Hamburg. Bei dem Kiez-Festival blickt die Kampagnenleiterin von Global Citizen auf die Show beim G20-Gipfel zurück, die für Aufsehen sorgte.
Carolin Albrecht arbeitet seit zwei Jahren als Kampagnenleiterin für Europa bei Global Citizen. Die Organisation setzt sich weltweit für Frauenrechte, Gesundheit, Bildung und Entwicklungshilfe ein. Albrecht ist am Sonnabend eine von mehreren Sprechern bei der Podiumsdiskussion „Pop Goes Politics“ auf dem Reeperbahn Festival.
Das Global Citizen Festival in Hamburg mit Auftritten von Coldplay, Shakira, Grönemeyer und weiteren Stars, Politikern und Aktivisten liegt nicht lange zurück: Hat das Festival genug Aufmerksamkeit bekommen und geweckt?
Carolin Albrecht: Auf jeden Fall! Uns geht es ja auch nicht nur um Aufmerksamkeit, sondern darum, Menschen zu animieren, aktiv zu werden und so politische Veränderungen herbeizuführen. In den sechs Monaten vor dem Festival sind unsere Unterstützer in Deutschland und weltweit über 750.000 mal aktiv geworden. Sie haben Petitionen unterschrieben, E-Mails und Tweets verschickt sowie mit Anrufen bei Politikern ihre Anliegen deutlich gemacht.
Beim Global Citizen Festival haben dann Regierungschefs und Unternehmen Zusagen im Wert von 706 Millionen US-Dollar gemacht, die 113 Millionen Menschen erreichen werden. Auch im Abschluss-Communique der G20 konnten wir viele unserer Themen, wie zum Beispiel die Verbesserung von Bildungs- und Gesundheitssystemen in den ärmsten Ländern, wiederfinden.
Verpufft das alles jetzt nicht?
Jetzt kommt es darauf an, dass die Versprechen eingehalten werden. Zum Beispiel haben Vertreter der großen Parteien zugesagt, dass Deutschland sich an das UN-Ziel halten muss und weiterhin 0.7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Entwicklungshilfe investieren soll. Wir fordern, dass dies nach der Bundestagswahl auch im Koalitionsvertrag der nächsten Regierung steht.
Im Rückblick: Haben die Ausschreitungen im Umfeld des G20-Gipfels das Bild des friedlichen, kreativen Protests, der bei Global Citizen zu erleben war, überschattet?
Als Hamburgerin war ich schockiert und empört über diese sinnlose Gewalt. Mit Protest oder einer politischen Botschaft hatten diese Ausschreitungen nichts zu tun. Für uns ist klar, dass Veränderungen nur durch friedliches Engagement herbeigeführt werden können. Unser Festival konnte ein Zeichen setzen. Ich finde es allerdings schade, dass wenig über andere friedliche Demonstrationen, an denen sich Tausende Menschen beteiligt haben, berichtet wurde.
Für wen ist die Verbindung Pop/Politik wichtiger und profilschärfender: für die Politik oder den Pop?
Die Verbindung von Pop und Politik ist in erster Linie wichtig für unser Ziel, die extreme Armut weltweit zu beenden. Wenn internationale Politiker zusammen mit Shakira und Coldplay auf derselben Bühne stehen und sich gemeinsam für dieses Ziel stark machen, erzeugt das natürlich Aufmerksamkeit, aber es sendet auch die Botschaft: Der Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit geht uns alle an und erfordert den Einsatz von jedem Einzelnen von uns.
Welche politische Stellungnahme/welches Engagement eines Popstars hat Sie zuletzt am meisten beeindruckt?
Persönlich bin ich sehr von unserer Zusammenarbeit mit Rihanna begeistert. Zusammen mit ihrer Clara Lionel Stiftung und der Globalen Partnerschaft für Bildung setzen wir uns dafür ein, dass mehr Geld in Bildung investiert wird. Rihanna ist stark involviert, was sich in ihrem Engagement widerspiegelt: So hat sie sich via Twitter an Steffen Seibert gewendet, um nach Deutschlands Einsatz beim Thema Bildungsinvestitionen in Entwicklungsländern zu fragen, sie hat Briefe an hochrangige Minister verschickt, ist nach Malawi gereist und hat sich mit dem französischen Präsidenten Macron getroffen, um über das Thema zu sprechen.
Im Sport etwa gilt die Devise: lieber unpolitisch bleiben. Warum ist das im Pop anders?
Ich finde, dass heutzutage diese Aussage so nicht mehr richtig ist. Der Sport hat inzwischen einige gute Initiativen hervorgebracht, zum Beispiel im Kampf gegen Rassismus und sexuelle Diskriminierung. Künstler allerdings haben die Möglichkeit, sich durch ihre Musik noch stärker mit diesen Themen auseinanderzusetzen und ihre Position öffentlich, etwa bei Konzerten, zu vertreten.
Popkünstler haben durch Social Media die Möglichkeit, umstandslos in die gesellschaftliche Debatte einzugreifen ...
Ich bin der Meinung, dass das noch viel stärker passieren könnte und sollte. Allerdings wird Engagement dieser Art gerade in Deutschland noch häufig kritisch gesehen. Es herrscht eine konservative Sicht, wie Engagement auszusehen hat. Wenn es mehr Austausch geben würde und sich mehr Menschen einbringen könnten, würde unsere gesellschaftliche Debatte weniger polarisieren. Deshalb ist es ein entscheidender Aspekt bei Global Citizen, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich mit ihnen bekannten und leicht zu bedienenden Mitteln politisch effektiv zu engagieren.
Zur Popkultur gehören YouTube-Stars, Lifestyle-Blogger oder Gamer, die eine beachtliche Gefolgschaft haben. Welches politische Potenzial schlummert da noch?
Gerade jetzt vor der Bundestagswahl ist es erfreulich zu sehen, dass YouTube-Stars und andere Influencer verstärkt aktiv werden und ihre Reichweite nutzen, um junge Menschen zum Wählen zu motivieren. Auch bei den Gamern gibt es Projekte. Es gibt aber auf jeden Fall noch Luft nach oben. Deshalb werden wir mit Menschen aus diesen Bereichen zusammenarbeiten.
Ton Steine Scherben oder Rage Against the Machine sind Beispiele für politischen Rock. Und doch scheint Musik nicht mehr der Soundtrack des Aufbegehrens zu sein.
Das sehe ich nicht so. Musik ist eine universelle Sprache, die Menschen zusammenbringt – und das tut Musik heute genauso wie vor 30 Jahren. Unsere Festivals sind das beste Beispiel dafür. Musik wird nie die Fähigkeit verlieren, Botschaften zu transportieren und wird für Bewegungen wie unsere immer ein starkes Mittel sein, um Menschen zu mobilisieren und zusammenzubringen.
Haben Sie einen Lieblings-Protestsong?
Beyoncés „Run the World“.