihre Wahlentscheidung – als Ökonom vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten oder sind für Sie auch andere Themen wichtig?

Vöpel: Ich habe schon immer die Partei gewählt, von der ich der Meinung bin, dass sie das Allgemeinwohl am stärksten im Blick hat. Da spielt nicht nur die Wirtschaft eine Rolle.

Wählen Sie immer die gleiche Partei?

Vöpel: Nein, ich bin ein Wechselwähler.

Beim Blick auf die Bundespolitik hat man oft den Eindruck, dass Hamburger Belange nur eine untergeordnete Rolle spielen. Oder täuscht das?

Vöpel: Sicherlich werden die Interessen von großen Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern stärker bei bundespolitischen Entscheidungen berücksichtigt. Allerdings hat Hamburg aus meiner Sicht schon davon profitiert, dass die Stadt mit Olaf Scholz einen Bürgermeister hat, der eine wichtige Rolle in der Bundes-SPD spielt.

In welchen Bereichen müsste sich die neue Bundesregierung mehr für Hamburger Interessen einsetzen?

Vöpel: Hier sollte der Blick vor allem auf Infrastrukturmaßnahmen gerichtet sein – also den Bau von Verkehrsinfrastruktur und die Elbvertiefung. Zudem wird es Zeit, dass die schon lange versprochene digitale Offensive endlich im Norden ankommt – also schnelles und flächendeckendes Internet in Hamburg und Umgebung. Und eine Öffnung des Arbeitsmarktes für qualifizierte Zuwanderung ist ein dritter Punkt, der vom Bund angegangen werden muss.

Sind Sie für ein Einwanderungsgesetz?

Vöpel: Ja, auf jeden Fall. Es ist wichtig, die humanitären Motive des Asylrechts von den ökonomischen Motiven einer gesteuerten Zuwanderung zu trennen.

Wie sollte das Gesetz konkret ausgestaltet sein?

Vöpel: Der wichtigste Punkt ist die Qualifikation. Denn zusätzliche Fachkräfte brauchen wir – mit Blick auf den demografischen Wandel – für unseren Arbeitsmarkt und damit auch zum Erhalt unseres Wohlstands. Der zweite Punkt ist die Inte­grationsperspektive. Je verlässlicher der Aufenthaltsstatus für diese Menschen ist, desto größer ist auch deren Integrationsanreiz.

Was könnte Hamburg machen, um attraktiver für gut ausgebildete Zuwanderer und Studenten aus dem Ausland zu werden?

Vöpel: Zum einen brauchen wir in der Stadt mehr attraktive Arbeitsplätze in Zukunftstechnologien. Dann sollte die Sprachbarriere auch von unserer Seite mit abgebaut werden, indem Englisch noch stärker in den Hochschulen und Unternehmen gesprochen wird. Und die Hochschulen müssen besser werden, sich einen international exzellenten Ruf erarbeiten – das ist allerdings ein langer Weg. Die Politik könnte helfen, indem sie Hamburg zu einem Leuchtturm bei der Umsetzung von Zukunftsthemen macht – zum Beispiel der urbanen Mobilität. Elektroautos, Carsharing, selbstfahrende Busse bieten Möglichkeiten für eine ganz neue, nachhaltige Stadtentwicklung. Das würde auch junge, innovative Menschen anlocken, die an diesen Konzepten forschen und eigene Start-ups gründen.

Reichen die bisherigen Maßnahmen der Politik hier aus?

Vöpel: Nein, das sind aus meiner Sicht zwar gute Ansätze. Es fehlt aber eine schlüssige Gesamtstrategie.

Hat Hamburg in diesem Bereich nicht längst den Anschluss verpasst? In Bremen werden künftig Elektroautos von Daimler gebaut, BMW setzt bei seiner Zukunftstechnologie auf Leipzig, selbst in Aachen entsteht – initiiert von Wissenschaftlern – eine große Fabrik für bezahlbare Elektrofahrzeuge. Und in Hamburg geschieht nichts.

Vöpel: Da haben Sie recht, was die vergangenen Jahre betrifft. In den letzten Monaten ist aber einiges passiert, zum Beispiel die Bewerbung für den ITS-Kongress, den weltgrößten Kongress für intelligente Transportsysteme – Hamburg könnte sich so zu einer Vorzeigestadt für moderne Mobilität entwickeln …

… und hat als eine der einzigen deutschen Metropolen nicht einmal eine Umweltzone.

Vöpel: Da passt tatsächlich vieles noch nicht zusammen. Und genau deshalb braucht die Stadt eine Gesamtstrategie für dieses Themenfeld.

Hat Hamburg zu lange auf den Hafen als Handelsplatz für Waren gesetzt?

Vöpel: Ja, die Stadt darf nicht einer Wohlstandsillusion erliegen. Wir befinden uns in Hamburg in einem ziemlich grundlegenden Strukturwandel. Und diesen müssen wir aktiv gestalten.

Mal ein Gedankenspiel: Wenn Sie Hamburger Bürgermeister wären und mit Unterstützung der neuen Bundesregierung ökonomisch machen könnten, was sie wollen. Was würden Sie konkret angehen?

Vöpel: Ich würde versuchen, Technologieunternehmen in die Stadt zu holen und über ein radikal offenes Innovationssystem die Brücke zur Wissenschaft bauen. So würde Hamburg zu einem Ort, an dem man dichter als in anderen Städten an der Zukunft dran ist. Im Klartext: Hamburg wird zur Leitstadt für urbane Transformation. Das würde nach und nach Talente, Unternehmer und Forscher anlocken. Um dies zu realisieren, muss man allerdings auch attraktive Flächen für Unternehmen mit Zukunftstechnologie zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang halte ich es für eine vertane Chance, nun auf dem Kleinen Grasbrook noch ein weiteres Wohnquartier zu entwickeln – das ist gemessen an den zukünftigen Möglichkeiten etwas fantasielos. Hier hätte man Platz für Wissenschaft und innovative Wirtschaft, für eine neue Idee und Haltung Hamburgs schaffen müssen.

Zum Schluss noch eine Frage zur zukünftigen Regierungskoalition in Berlin – welche realistische Parteienkombination wäre Ihrer Meinung nach aus ökonomischer Sicht am sinnvollsten?

Vöpel: Jamaika hätte schon seinen Reiz. Eine Mischung aus Kontinuität, Liberalität und Ökologie macht mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, durchaus Sinn. Eine Große Koalition wäre dagegen für mich ein Signal des Stillstands, eine machtpolitische Neutralisierung ohne Auftrag.