Hamburg . Gewerbetreibende aus Altona und St. Pauli forden Ersatz für Umsatzausfälle. Doch weitere Hilfen gibt es nur unter strengen Auflagen.

Sie bemühen sich, ruhig zu bleiben. Das klappt nicht immer. „Die Politik hat viel versprochen“, sagt Falk Hocquél, seine Stimme galoppiert, „aber wir werden alleingelassen“. Im Haus 73 am Schulterblatt sind am Dienstag ein Dutzend Gewerbetreibende zur öffentlichen Anklage gekommen, von Kneipen, Modeläden, Möbelhäusern, Restaurants, Plattenläden und Weinhändlern aus der Schanze und den angrenzenden Quartieren. An der Wand hängt ein Banner: „Wanted: Zechpreller“, steht darauf. Daneben die Gesichter von Bürgermeister Olaf Scholz und Angela Merkel.

Gut zwei Monate nach dem G20-Gipfel begehren insgesamt 62 Gewerbetreibende auf. Sie verlangen eine Entschädigung. Zwar wurde nach den schweren Ausschreitungen ein staatlicher Fonds mit Hilfsgeldern von bis zu 40 Millionen Euro eingerichtet, um den Betroffenen Schäden zu ersetzen. Dazu gehören zersplitterte Scheiben, ausgebrannte Autos und zerstörte Regale.

Geschäftsleute sprechen von 20 Prozent weniger Umsatz

Für die Umsatzeinbußen während des Gipfels gebe es aber in der Regel keine Entschädigung, kritisieren die Geschäftsleute. „Wir mussten selbst für Sicherheit sorgen, weil die Polizei nicht eingriff – und haben auf den Monat gerechnet 20 Prozent weniger an Einnahmen gehabt, weil auch die Kunden ausblieben“, sagt Mathias Fahrig von Jacques’ Wein-Depot aus der Schanzenstraße, das wie das Modegeschäft Herr von Eden und das Hotel St. Annen zu dem Bündnis zählt.

Sie hätten sich lange zurückgehalten, weder bei den fast jährlichen Maikrawallen noch dem OSZE-Treffen im vergangenen Jahr eine Entschädigung gefordert, sagen die Geschäftsleute. Sie forderten auch nicht die Kosten für extra angestellte Sicherheitsdienste während des G20-Gipfels zurück – oder für das Personal, das an den Krawalltagen in den Geschäften war, um Angriffe auf die Fassaden zu verhindern. „Wir haben genau hinterfragt, wem wirklich wie viel zusteht“, sagt Fahrig.

Am Ende kamen sie auf eine Summe von insgesamt 362.000 Euro, die auf die Geschäfte verteilt werden müssten. „Das wäre nur knapp ein Prozent der im Hilfsfonds versprochenen Summe“, so die Gewerbetreibenden. Zuvor hatten auch die Händler aus der Innenstadt nach den G20-Krawallen eine Entschädigung für die ausbleibenden Kunden gefordert, dort geht es um Umsatzzeinbußen in zweistelliger Millionenhöhe. Auch ein zusätzlicher verkaufsoffener Sonntag als Ausgleich für den G20-Gipfel wurde gefordert.

Weitere Hilfen gibt es nur unter strengen Auflagen

In der Senatskanzlei wird darauf verwiesen, dass der Hilfsfonds eine „sehr außergewöhnliche Maßnahme“ gewesen sei und mit dem darin liegenden Steuergeld behutsam umgegangen werden müsse. Sachschäden ließen sich in der Regel genau beziffern, bei Umsatzeinbußen sei eine genaue Abrechnung dagegen schwierig. Deshalb sind diese Schäden in dem Verfahren auch zunächst nicht vorgesehen gewesen.

Bei einem Treffen mit Gewerbetreibenden in der Handelskammer hat Rot-Grün den Betroffenen aber vor zwei Wochen weitere Zugeständnisse gemacht: Auch die Kosten für die Sicherung der Geschäfte gegen Randalierer sowie möglicherweise gestiegene Versicherungsbeiträge sollen unter Umständen ersetzt werden. Des Weiteren könnten die Geschäfte eine Hilfe erhalten, wenn die Umsatzeinbußen „existenzbedrohend“ seien.

In der Praxis hätten die Betreiber aber trotzdem kaum Ansprüche, kritisieren nun die Gewerbetreibenden in dem Schanzenviertel. Falk Hocquél, der das Haus 73 und das Café Schmidt & Schmidtchen betreibt, berichtet auch von bürokratischen Schwierigkeiten: „Man bekommt immer neue Anträge und Formulare, die man ausfüllen soll, aber keine Hilfe. Es gibt nicht einmal einen richtigen Ansprechpartner.“

Handelskammer will nun vermitteln

Die Handelskammer hat eine Vermittlerrolle zwischen Händlern und Senat übernommen. Tatsächlich seien einige Geschäfte in Existenznot geraten. „Die Zusagen der Stadt wurden inzwischen wieder etwas relativiert“, sagt die zuständige Geschäftsführerin Jeanette Gonnermann.

So werde Gewerbetreibenden offenbar nur die Verbarrikadierung bezahlt, wenn diese nachweislich schlimmere Schäden verhindert hätte. Auch sollen Geschäfte nur dann dafür entschädigt werden, dass sie tagelang schließen mussten, wenn die Polizei dies angeordnet hätte. Wenn die Polizei juristisch nur dazu „geraten“ hat, gebe es kein Geld. „Insgesamt haben nur die wenigsten Geschäfte eine Chance auf Entschädigung“, sagt Gonnermann. Die Kammer versuche, die Betroffenen zu unterstützen.

Auch ein Senatssprecher verweist darauf, dass die Handelskammer nun alle Anträge sammle – und dann jeder einzelne Fall geprüft werde. Zu einem verkaufsoffenen Sonntag als Entschädigung liefen Gespräche. Nach Abendblatt-Informationen ist ein solcher Schritt aber sehr unwahrscheinlich – es werden Klagen von Gewerkschaften und Kirchen befürchtet.

Laut Senat sind bislang Schäden in Höhe von 355.000 Euro beglichen worden, 313 Anträge wurden genehmigt. Der Senat geht davon aus, dass von den 40 Millionen Euro im Hilfsfonds nur „ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag“ ausgezahlt werden wird.