Hamburg. Der Pianist Piotr Anderszewski spielte Bach, Chopin und Janacek in der Elbphilharmonie, der zweite Auftritt in Hamburg in diesem Jahr.

Einfach durchs Foyer spazieren, unbehelligt und offenkundig tiefenentspannt und im unauffälligen Anzug, und von dort aus in Richtung Künstlergarderobe abbiegen? Das dürfte nicht vielen Klaviervirtuosen seines Formats kurz vor einem ausverkauften Auftritt im Großen Saal der Elbphilharmonie gelingen. Doch Piotr ­Anderszewski ist eindeutig keiner, vor dem sich die Menge so ehrfürchtig teilt wie das ­Rote Meer beim erkennenden Anblick von ­Moses. Was letztlich auch belegt, wie angenehm ­unwichtig sich dieser dezente Ausnahme-Musiker als Mittler von Kunst nimmt: Das Publikum soll die ­Musik für sich ent­decken oder wiedererkennen – nicht den, der sie spielt.

Im März erst war er hier gewesen, für einen Duo-Abend mit dem Geiger ­Nikolaj Znaider im Kleinen Saal, und auch damals stand, wenig überraschend, Eigenwilliges von Janacek auf dem Programm; Musik also, für die man neben reinem Können auch einen gefestigten Charakter braucht, weil sie sich nicht leicht vereinnahmen oder mal eben ­bändigen lässt. Nun, solo, legte ­Anderszewski nach, mit dem zweiten Teil des wundersamen Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfade“ als Zentrum eines sinnig kombinierten, klugen Programms. Spielte diese Irrwege durchs Unterholz der Psyche mit erschütternder ­Intensität, die beim Justieren der Extreme das ­bestürzend Abgründige und ­manisch Kreiselnde offenlegte, den einsamen Kampf eines Einzelnen mit dem Schicksal und seinen Tiefschlägen. Die Musik dieser Bruch-Stücke, zwischen knallhart und samtig taumelnd, war stellenweise manisch außer sich; Ander­szewski war ganz und gar bei sich.

Alles war klar, transparent, rhythmisch aufs Feinste aus­balanciert.

Genau so, nur ganz anders, die Janacek-Umrahmung durch die Englischen Suiten Nr. 3 und 6 von Bach. Reiner, perlender Intellekt kam hier ins Spiel, die empathische Freude an der beidhändigen Jonglage mit musikalischen Einfällen und Gedanken. Alles war klar, transparent, rhythmisch aufs Feinste aus­balanciert. Erfrischend unaufdringlich, Strukturen so selbstverständlich offenlegend, sodass man dieser Musik quasi bis in die DNA sehen konnte, ohne sich ­dabei und deswegen auch nur einen Takt zu langweilen. Bach mit Stil, subtil und funkelnd zugleich, ein Interpret für die sprichwörtliche einsame Insel.

Danach, als einstimmendes Vorspiel zum Janacek, die drei Chopin-Mazurken op. 56, die Anderszewski vor allem elegant spielte, veredelt und verfeinert durch fein abgewogene Rubati. Eine Steigerung dieser künstlerischen Freiheit zum Anderssein fand Anderszewski in der rhapsodisch weit ausholenden Polonaise-Fantasie op. 61. Bezeichnend jene Geste zu Beginn, mit der Ander­­­s­zewskis Rechte sanft das obere Ende des Klaviaturrahmens streichelte, bevor er sich toll und ganz in die Musik warf.